Gelsenkirchen-Scholven. BP darf in Gelsenkirchen-Scholven viermal so viele Ruß-Pellets lagern wie bisher. Was das für Anwohner bedeutet. Welche Auflagen gelten.

Sie sind klein, schwarz, ähneln in ihrer Form einer Pille - und stoßen besonders Umweltschützern bitter auf: Die in der Scholvener Ruhr-Oel-Raffinerie anfallenden Rußpellets gelten als krebserregend und grundwassergefährdend. Dass sie jahrelang durch eine Fremdfirma illegal entsorgt und im benachbarten Uniper-Kohlekraftwerk verfeuert wurden, trieb nicht nur Anwohner auf die Barrikaden. Mit der Verbrennung ist zwar Schluss, aber genau das ist das Problem. Denn produziert werden die Pellets immer noch. Nun soll es dafür eine neue Interims-Lösung geben: Die BP-Tochter darf jährlich auf ihrem Werksgelände künftig 400 statt 100 Tonnen des Materials zwischenlagern.

Eine entsprechende Genehmigung hat jetzt die Bezirksregierung Münster der Ruhr Oel GmbH erteilt, freilich unter Auflagen: 33 Seiten lang ist der gerade veröffentlichte Bescheid, der dem Unternehmen detaillierte Vorgaben in Sachen Baurecht, Brand-, Immissions-, Wasser-, Boden- und Arbeitsschutz macht. Auch ein Störfall-Szenario wurde gemäß Bundes-Immissionsschutzgesetz geprüft.

2018/19 protestierten Bürger gegen die Verbrennung der Pellets in Gelsenkirchener Kraftwerk

Der Protest 2018/19 gegen die Verbrennung – und auch Produktion – des Ruß- und Schweröl-Gemischs, er dürfte vielen noch gut in Erinnerung sein. Es gab Aktionen vor den Raffinerietoren, Unterschriften wurden gesammelt, die Bezirksregierung und das NRW-Umweltministerium eingeschaltet; der Stadtrat sprach sich 2018 mehrheitlich gegen die Verbrennung aus.

Groß war die Angst vor Gesundheitsgefahren und -schäden, schließlich enthält das Material nicht nur Schwefel, sondern auch die krebserregenden Schwermetalle Vanadium und Nickel und wird deshalb als „sehr giftig“ für Wasserorganismen eingestuft, mit langfristiger Wirkung. Sie neigen überdies zur Selbstentzündung. Laut Bezirksregierung war es deshalb 2021 auf dem Gelände zu einem Brand gekommen.

Während BP darauf verwies, dass die Schweröl-Vergasung, bei der Pellets als Nebenprodukt in der Raffinerie entstehen, „existenziell“ für die Herstellung von Diesel, Benzin und petrochemischen Stoffen sei, betonten Umweltministerium und Bezirksregierung: Die Verfeuerung sei genehmigt und rechtmäßig.

So soll das Lager auf dem Gelsenkirchener Raffinerie-Gelände aussehen

Die Verfeuerung von Ruß-Pellets der Ruhr-Oel-Raffinerie (Bild-Vordergrund) im Uniper-Kraftwerk (hinten) sorgte vor wenigen Jahren für großen Protest in der Bevölkerung. Mittlerweile wurde die Belieferung Unipers damit laut BP eingestellt.
Die Verfeuerung von Ruß-Pellets der Ruhr-Oel-Raffinerie (Bild-Vordergrund) im Uniper-Kraftwerk (hinten) sorgte vor wenigen Jahren für großen Protest in der Bevölkerung. Mittlerweile wurde die Belieferung Unipers damit laut BP eingestellt. © FUNKE Foto Services | Hans Blossey

Das Misstrauen in der Bevölkerung jedoch, es blieb vielfach, und genau das macht die geplante Erweiterung des Abfallzwischenlagers in Scholven so brisant.

Konkret plant Ruhr Oel den Bau von sechs Wänden in Modulbauweise mit je vier Metern Höhe, sodass vier überdachte Lagerboxen entstehen. Errichtet werden sollen sie auf wasserundurchlässigem Beton, zusätzlich abgedichtet durch eine Folie.

