Gelsenkirchen. . Im Interview spricht Oberbürgermeister Frank Baranowski Stadtentwicklung, Finanzen und die Politik.

Herr Baranowski, gibt es Leuchtturmprojekte in der Stadt?

Frank Baranowski: Das Wort benutze ich nicht gerne. Aber wir haben sicherlich einige bemerkenswerte Vorhaben. Der Schwerpunkt Bildung mit dem U3-Ausbau etwa. Die vorgegebene Quote wollen wir unbedingt schaffen. Oder das Hans-Sachs-Haus...

... dessen Fertigstellung sich ja verzögern wird...

Baranowski: ... genau, um etwa ein halbes Jahr, nachdem der Fassadenbauer in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten ist. Die Verzögerung ergibt sich auch aus der europaweiten Ausschreibung, die wir neu durchführen müssen. Aber es lohnt sich zu warten, mit einem halben Jahr Verzögerung kann ich leben. Wichtig ist, dass wir im Finanzrahmen bleiben.


Was macht das Hans-Sachs-Haus für Sie so bedeutsam?

Baranowski: Es ist ein wichtiger Baustein für die Innenstadt. Das ist schon ein Unterschied, ob da eine Bauruine steht oder ein Haus, in dem 350 Menschen arbeiten und das für lokale Demokratie steht. Es verkörpert außerdem als Gebäude ein Stück Stadtgeschichte (zwischen 1924 und 1927 erbaut, Anm. der Redaktion), und öffentliche Gebäude, die so alt sind, haben wir ja nicht mehr viele.

Welche wichtigen Stadtentwicklungsprojekte gibt es aus Ihrer Sicht derzeit noch?

Baranowski: In der Fläche: Graf Bismarck, Schalker Verein, die Kokerei in Hassel und als i-Tüpfelchen das Gelände der ehemaligen Kinderklinik. Sie sind ein wichtiger Mosaikstein. Sie sind wichtige Bauteile mit Blick auf Zukunftsinvestitionen und den sozialen Zusammenhalt in der Stadt. Spannend ist dabei die Umwandlung in Hassel, wo eine Industriebrache weitestgehend in Richtung landwirtschaftliche Nutzung rückentwickelt wird. Wir können uns da insgesamt glücklich schätzen...

... warum?

Baranowski: Weil wir in Gelsenkirchen überhaupt solche Entwicklungspotenziale haben. Das ist in anderen Großstädten überhaupt nicht mehr der Fall. Auch wenn wir noch nicht wissen, wann etwa der Stadtumbau in Hassel wirklich an den Start geht.

Was woran liegt?

Baranowski: Am Geld. An den Fördertöpfen. Hassel fliegt immer wieder raus. Wir bleiben da aber hartnäckig.

Die Finanzen, sie sind das Thema dieser Zeit. Gelsenkirchen, wie andere auch, ist nicht aufgabengerecht ausgestattet. Haben Sie überhaupt noch Hoffnung, dass sich da etwas ändern wird?

Baranowski: Bund und Land haben mittlerweile begriffen, dass die Städte ein Finanzproblem haben. Das ist schon viel wert. Der Bund übernimmt die Grundsicherung, das Land stellt Geld zur Verfügung, um den Städten zu helfen. Man ist ja mittlerweile schon mit wenig zufrieden.

Was müsste man im System ändern?

Baranowski: Die Eingliederungshilfen sind mit 60 Millionen Euro enorm hoch und nicht Aufgabe der Städte. Auch der Aufbau Ost...


... Sie sprechen den Soli an...

Baranowski: ... auch der ist nicht mehr zeitgemäß. Wir zahlen pro Jahr etwa 10 Millionen Euro, die über Kassenkredite finanziert werden. Das Geld wird aber nach Himmelsrichtung verteilt und nicht nach Bedürftigkeit. Mein Kollege Lambert Lütkenhorst (CDU-Bürgermeister Dorsten, Anm. der Red.) hat es neulich auf den Punkt gebracht: Wir zahlen für den Aufbau Ost, damit der Osten uns die Firmen mit öffentlichen Subventionen weglockt, die wir bezahlen.

