Gelsenkirchen. Einst war sie hier untergebracht, jetzt arbeitet sie in einer Gelsenkirchener Notunterkunft: Ukrainerin Alina Nechepurenko zeigt, wie es geht.

Der Raum mit der Nummer 106 war einst ihr Schlafplatz. Als Alina Nechepurenko das ehemalige Klassenzimmer wieder betritt, da kommen die Erinnerungen hoch. Es sind gute Erinnerungen. Obwohl sie hier nur wenige Quadratmeter für sich, ihren Sohn und ihre Mutter hatte, etwas Privatsphäre nur durch einen dünnen Planenvorhang gegeben war. Und obwohl der Anlass, der die Ukrainerin in die Notunterkunft an der Mehringstraße brachte, so furchtbar ist – die russische Attacke auf die Ukraine jährt sich am heutigen 24. Februar zum zweiten Mal. „Aber hier in der Unterkunft war es gut, hier haben alle die gleichen Probleme und wir können miteinander reden“, sagt Nechepurenko. „Dieses Camp hier gibt vielen etwas Gutes, ich habe hier viele Freunde gefunden.“

Wir treffen Alina Nechepurenko nicht zum ersten Mal. Im Juli 2023 lernen wir die damals 32-Jährige während eines Pressegesprächs beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) kennen. Sie erzählt damals davon, dass sie vor dem Krieg eigentlich einen eigenen Beauty-Salon habe öffnen wollen, aber dann hier in Deutschland als Ehrenamtlerin beim DRK eine neue Bestimmung gefunden habe. Jetzt ist die Arbeit beim DRK ihr Vollzeit-Job. Sie hat den Arbeitsvertrag im November 2023 unterschrieben, arbeitet seitdem als Betreuerin in der Unterkunft, die vor nicht allzu langer Zeit auch ihr Zuhause war.

Alina Nechepurenko arbeitet jetzt hauptberuflich für das Deutsche Rote Kreuz (DRK) in Gelsenkirchen.
Alina Nechepurenko arbeitet jetzt hauptberuflich für das Deutsche Rote Kreuz (DRK) in Gelsenkirchen. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

An diesem Tag hat Alina Nechepurenko Frühschicht. Sie ist, gemeinsam mit einem Kollegen, von 6 bis 14 Uhr an der Mehringstraße – um das Frühstück und Mittagessen zu organisieren, um Zimmerkontrollen durchzuführen, um Ware einzuräumen und für Ordnung zu sorgen, vor allem aber, um Fragen der aktuell 121 Bewohner zu beantworten. Eine ältere Dame bittet sie, das Fenster in der ersten Etage des Schulfoyers zu schließen, der andere hat Verständnisprobleme bei Behördenpapieren. Ein Ukrainer – da kann Alina Nechepurenk in ihrer Muttersprache besonders schnell helfen. Und wenn jemand nur Arabisch, Türkisch, Mandarin spricht? „Wir schaffen das trotzdem“, sagt Nechepurenko. Sie sei ja selbst in der Situation gewesen, dass sie kein Betreuer versteht. „Mit Händen, mit Füßen, mit Geduld – irgendwie geht es immer.“

Die Notunterkunft an der Mehringstraße: Die ehemalige Hauptschule wird mittlerweile von verschiedensten Nationen bewohnt.
Die Notunterkunft an der Mehringstraße: Die ehemalige Hauptschule wird mittlerweile von verschiedensten Nationen bewohnt. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Anfangs war die Mehringschule in Scholven eine Unterkunft, die nur für Ukrainer gedacht war, vor allem für Familien. Angesichts der wachsenden Flüchtlingszahlen musste die Stadt umplanen, jetzt leben hier zwar anteilig immer noch am meisten Ukrainer (43), aber auch Syrer, Türken, Ägypter und Albaner, Aserbaidschaner, Georgier, Kosovaren, Libanesen und Nordmazedonier. Auf den Bierzeltgarnituren im Schulfoyer sitzen Frauengruppen mit Kopftuch, Paare neben ihren Kinderwagen, Männergruppen, die gerade Deutsch lernen. Konflikte gibt es nicht, meint Alina Nechepurenk. „Ist doch egal, welche Nationalität.“

„Unsere Leute, ukrainische Leute, schaffen alles!“

Sie führt uns zu dem Spielraum für die Kinder, die Umkleiden der einstigen Turnhalle, dort, wo die Waschmaschinen stehen. Natürlich – es handelt sich um ein sichtlich in die Jahre gekommenes Schulgebäude. „Das ist kein Luxus, aber die Leute haben, was sie brauchen.“ Außerdem wird die Tristheit an vielen Stellen überklebt, von bunten Basteleien und Malereien der vielen Kinder. Ihr eigener Sohn? Der sei mittlerweile neun Jahre alt, sagt Alina Nechepurenko. „Er geht jetzt in eine normale Klasse“, also keine Internationale Förderklasse mehr. Natürlich sei es für ihn da nicht ganz so einfach, alleine wegen der Sprache. „Manchmal hat er Probleme und denkt, er ist alleine als Ukrainer“, erzählt sie. „Aber ich sage: Integrieren, integrieren!“

An vielen Stellen in der Flüchtlingsunterkunft werden Basteleien der Kinder präsentiert.
An vielen Stellen in der Flüchtlingsunterkunft werden Basteleien der Kinder präsentiert. © WAZ | Gordon Wüllner-Adomako

„Auch ich gucke immer weiter“, sagt sie. „Wenn ich Zeit habe, lerne ich weiter Deutsch. Immer weiter, weiter“. Bald das Sprachniveau C1 zu bekommen, danach auch C2, das sei ihr Ziel. Einen weiteren Kurs besucht sie derzeit nicht, sie lernt eigenständig mit Apps, Büchern. „Lerne dieses Deutsch!“, das sei einer der ersten Ratschläge, den sie Neuankömmlingen in der Unterkunft gebe.

Zuletzt in der Ukraine war Alina Nechepurenko erst im Dezember letzten Jahres, für wenige Tage. Sie wohnte nah an der russischen Grenze. Als sie den Friedhof besuchte, las sie auf den Grabsteinen viele bekannte Namen. „Viele Menschen, die ich kenne, sind tot“ Sie waren Soldaten und starben an der Front.“ Ihr Mann sei seit dem letzten Sommer dort. „Er ist auch Soldat.“ Seit ihrer Flucht vor fast zwei Jahren ist die Familie getrennt. „Das ist Stress, wir haben Sorgen“, sagt sie. „Ob unser Sohn am nächsten Tag mit seinem Papa spricht, wissen wir nicht.“

Aber zu viel darüber reden, das wolle sie nicht. Nach vorne gucken, darum gehe es. „Unsere Leute, ukrainische Leute, schaffen alles!“

Belegungszahlen Flüchtlingsunterkünfte

In der Mehringschule gibt es insgesamt 342 Plätze. Sie ist aktuell zu 35 Prozent ausgelastet, 121 Plätze sind belegt. Die andere Notunterkunft in der Stadt, die Emscher-Lippe-Halle, ist zu 69 Prozent belegt. Hier wohnen aktuell 155 Menschen, 226 Plätze gibt es.

In den regulären Flüchtlingsunterkünften sieht es wie folgt aus: Die Katernberger Straße ist zu 98 Prozent ausgelastet (200 von 204 Plätzen belegt), die Adenauerallee zu 91 Prozent (120 von 132 Plätzen belegt).