Gelsenkirchen. . Am nächtlichen Hartz-IV-Kompromiss scheiden sich auch in Gelsenkirchen die Geister. Die Reaktionen am Tag danach sind zwiegespalten. Betroffene kritisieren die neuen Regelsätze scharf, aber es gibt auch Lob - und Bedenken bei der Stadt.

Scharfe Kritik an den Regelsätzen durch Betroffene, verhaltenes Lob, aber auch Bedenken bei der Stadt, vorsichtige Zustimmung zum Bildungspaket, Ja zum Mindestlohn – so vielschichtig fielen „am Morgen danach“ erste Reaktionen auf den Hartz-IV-Kompromiss aus. Für viele Details gilt: Nichts Genaues weiß man (noch) nicht.

Völlige Klarheit herrscht nur bei der Erhöhung der Regelsätze. Bei jenem Punkt, der durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts erst zu den Verhandlungen geführt hat. 5 Euro in diesem Jahr, weitere 3 Euro in 2012 - für Hartz-IV-Empfänger Martin Dicks ist das ein „schlechter Witz“. Die Regelsatzerhöhung werde schon allein durch die Preissteigerung bei den Lebensmitteln „aufgebraucht“, so das Mitglied der Hartz-IV-Gruppe im Ev. Kirchenkreis.

Enttäuscht über neuen Regelsatz

Auch Franz Schart ist enttäuscht über den neuen Regelsatz. Der Grünen-Stadtverordnete (und Langzeitarbeitslose) ist wie der evangelische Sozialpfarrer Dieter Heisig überzeugt davon, dass die Richter auch diese Regelung kippen werden. „Hier sind Machtspiele auf den Rücken der Betroffenen ausgetragen worden“, so Heisig. Beim Bildungspaket stimme dagegen die Richtung - auch wenn vieles noch zu klären sei. Das sieht Verdi-Chef Wolfgang Gottschalk ebenso.

Reiner Lipka vom Integrationscenter für Arbeit (IAG) wartet derweil auf konkrete Anweisungen, wie das Bildungs- und Teilhabepaket umzusetzen ist. Er werde mit der Stadt darüber sprechen, wie das Paket für die Empfänger möglichst einfach und wirkungsvoll umgesetzt werden kann. „Mehr kann man zurzeit noch nicht sagen“, so Lipka.

Bildungspaket steht im Mittelpunkt

Äußerst sprachfähig ist die Politik: SPD-MdB Joachim Poß stellt „Standfestigkeit und Verhandlungsgeschick“ seiner Partei heraus. Der Kompromiss bringe erhebliche Verbesserungen für Kinder, Arbeitnehmer und Kommunen. CDU-Fraktions-Vize Wolfgang Heinberg ist froh, dass nach der Einigung auf einen Regelsatz der Fokus wieder auf die „qualitativen Aspekte der verabredeten Neuregelungen“ gelegt werden könne. Das Bildungspaket stehe hier im Mittelpunkt.

Von der Stadt will die CDU nun wissen, welche zusätzlichen Möglichkeiten sich beim Ausbau der Schulsozialarbeit eröffneten. FDP-MdB Marco Buschmann begrüßt, dass der von Rot-Grün „hinterlassene verfassungswidrige Zustand“ beendet worden sei. Die schrittweise Übernahme der Grundsicherung im Alter durch den Bund bedeute für Gelsenkirchen eine jährliche Finanzhilfe von 15 Mio Euro.

"Schritt in die richtige Richtung"

Das weiß auch Kämmerer Georg Lunemann zu schätzen. Aber: „Das rettet uns nicht. Da muss noch mehr kommen“, sagt der städtische Herr der Finanzen. Sein Chef Frank Baranowski bezeichnet die Reform ebenfalls als „Schritt in die richtige Richtung“. Allerdings fehle ihm bei der Erstattung der Kosten fürs Bildungspaket die notwendige Klarheit und Transparenz.

Unumstritten sind offenbar die Beschlüsse zur Mindestlohneinführung in der Zeitarbeit. Sowohl Verdi-Chef Gottschalk als auch Christopher Schmitt von den Arbeitgeberverbänden Emscher-Lippen signalisieren Zustimmung. Aus zwei Gründen, sagt Schmitt: „Erstens dient er dem Schutz vor Billig-Zeitarbeitern aus anderen EU-Ländern ab Mai dieses Jahres. Und zweitens dürfte damit der unsinnigen Verteufelung dieses gerade für Gelsenkirchen so wichtigen Jobmotors Einhalt geboten sein.“