Summiert beträgt die extern verursachte Belastung?

Baranowski: 60 Millionen an den LWL, 10 Millionen Soli, dazu eine unzureichende Bewertung der Soziallasten durch das Land, die jetzt um 20 Millionen korrigiert wird und wo nach unserer Auffassung noch immer 7,5 Millionen Euro fehlen. Das ist ziemlich genau unser Defizit.

Kann man den Menschen noch erklären, was da abläuft? Gelsenkirchen hat für den Haushalt 2011 auch wegen der Einbrüche bei der Gewerbesteuer ein Defizit in Höhe von rund 150 Millionen Euro ausgewiesen und Gesamtverbindlichkeiten in Höhe von gut 971 Millionen Euro.

Baranowski: Nein. Das kann man niemandem mehr erklären. Da sind insgesamt Zahlen unterwegs, da muss man erstmal nachschauen wie viele Nullen die haben.


Der Philosoph und Publizist Richard David Precht sagte, dass es in einer endlichen Welt kein unendliches Wachstum geben könne. Das würde im Umkehrschluss bedeuten, dass keine Konjunktur Welt-Schulden dieses Ausmaßes zurückführen kann.

Baranowski: Ja, das glaube ich auch. Es wird sich etwas ändern müssen. Wir werden uns mit weniger zufrieden geben müssen. Höher, weiter, schneller – das wird irgendwann nicht mehr gehen, für 90 Euro nach München fliegen etwa. Die Ressourcen sind endlich und Wachstum nicht unbegrenzt möglich. Deswegen müssen wir den Menschen konkret sagen, was künftig gesellschaftlichen Fortschritt ausmacht.

Kommen wir auf den Landschaftsverband zurück. Der LWL möchte für das Haushaltsjahr 2012 die Umlage um 0,8 Prozentpunkte steigern, die die Städte bezahlen. Ist das nachzuvollziehen?

Baranowski: Das ist die Absicht, aber das wird ja erst beraten und Anfang nächsten Jahres beschlossen. Wir wünschen uns, dass der Verband seine Ausgleichsrücklage in Höhe von 90 Millionen Euro aufzehrt, bevor wir weitere, neue Schulden aufbauen müssen. Dabei verkennen wir aber auch nicht, dass der LWL in vielen Bereichen gute Arbeit leistet.

Der LWL wird sich wehren.

Baranowski: Ja. Aber wir haben im Kreis der Oberbürgermeister Gespräche geführt und überlegt, was die Städte tun könnten.

Gibt es einen Weg?

Baranowski: Ja. Den hat die Stadt Dortmund schon mal beschritten. Man könnte die von den Kommunen entsandten Vertreter der Verbandsversammlung per Ratsbeschluss dazu verpflichten, sich an entsprechende kommunale Entscheidungen zu halten. Wenn da beschlossen würde, gegen die Umlageerhöhung zu stimmen, dürften sie in der Verbandsversammlung nicht anders handeln. Soweit sind wir nicht, ich will da auch keinem Ergebnis vorgreifen, aber wir haben zumindest darüber geredet.

Es gibt ein neues Ranking, den Lernatlas Deutschland, und Gelsenkirchen hat wieder mal schlecht abgeschnitten. Schauen Sie sich so etwas überhaupt noch an?

Baranowski: Anschauen ja, mehr aber auch nicht. Der Lernatlas etwa wird in seiner Wissenschaftlichkeit von mehreren Experten in Frage gestellt. Auch die Methodik stimmt nicht. Solche Untersuchen sind nicht wirklich hilfreich.

Warum nicht?

