Gelsenkirchen. Gelsenkirchener Ratsdebatten sind oft hitzig. Aber jetzt ist es sogar fast zu einer körperlichen Auseinandersetzung gekommen.
Die Emotionen sind im Gelsenkirchener Stadtrat schon oft hochgekocht. Aber jetzt ist die Kommunalpolitik an einem neuen Tiefpunkt angelangt: Nach einigen heftigen Wortentgleisungen ist es am Donnerstagabend (15. Februar) beinahe zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen WIN-Fraktionsgeschäftsführer Ali-Riza Akyol und dem CDU-Fraktionsvorsitzenden Sascha Kurth gekommen. Nach einer fast einstündigen Sitzungspause und einer Beratung im Ältestenrat verkündete die sitzungsleitende Oberbürgermeisterin Karin Welge ihre Entscheidung, Akyol von der Sitzung auszuschließen.
Selbst abgesehen von dieser Eskalation war es eine besonders hitzige Sitzung. Das lag zum einen an mehreren (abgesetzten) Anträgen von Akyol, in denen es um Themen wie Korruptionsprävention oder Compliance ging. Vor allem aber an der sogenannten „Trierer Erklärung des Deutschen Städtetags“. Diese wurde infolge des Geheimtreffens in Potsdam beschlossen, das in den vergangenen Wochen hunderttausende Menschen in Deutschland gegen die AfD und Rechtsextremismus auf die Straßen brachte. SPD, CDU, Grüne und FDP forderten in einem gemeinsamen Antrag nun, sich der Erklärung anzuschließen, um ein Zeichen für Menschenwürde, Demokratie und den Rechtsstaat zu setzen – und gegen die AfD.
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„Die aktuelle Demokratiebewegung ist weder ein gehypter Trend noch eine Inszenierung der Regierung. Sie ist eine längst überfällige Selbstvergewisserung für uns als vielfältige und komplexe Gesellschaft darüber, was uns im Kern zusammenhält“, erklärte etwa die Grünen-Fraktionsvorsitzende Adrianna Gorczyk zu dem Antrag. Wenig später sprach Dirk Klante, stellvertretender Vorsitzender der AfD-Fraktion, mit Blick auf die Berichte des Rechercheportals „Correctiv“ über das private Geheimtreffen sowie die folgenden Demos von einer „nie dagewesenen Hetz-, Verdrehungs-, und-Lügenkampagne“ gegen die AfD. Seine Fraktion legte eine eigene Erklärung mit dem Titel „Gelsenkirchener Erklärung für offenen Diskurs und faktenbasierte Meinungsvielfalt“ vor, in der „Correctiv“ der Lüge bezichtigt und „gegenseitiger Respekt“ eingefordert wird.
„Halt du doch die Klappe!“ - große Aufregung im Gelsenkirchener Stadtrat
Als dann aber auch noch Ali-Riza Akyol erklärte, warum er der „Trierer Erklärung“ nicht zustimmen wollte, kochte die Stimmung noch mehr hoch. Akyol stellte dar, wie „unerträglich“ islamfeindlich die Stimmung in Deutschland seit Jahren sei, dass insbesondere die Medien ihren Teil dazu beigetragen hätten, aber auch Persönlichkeiten wie die Soziologin Necla Kelek, die sich 2010 auf umstrittene Weise zur Sexualmoral im Islam äußerte („die Menschen haben nicht die Fähigkeit, ihre Sexualität zu kontrollieren“). Kelek bekam einst den Freiheitspreis der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung verliehen, was Akyol dazu brachte, die FDP mit der AfD gleichzusetzen. „Ich mache da keinen großen Unterschied.“ Christoph Klug (FDP) empfahl Akyol folgend, als Pressesprecher der AfD anzuheuern.
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Die Debatte sollte wenig später eigentlich auf Antrag der SPD beendet werden. Aber dann artete es völlig aus. Dirk Klante (AfD) wollte sich in einer persönlichen Erklärung dagegen wehren, dass seiner Fraktion seitens FDP-Mann Klug vorgeworfen wurde, das Grundgesetz nicht zu achten – was wiederum Protest der anderen Fraktionen auslöste. Akyol sprang Klante bei und betonte, er habe ja das Recht, sich zu verteidigen. Cornelia Keisel von der Ratsgruppe „Tierschutz Hier!“ schien die weitere Verzögerung der Debatte nicht mehr hinnehmen zu wollen und rief Akyol zu: „Jetzt halt doch einfach mal die Klappe!“, Akyol konterte mit „Halt du doch die Klappe!“ – es folgte große Aufregung im Saal.
Eklat im Gelsenkirchener Stadtrat: Vier Ordnungskräfte im Einsatz
Die aufgeheizte Stimmung veranlasste OB Welge, die Sitzung zu unterbrechen. Folgend ging sie unter Anwesenheit aller Ratsmitglieder zu Akyol, um ihm deutlich zu machen: „Ganz ehrlich, das geht nicht.“ Akyol wiederum konterte mit den Worten: „Sie beraten in dieser Form mit mir? Haben Sie eigentlich noch alle Tassen im Schrank!“ Folgend war nur noch ein unverständliches Geschreie im Rat zu hören, das Verhalten des CDU-Fraktionsvorsitzenden Sascha Kurth schien Akyol aber offenbar zu signalisieren, dass ihn dieser zu einer körperlichen Auseinandersetzung herausfordern wollte. Akyol schrie nur noch: „Komm her! Komm doch!“ Mehrere Stadtverordnete gingen dazwischen und versuchten, die Situation zu beruhigen. Kurth meinte später, von ihm sei keine Aggression ausgegangen, er habe sich nur verbal gegen Beleidigungen seiner Fraktion gewehrt.
Vier Einsatzkräfte des Kommunalen Ordnungsdienst erschienen kurze Zeit später und verblieben bis zur Fortsetzung der Sitzung im Saal. Akyol hat nun die Möglichkeit, innerhalb von sieben Tagen eine Stellungnahme zu dem Vorfall und seinem Ausschluss abzugeben. Er musste den Saal nach der einstündigen Sitzungspause für den Rest des Abends verlassen.
Die „Trierer Erklärung“ wurde mit Gegenstimmen der AfD und Enthaltung der Linken und WIN angenommen. Die Uhr zeigte mittlerweile fast 19.30 Uhr. Der Rat hatte den ersten von 11 Tagesordnungspunkten abgearbeitet.
Lesen Sie auch den Kommentar von Redaktionsleiter Sinan Sat: „Ein historischer Tiefpunkt in Gelsenkirchen“.