Berlin. 400.000 neue Wohnungen will die Ampel-Koalition pro Jahr bauen. Doch durch den Ukraine-Krieg schnellen die Baukosten nun in die Höhe.
Wer derzeit bauen will, braucht starke Nerven. Seit Jahren ist Bauland vor allem in den Metropolen teuer, nun explodieren regelrecht die Rohstoffpreise und treiben die Baukosten weiter in astronomische Höhen. Bauholz etwa verteuerte sich im Jahr 2021 um 61,4 Prozent, Konstruktionsvollholz um 77,3 Prozent. Auch für Metalle mussten Bauherren und -frauen ein Viertel mehr bezahlen als noch ein Jahr zuvor.
„Man könnte jetzt sagen, dass alles schwierig ist“, stellte Bundesbauministerin Klara Geywitz am Mittwoch fest. Die SPD-Politikerin steht vor der Mammutaufgabe, 400.000 Wohnungen pro Jahr zu errichten, darunter 100.000 Sozialwohnungen. Doch nach nicht einmal einem halben Jahr Regierungszeit wachsen bereits die Sorgen, dass sich die Ampel-Koalition mit ihrem Vorhaben übernommen haben könnte.
Wohnen: Ukraine-Krieg sorgt für Materialknappheit und steigende Preise
Rund 306.000 neue Wohnungen stellte die Bauwirtschaft im Jahr 2020 fertig, als die Bauwirtschaft trotz Pandemie unter Volllast lief. Nun sollen es also fast 100.000 Wohnungen mehr pro Jahr werden. Und zudem soll es viermal so viele neue Sozialwohnungen geben wie bisher. Immerhin: Im Vorjahr wurden rund 380.000 neue Wohnungen genehmigt. Nur müssen sie auch noch gebaut werden.
Schon in normalen Zeiten wäre die Zielsetzung der Ampel-Koalition herausfordernd gewesen. Doch der russische Krieg gegen die Ukraine hat die Preise in die Höhe getrieben. In der Bauindustrie mangelt es sogar an Nägeln. Manche Firmen tragen sich mit den Gedanken, ihre Vorhaben auf Eis zu legen, weil sich die zu Festpreisen vereinbarten Investitionen bei den derzeitigen Preissteigerungen für sie nicht mehr rechnen.
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Rund 50 Teilnehmer bilden neues Bündnis
All das sei schwierig, halte aber nicht als Ausrede her, stellte Geywitz klar: „Das ist kein Grund, dass wir die 400.000 Wohnungen nicht schaffen.“ Um ihre Aufgabe zu erfüllen, hat die Bauministerin zahlreiche Interessenvertreter an einen Tisch gebeten: Mieter- und Vermietervertreter, Sozialverbände, die Bauindustrie, Gewerkschaften und Politiker.
Mehr als 50 Teilnehmer bilden das sogenannte „Bündnis bezahlbarer Wohnraum“, das am Mittwoch seine Arbeit aufgenommen hat und bis zum Herbst Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) konkrete Ergebnisse präsentieren möchte, wie das selbst gesteckte Wohnungsbauziel erreicht werden kann.
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Frust bei Akteuren der Wohnungsbranche
Alle Akteure an einen Tisch bringen – das war eine Forderung, die die Interessensvertreter lange gefordert hatten. Und doch hält sich die Erwartungshaltung in Grenzen. „Solche Bündnisse hatten in der Vergangenheit wenig Erfolg“, sagte Matthias Günther, Leiter des auf die Erforschung von Wohnungsmärkten spezialisierten Hannoveraner Pestel-Instituts, unserer Redaktion. So seien etwa von der Baukostensenkungskommission kaum Vorschläge in der Praxis umgesetzt worden.
Bei einigen der rund 50 Teilnehmern des Bündnisses sitzt bereits der Frust tief. Groß war bei vielen die Freude, dass die dem Bau wieder ein eigenständiges Ministerium widmete. Doch nun geht es vielen Akteuren zu langsam – zumal beim Neubau von klimafreundlichen Häusern jüngst zum zweiten Mal in diesem Jahr die Mittel aufgebraucht waren und es zu einem Förderstopp gekommen ist.
Ampel-Koalition droht Wohnungsbauziel zu verfehlen
„Der dringend benötigte Wohnungsbau und die klimaschonende Sanierung stehen in Deutschland kurz vor dem Erliegen“, sagte Axel Gedaschko, Präsident des Spitzenverbandes der Wohnungswirtschaft GdW. Vom Bund Deutscher Baumeister, Architekten und Ingenieure (BDB) hieß es, dass laut einer aktuellen Umfrage unter 8000 Verbandsmitgliedern mehr als jede zweite Firma davon berichtet, dass aufgrund der wirtschaftlichen Krise Aufträge verloren gingen.
„Mehr Wohnungen gibt es nur, wenn der Bau auch genug Leute hat, die sie bauen. Aber genau daran hapert es schon lange. Fehlende Bauarbeiter werden mehr und mehr zum Risiko für den Wohnungsbau", sagte IG-BAU-Chef Robert Feiger unserer Redaktion. Er sprach sich für eine gute Bezahlung aus, um die Baubranche attraktiv für junge Menschen oder Fachkräfte aus dem Ausland zu machen.
„Wenn die Ampel-Koalition weiter wie bisher macht, wird sie keine Chance haben, ihr Ziele von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr und davon 100.000 neuen Sozialwohnungen zu erreichen“, warnt Günther. Die Arbeit im Bauministerium sei „träge“. Dabei habe der Bund Möglichkeiten, schnell zu helfen. „Stellplatzpflichten, Abstandsregelungen oder auch zu viele Vorgaben bei der Dachaufstockung bremsen die Bauwirtschaft aus“, sagte Günther. Auch müssten Kommunen bessere Möglichkeiten bekommen, um Leerstand zu bekämpfen.
Geywitz: Bund kann nicht alle Folgen abfedern
Der Bestand liefere gerade in Zeiten von Homeoffice durch Umwandlung von Büroräumen oder Dachaufstockungen Potenziale von rund 150.000 neuen Wohnungen pro Jahr. Diese Potenziale würden aber derzeit lediglich zu einem Fünftel gehoben, kritisierte Günther. Er sieht auf Geywitz einen besonderen Druck lasten: „Klara Geywitz ist angetreten, um ein Topziel des Kanzlers zu erfüllen. Scheitert sie, dann ist das auch eine Niederlage für Olaf Scholz.“
Geywitz selbst allerdings ist zuversichtlich, dass ihr Bündnis am Ende zum Erfolg führen wird. „Wir sind kein Show-Bündnis. Wir müssen liefern und deshalb ab jetzt bauen“, sagte sie. Bauen müsse einfacher und unbürokratischer werden, helfe solle eine Novelle des Baugesetzbuches. Alle Kriegsfolgen allerdings werde der Bund auch beim Wohnungsbau nicht abfedern können: „Wir können nicht einzelne Baustoffe subventionieren“, sagte Geywitz.