Baranowski: Die Datenbasis ist nicht kommunal und bezieht sich oft auf Landesdurchschnittswerte und nicht auf die tatsächliche Lage vor Ort. Sie verdeutlicht keine Entwicklung. Wie hat sich das Bildungsverhalten verändert, das Schulverhalten, das Sprachverhalten? Was soll die Mitgliedschaft im DRK aussagen? Was die in den Kirchen? Wurden Muslime berücksichtigt? In Bayern oder Baden-Württemberg ist das völlig anders als bei uns. Wir bevorzugen das sogenannte Gelsenkirchener Modell, in dem es um das ganzheitliche Lernen geht. Da wollen wir sehen, wie unsere Maßnahmen wirken und das durch eine Langzeitstudie wissenschaftlich begleiten lassen. Wir werden wegen der Studie der Bertelsmann-Stiftung nicht umsteuern.


Trotzdem hat so ein Ranking ja Auswirkungen auf das Stadtimage und wird von vielen registriert...

Baranowski: Ja, aber da können wir nicht viel machen, außer gut zu arbeiten. Wir haben nicht das Geld, wie etwa in der Industrie, um mit Millionen eine Gegen-Kampagne zu starten. Wir beteiligen uns dafür an Wettbewerben wie „City for children“, um zu verdeutlichen: Wir scheuen keinen Vergleich und wir sind schon mehrfach ausgezeichnet worden.


Bleiben wir beim Thema Image. Was erhoffen Sie sich von der Neuaufstellung der Stadtmarketinggesellschaft?

Baranowski: Wir wollen die Öffentlichkeitsarbeit neu ausrichten. Wir wollen die Stärken der Stadt herausstellen. Das Musiktheater oder die Zoom Erlebniswelt. Das sind auch eigene Marken, sicherlich, aber sie alle gehören unter die Dachmarke Gelsenkirchen. Das sind wir.

Reicht dafür das Budget aus?

Baranowski: Wir haben nicht die Möglichkeiten wie Essen oder Dortmund, wo große Konzernzentralen angesiedelt sind und die Unternehmen sich für die Stadt engagieren. Experten kennen unsere Stärken, aber wir müssen die Bevölkerung erreichen und ihr zeigen: Das ist immer Gelsenkirchen und nicht nur ein Einzelprodukt. Immerhin werden wir ja Standort des drittgrößten Wohnungsunternehmens in Deutschland, vielleicht geschieht da ja was. Und Gelsenwasser, auch wenn es Bochum und Dortmund gehört, hat seinen Sitz in der Stadt.

Politik ist gerade in Krisenzeiten kein einfaches Geschäft. Der CDU-Ratsherr Gerhard Schulte stellte jüngst fest, dass Politik in der Stadt nur noch vor sich hindümpele...

Baranowski: ... das ist Oppositionsarbeit. Gerhard Schulte war lange Fraktionsvorsitzender der CDU, er muss das sagen. Das erwarte ich nicht anders. Da finde ich es besser, Guido Tann (Kreisvorsitzender der CDU und Stadtverordneter, Anm. der Red.) zu zitieren, der im vergangenen Jahr meinte, es würde wohl zehn Jahre dauern, bis seine Partei im Rat mal wieder die stärkste Fraktion oder den Oberbürgermeister stellen könnte.

Wie bewerten Sie denn die politische Arbeit in der Stadt?

Baranowski: Die Zusammenarbeit der demokratischen Parteien ist gut. Es wird ja nicht durchregiert von der SPD, obwohl sie die absolute Mehrheit hat. Es ist uns als Verwaltung und mir persönlich wichtig, in vielen Fragen einen breiten politischen Konsens zu finden. Darüber hinaus sucht natürlich jede Partei auch ihre Rolle, die sie ausfüllen möchte.


Der SPD-Bundesvorsitzende Sigmar Gabriel sagte vor wenigen Tagen bei der Ruhrkonferenz in Bochum, den Sozialdemokraten fehle die Nähe zur Basis. Sie sind Vorsitzender der Ruhr-SPD. Wie stehen Sie zu der Aussage?

Baranowski: Er hat durchaus recht, weil er meint, dass wir auch alle dahin gehen müssen, wo es wehtut, um den Kontakt nicht zu verlieren. Wir dürfen nicht nur die angenehmen Termine wahrnehmen, wenn wir die Menschen, die Wähler, erreichen und für uns gewinnen wollen.