Bezirksregierung macht Ruhr Oel GmbH konkrete Auflagen für Bau und Betrieb des Lagers

Eine Brandfrüherkennungsanlage soll der Gefahr Rechnung tragen, dass sich die Pellets selbst entzünden könnten. Mobile Löschwasserbarrieren sollen derweil im Brandfall verhindern, dass kontaminiertes Löschwasser nach draußen dringt.

Auch in Sachen Verfahrensabläufe gibt es genaue Vorschriften: Die Pellets dürfen maximal zu zwei Metern Schütthöhe und zehn Metern Schüttbreite aufgetürmt werden, und in den Boxen darf maximal eine Tages-Charge gelagert werden, allerdings erst nach einer vorherigen Analyse des Vanadiumgehalts. Auch Nickel- und Schwefelgehalt sollen täglich überprüft werden.

Die Temperatur der Pellets ist ebenfalls täglich zu messen: Nur Material unter 50 Grad Celsius darf eingelagert werden, sonst ist eine Kühlung vorgeschrieben. Bei 90 Grad Celsius muss sofort die Werkfeuerwehr alarmiert werden. Münster will das digitale Betriebstagebuch mit allen Werten einmal monatlich einsehen.

Aufsichtsbehörde kann Kontakt der Beschäftigten mit Nickel nicht ausschließen

Für die Beschäftigten ist eine regelmäßige ärztliche Pflichtvorsorge vorgesehen, da ein wiederholter Kontakt mit Nickelverbindungen bei Tätigkeiten in dem Lager „nicht ausgeschlossen werden kann“. Arbeitsplatzmessungen sollen die Sicherheit zusätzlich erhöhen.

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Was den Boden- und Gewässerschutz angeht, so hält die Bezirksregierung eine Umweltverträglichkeitsprüfung für unnötig. „Erheblich nachteilige Umweltauswirkungen“ seien aufgrund der Vorsichtsmaßnahmen „keine zu erwarten“, heißt es. So werde etwa das Kühlwasser nicht in die Kanalisation eingeleitet, sondern als Abfall gesondert entsorgt.

Bezirksregierung: Gefahr, dass doch Stoffe ins Grundwasser übertreten

Gleichwohl sollen Boden und Gewässer – gemäß Bundes-Immissionsschutzgesetz – alle zehn bzw. fünf Jahre untersucht werden, da Materialermüdung, Rissbildung und menschliches Fehlverhalten nicht auszuschließen seien. Münster weist selbst darauf hin: Die Praxis der letzten Jahre bestätige, „dass es regelmäßig auch bei Anlagen“, die ordnungsgemäß errichtet und betrieben werden, „zu Schadensfällen mit Stoffaustritten bis in das Grundwasser kommt.“

Insgesamt sieht die Bezirksregierung die Vorsichtsmaßnahmen als ausreichend an. Abgesehen von den Auflagen bestünden keine Bedenken gegen die Erweiterung des 1993 erstmals zugelassenen Abfallzwischenlagers. Auch Einwendungen seien nicht erhoben worden.

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Dennoch ist es grundsätzlich möglich, innerhalb eines Monats vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen eine Klage gegen den Bescheid einzureichen. Dabei gilt die Veröffentlichung im Amtsblatt am 12. April als Bezugstermin. Möglich wäre eine Klage also bis zum 12. Mai. Sie hätte aufschiebende Wirkung, teilt die Bezirksregierung auf Nachfrage mit.

Warum ein solches Zwischenlager überhaupt nötig ist, wo es doch – wie es auf der Unternehmens-Website heißt – „drei renommierte Entsorgungsfachbetriebe“ gibt, die die entstehenden Pellets „vollumfänglich verwerten“, nachdem die Belieferung des Uniper-Kraftwerks Ende März 2022 eingestellt wurde? Eine entsprechende Anfrage hatte die Redaktion am Montag, 15. April, bei Ruhr Oel gestellt, eine Stellungnahme dazu ging bis Donnerstagmorgen, 18. April, nicht ein.