Gelsenkirchen. Abreißen und verbrennen: So wird oft mit Schrotthäusern und deren Einrichtung umgegangen. Dass es anders geht, will man in Gelsenkirchen zeigen.
Die Fleischerhaken hängen noch über dem Kopf, obwohl hier an der Bergmannstraße 23 zuletzt noch an Autos geschraubt wurde. Dass im Hinterhof des 1902 errichteten Gebäudes einst auch Schweine geräuchert wurden, legen aber auch die pechschwarzen Stellen an der Decke offen. Die Fassade: Sie bröckelt. Und von der ehemaligen Kfz-Werkstatt und Fleischerei kommt man über die knarzenden Treppen in eine Wohnung, die charakteristisch ist für unsanierten Altbau in der Stadt: Sieben Tapetenschichten kleben übereinander, Schimmel steckt teils in der Decke, schief ist es – weil das Haus abgesackt ist. Die weitere Nutzung: aufgrund der ganzen Mängel untersagt. Da kann doch nur noch ein Bagger anrollen. Oder?
Abreißen und neu bauen: Was im Umgang mit den vielen Schrotthäusern in Gelsenkirchen der einfachste Weg zu sein scheint, ist in Sachen Ressourcenschonung und Klimaschutz nicht die optimale Herangehensweise. In Lehrstühlen für Baukonstruktion wird gar gefordert, das Abreißen angesichts des ökologischen Schadens komplett sein zu lassen, bei einem unvermeidlichen Rückbau aber mindestens sicherzustellen, dass die Materialien wiederverwertet werden. Nur wie soll das überhaupt gelingen?
Das soll in dem früheren Wohn- und Geschäftshaus und heutigen „UmBauLabor“ in Gelsenkirchen-Ückendorf beantwortet werden. „Wir wollen hier ressourcenschonendes, kreislaufgerechtes, nachhaltiges Umbauen erproben“, sagt die Projektverantwortliche Lillith Kreiß vom Verein „Baukultur NRW“, der vom NRW-Bauministerium gefördert wird.
Wohnungskrise, Klimakrise: Bauen im Bestand wird immer wichtiger
Auch Kreiß weiß: Der Bausektor macht mittlerweile deutschlandweit 40 Prozent der CO2-Emissionen aus und verursacht über 50 Prozent des Mülls. Neben dem Umweltfaktor gibt es da die Krise auf dem Wohnungsmarkt: Die Bundesregierung wollte eigentlich jährlich 400.000 neue Wohnungen schaffen, unter anderem aufgrund der gestiegenen Zinsen werden aber immer weniger Neubauprojekte umgesetzt. Es wird also mehr im Bestand passieren müssen. „Das Bauen im Bestand gilt aber als risikobehaftet, weil neue Produkte und Konstruktionen in unserem Gewährleistungssystem belohnt werden“, sagt Kreiß. „Davon müssen wir weg. Müll in seiner aktuellen Form darf gar nicht mehr existieren.“
Groß eröffnet wurde das „UmBauLabor“ Mitte März, bis Ende 2026 soll hier auf 421 Quadratmetern Grundstücksfläche und 638 Quadratmetern Geschossfläche experimentiert werden. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage: „Wie viel Wert steckt in diesem Haus?“ – was Studierende der Hochschule Bochum auch herausfinden sollen, indem sie einfach mal ein Werkzeug in die Hand nehmen, um Wand und Boden aufzumachen.
„Es geht darum, zu erfahren: Mit welchen Materialien haben wir es hier überhaupt zu tun?“, erläutert Kreiß. Hinter Tapete und Putz kamen bei der Untersuchung neben viel Bimsstein etwa auch Ziegelsteine zum Vorschein, „die wahrscheinlich aus einem Restbestand der Außenwände stammen und verwendet wurden, um überschüssige Ziegel loszuwerden“, wie es in einem Aushang im Labor heißt. Es gibt also die ein oder andere Überraschung hinter Putz und Tapete. „Asbest haben wir aber noch nicht gefunden“, gibt Kreiß überraschenderweise zu Protokoll.
Die Materialien sollen dann von der Hochschule Münster weiter analysiert werden, um weitere Erkenntnisse zur Wiederverwertung zu liefern. Studierende der TU Dortmund wiederum haben das ganze Quartier in Ückendorf stadtplanerisch untersucht, um zu erforschen, wie sich die Menschen im Quartier ihren Raum aneignen. Auch die VDI-Gesellschaft Bauen und Gebäudetechnik ist an Bord, um Expertise zu der Frage zu liefern, welche Normen und Regularien man eigentlich braucht, um besser im Bestand zu arbeiten. Geballte akademische Kraft also – von der sich insbesondere die Stadt Gelsenkirchen, in der in den nächsten Jahren tausende heruntergekommene Wohneinheiten vom Markt verschwinden sollen, viel erhofft.
NRW-Bauministerium: Gelsenkirchener Projekt wird Schule machen
„Die Erkenntnisse aus dem UmBauLabor werden für uns als Kommune sehr hilfreich sein“, teilte Oberbürgermeisterin Karin Welge zum Anlass der Eröffnung mit. Auch Daniel Sieveke, Staatssekretär im NRW-Bauministerium, ist sich sicher: „Was wir hier in Gelsenkirchen mit der Eröffnung des ,UmBauLabors‘ erleben, wird Schule machen.“ Anhand eines „ganz typischen Wohnhausbeispiels“ werde hier gezeigt, „wie ein handfester und nachhaltiger Umgang mit wertvollen Rohstoffen gefunden werden kann.“
Arbeiten von Studierenden sind bis zum 24. April 2024 im „UmBauLabor“ zu sehen, die Besichtigung der Ausstellung und des Gebäudes sind immer donnerstags von 16 bis 19.30 Uhr sowie nach Absprache möglich.