Gelsenkirchen.
An einem aufgespannten Seil baumeln Unterschenkel und Füße, in einem kleinen Nebenraum hängen an einer Leiste Zangen, Drahtbürsten und Spachtel. Was sich vielleicht nach Horrorkabinett anhört, ist eine ganz ungruselige Orthopädie-Werkstatt.
Und die Unterschenkel und Füße sind natürlich nicht echt. Seit 28 Jahren greift das Unternehmen Tondera kranken Menschen unter die Arme und hilft ihnen mit Prothesen oder ähnlichem wieder auf die Beine.
Der Firmengründer Umberto Tondera (61) steht in seinem weißen Kittel an der kommodengroßen Trichterfräse in der Werkstatt an der Ahstraße in der Altstadt und hält ein Kunststoff-Korsett an den rotierenden Aufsatz der Maschine und passt das Stütz-Element Stück für Stück an. In einer Kammer daneben hängen die dazugehörigen Kopien der Röntgenbilder. „Mein Vater fertigt ein Korsett für eine verbogene Wirbelsäule an“, sagt sein Sohn Sebastian (32), der die Geschäftsführung von ihm übernommen hat. Der Patient, der das Korsett bekommt, ist nicht etwa im Greisenalter, sondern ein junges Mädchen, das an Skoliose leidet. Von dieser Krankheit sind ausschließlich Menschen im Wachstum betroffen, im Alter von etwa 7 bis 16 Jahren.
Gipsmodelle
„Der Gipsabdruck von Patienten ist immer die Grundlage unserer Arbeit“, sagt Sebastian Tondera, der Orthopädie-Techniker und außerdem Orthopädie-Schumacher ist. Wer eine Prothese oder Orthese (ein Stabilisierungselement wie zum Beispiel ein Korsett) verordnet bekommen hat, geht in die Werkstatt und lässt das betreffende Körperteil, beziehungsweise den Rest davon, eingipsen. Anhand dieser Negativ-Schale wird dann ein Gipsmodell gegossen, um das herum das orthopädische Produkt entsteht. Bei rheumatischen Erkrankungen können Handgelenksorthesen helfen. „Die Hand wird eingegipst, ausgegossen und modelliert“, beschreibt Sebastian Tondera das Prozedere.
Orthopädie
Für die Unterschenkelprothese eines Patienten wurde ein Gips-Double von dessen Knie angefertigt. „Die Passteile aus Stahl liefert die Industrie“, zeigt der Junior auf das massive Verbindungsstück zwischen Kunststoff-Fuß und Knie-Schaft.
Wie eine Isomatte
Mit einem weichen Material, das aussieht und sich anfühlt wie eine Isomatte für den Campingurlaub, wird das „Futter“ für das Innenstück der Prothese hergestellt. Während ein Mitarbeiter dafür Gießharz aufpinselt, fräst ein anderer eine orthopädische Schuheinlage an. Auch so etwas gehört zur Arbeit eines Orthopädie-Schumachers. Den dafür nötigen Fuß-Abdruck treten Patienten bei ihrem behandelnden Arzt in zwei Stücke Schaumstoff.
„Unser Beruf ist vielfältig. Das geht von Rehatechniken über Rollstühle bis zu individuellen Sonderanfertigungen“, beschreibt der Sanitätshaus-Geschäftsführer das Tätigkeitsfeld von ihm und seinen Mitarbeitern. An einer Wand in einem der Werkstatträume hängt ein Zeitungsartikel mit dem Foto eines Schalker Basketballers, der nach einem Nasenbeinbruch mit einer Maske von Tondera gespielt hatte. In verschiedenen Lagerräumen stapeln sich Halskrausen, Krücken, Brustprothesen, Kompressionsstrümpfe, Stützkorsetts, Bandagen, Verbandschuhe und so weiter und so fort. „Alles, was ich hier habe, ist auch frei erwerblich“, sagt Sebastian Tondera. Und das seien leider auch schon mal Krücken in schwarz-gelb gewesen...