Gelsenkirchen-Horst. Hohe Gebühren und Bürgerferne: Die geplante Teil-Schließung des Friedhofs Horst-Süd empört Gelsenkirchener. Darum sind sie so wütend.
Es galt als „Bürger-Information“ zur (noch nicht beschlossenen) Teil-Außerdienst-Stellung des Friedhofs Horst-Süd, zu der Bezirksbürgermeister Joachim Gill (SPD) ins Schloss eingeladen hatte. Doch nach mehr als zwei Stunden waren es vor allem Verwaltung und Politik, die mit einem Erkenntnisgewinn der besonderen Art nach Hause fuhren: Viele der rund 100 Teilnehmenden wuschen ihnen gehörig den Kopf, so wütend waren sie über das Vorhaben von Gelsendienste. Dabei diktierten sie ihnen aber auch einige Lösungsvorschläge in den Block.
Zu viel Fläche mit zu hohen Kosten für Gebäude-Instandhaltung und Grünpflege, zu hohes Grundwasser, eine marode Trauerhalle mit defekter Kühlung in den Aufbahrungszellen, und das alles bei einer sinkenden Zahl von Bevölkerung und Erdbestattungen: Die Argumente, die Gelsendienste-Betriebsleiter Dr. Daniel Paulus und Mathias Schüttke als Betriebsleiter Friedhöfe vortrugen, vermochten etliche Bürgerinnen und Bürger nicht wirklich zu überzeugen. Das machten jedenfalls die vielen empörten Wortmeldungen deutlich. Auch die Bezirksvertretung West hatte dagegen protestiert.
Gelsenkirchener Verwaltung: Friedhof Horst-Süd ist ein Verlustgeschäft
Dass der Betrieb des 1913 eröffneten Friedhofs seit Jahren ein Verlustgeschäft sei, bei dem den jährlichen Einnahmen von 400.000 Euro Ausgaben in Höhe von 600.000 Euro gegenüberstünden (Schüttke); dass das hohe Grundwasser zu Gebäudeschäden geführt habe und eine Sanierung unwirtschaftlich sei (Dr. Paulus); dass „alle zwei Tage ein Grab ausgehoben wird, in dem das Wasser hoch steht“, weshalb es aufwendig abgepumpt werden müsse (Stadtrat Simon Nowack): Diese Sicht auf ihren Friedhof lehnte die große Mehrheit der Veranstaltungs-Teilnehmenden vehement ab.
„Es geht doch um Menschen und nicht ums Geld!“, las etwa der pensionierte Horster Pfarrer Ludwig Weber den Verwaltungs-Vertretern die Leviten. Die vielfach älteren und nicht so mobilen Hinterbliebenen zu weiteren Wegen zu anderen Friedhöfen zu nötigen, sei eine Zumutung, schimpfte er unter lautem Applaus.
Bestatter aus Gelsenkirchen: Stadt muss gesetzliche Vorgaben erfüllen
Wie wichtig der (räumlich nahe) Bestattungs-Ort für die Trauerbewältigung sei, betonten auch Bestatter Stefan Menge, Geschäftsführer des Unternehmens Nehrkorn, und einige Bürgerinnen und Bürger. Menge verwies allerdings auch darauf, dass die Kommune rechtliche Vorgaben zur Grundwasserhöhe auf Friedhöfen zwingend erfüllen müsse und der Schutz vor Seuchen auch im Interesse der Bevölkerung liege.
Zuletzt waren es freilich die Bestattungsgebühren sowie das hohe Grundwasser, um die sich das Gros der Diskussion drehte: Sowohl Friedhofsgärtner Oliver Oppenberg als auch Bezirksverordnete verschiedener Parteien bezweifelten, dass das Grundwasser auf der gesamten Fläche Erdbestattungen unmöglich mache.
Politiker: Gelsenkirchener Verwaltung bauscht Grundwasser-Problem auf
Nur der Bereich von der Trauerhalle bis zum einstigen Gelsenberg-Gelände sei davon betroffen, beharrte Oppenberg, nachdem Schüttke erklärt hatte, dass 99,5 Prozent des Areals nicht den rechtlichen Vorgaben entspreche (Grundwasser darf nicht höher als 70 Zentimeter unter der Grabsohle auftreten). Franz-Josef Berghorn (CDU) – hauptberuflich Bestatter – meinte, im Jahr hätten „vielleicht zehn/zwölf Gräber“ ein Grundwasser-Problem; Gelsendienste bausche das Problem auf. Nach Angaben von Schüttke finden in Horst-Süd zwischen 155 und 180 Bestattungen statt.
SPD-Bezirksfraktionsvorsitzender Udo Gerlach erinnerte derweil an einen kürzlich angesetzten Ortstermin, „bei dem Gelsendienste uns nur die schlechten Seiten des Friedhofs gezeigt hat. Um die Risse in der Trauerhalle hat man ein großes Spektakel gemacht, als würde sie jeden Moment zusammenbrechen. Dabei weisen zwei Drittel der Horster Häuser ähnliche bergbaubedingte Risse auf“, kritisierte er. Die Stadttochter habe nur ein Grab im östlichen Bereich gezeigt, das unter Wasser stand. Andere Gräber, die „furztrocken“ gewesen seien, habe sie bewusst ignoriert.
Gelsenkirchener fordern: Zumindest Urnen-Bestattungen sollen möglich sein
Ähnlich wie die Bezirksverordneten Franz-Josef Berghorn (CDU), Mirco Kranefeld (Grüne) und Thorsten Garbe (FDP) forderte Gerlach, auf dem Horster Friedhof „zumindest Urnen-Bestattungen“ zu ermöglichen. Berghorn und Gerlach regten darüber hinaus an, Teilbereiche durch eine zusätzliche Erdschicht zu erhöhen. „Wenn der Wille da ist, könnte man dann in einigen Bereichen weiterhin Erdbestattungen ermöglichen“, so Gerlach, freilich nicht ohne klarzustellen: „Ich habe Zweifel, dass der Wille besteht.“
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Unterdessen warf ein Zuhörer der Verwaltung vor, „den Friedhof absichtlich absaufen zu lassen, damit man ihn dann besser schließen kann.“ Auch Andreas Mäsing, Geschäftsführer der Genossenschaft Friedhofsgärtner Gelsenkirchen, bezeichnete die Grundwasser-Dramatik als „hausgemacht“, da man sich über Jahrzehnte nicht um das Problem gekümmert habe.
Friedhofsgärtner: Gelsenkirchen sollte Bestattungsgebühren halbieren
Dass die Nachfrage nach Bestattungen rückläufig ist, sei auch auf die viel zu hohen Gebühren zurückzuführen, die wiederum immer mehr Familien ins günstigere Gladbeck trieben. Mäsing forderte, die Finanzierung der Friedhöfe auf völlig neue Beine zu stellen: Der städtische Haushalt müsse deutlich mehr zuschießen, damit die Gebühren um die Hälfte gesenkt werden könnten („bei Museen geht so etwas doch auch!“). So könne der ökologischen Bedeutung und dem immateriellen Kulturerbe der Friedhöfe Rechnung getragen werden, von denen die Gesamtbevölkerung profitiere. Die Gebührenhöhe an der sinkenden Zahl der Bestattungen auszurichten, sei grundfalsch. „Dann werden andere Friedhöfe auch irgendwann geschlossen.“
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Wie Bezirksbürgermeister Gill später auf Nachfrage der Redaktion erklärte, hofft er nun auf ein Einlenken der Verwaltung. Deren Vorschlag auf teilweise Außer-Dienststellung wird den politischen Gremien in der nächsten Sitzungsperiode ein weiteres Mal zur zweiten Lesung vorgelegt. Das letzte Wort hat der Rat am 4. Juli.