Gelsenkirchen. Gelsenkirchens AfD-Fraktion versuchte im Stadtrat, zig Tagesordnungspunkte abzusetzen – was letztlich zu emotionalen Ausbrüchen führte.
Einmaliger Vorgang in der Sitzung des Gelsenkirchener Stadtrats am Donnerstag: Die AfD-Fraktion hat versucht, rund ein Dutzend Tagesordnungspunkte abzusetzen und dies detailreich zu begründen – was dazu führte, dass sich in einer ohnehin thematisch prall gefüllten Sitzung alleine zwei Stunden nur mit der Frage auseinandergesetzt wurde, welche Themen überhaupt debattiert werden sollen. Was von den anderen Fraktionen als „demokratiezersetzend“, „unwürdiges Theater“ oder „Erkenntnis der eigenen Machtlosigkeit“ bezeichnet wurde, ließ die Wut zwischenzeitlich so hochkochen, dass sich Ratsherren angeschrien und beleidigt haben.
Für die anderen Fraktionen war klar: Die Strategie der AfD war die Retourkutsche für den Umgang der anderen Parteien mit der Sonderratssitzung der AfD am 7. März. Zur Erinnerung: Die AfD hatte verlangt, dass der Rat in voller Größe zusammenkommt, um aus ihrer Sicht besonders dringliche Fragen zu klären. Etwa forderte sie einen aktuellen Stand zur Umsetzung von Livestreams der Ratssitzungen oder die Aussetzung des Klimanotstands. Die Tagesordnungspunkte wurden von den anderen Fraktionen jedoch entweder in andere Gremien verschoben oder abgesetzt. Lesen Sie auch: Kommentar: AfD Gelsenkirchen veranstaltet ein unnötiges Theater
AfD Gelsenkirchen will zig Anträge ablehnen – und argumentiert mit Klimabelastung
Nun also die Vergeltung der AfD – mit der sie, wie es Fraktionschef Preuß formulierte, „von ihrem geschäftsordnungsgegebenen Recht Gebrauch machte“. Dabei versuchte die Fraktion Tagesordnungspunkte abzusetzen, denen sie zuvor in Ausschüssen teils zugestimmt hatte. Und begründete dies mit teils überraschenden Argumenten.
Fraktionschef Jan Preuß, der sich in der Begründung der Ablehnungsanträge mit Tobias Obernyer abwechselte, unterstrich seine Forderung, nicht über die eingeplanten verkaufsoffenen Sonntage in Gelsenkirchen im Rat reden zu wollen, beispielsweise damit, dass Verbraucher aufgrund des Ukraine-Kriegs „mit steigenden Lebensmittel- und Benzinpreisen ohnehin genug belastet“ seien. Zudem würden Sonderöffnungstage eine „zusätzliche Klimabelastung“ bedeuten.
Gelsenkirchens OB Karin Welge machte deutlich, was sie von der AfD-Strategie hält
„Für mich ist Demokratie weiterhin ein seriöses Anliegen, da habe ich heute meine Zweifel bekommen“, sagte Oberbürgermeisterin Karin Welge im Laufe der Sitzung – und machte, so weit es ihr im Rahmen des Neutralitätsgebots möglich war, deutlich, was sie von der Herangehensweise der AfD hält. Anlässlich der „unsäglichen weltpolitischen Lage“ und „wichtigen Dinge“ auf der Rats-Agenda sei sie „nicht gerade hoch erfreut, dass sie die Sitzung so in die Länge ziehen“, sagte Welge Richtung AfD-Fraktion.
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Nach einer Handvoll Ablehnungsanträge versuchten die anderen Fraktionen das Vorgehen der AfD zu stoppen. Lukas Günther, Vize-Fraktionschef der SPD, beantragte, die Redezeit zur Tagesordnung auf zehn Sekunden zu verkürzen – eine Idee, die auch rechtliche Unsicherheit auslöste. Würde ein so begrenztes Rederecht der AfD ermöglichen, gegen die getroffenen Beschlüsse im Rat zu klagen? In einer kurzfristig einberufenen Pause versuchte man sich schnellstmöglich zu beraten, was Lukas Günther dazu veranlasste, lediglich die Verkürzung der Redezeit auf 60 Sekunden zu fordern.
„Halt die Fresse“, „Gossensprache“: Der emotionale Höhepunkt einer denkwürdigen Ratssitzung
Auch das löste bei der AfD erwartbaren Protest aus. Das Argument: Die Redezeit sei kein Schieberegler, den man während der laufenden Diskussion nach Belieben bedienen könne. Ähnlich erwartbar jedoch: Dass Günthers Antrag breite Zustimmung fand.
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Die AfD hatte folglich also nur noch 60 Sekunden Zeit, ihre Ablehnungsanträge zu begründen. Und setzte ihren Ablehnungsmarathon so eben mit etwas weniger detaillierten Ausführungen weiter fort. Was die Stimmung im Rat letztlich so sehr erhitzte, dass sich Christopher Klug von der FDP nicht verkneifen konnte, von der AfD einzufordern, „die Fresse zu halten.“
Große Empörung löste das bei AfD-Ratsherr Dirk Klante aus, der die Fassung verlor, aufsprang und Klug hinter seinem Face Shield anschrie. Dass sich Klug eine solchen „Gossensprache zu eigen mache“, sei nicht zu tolerieren, erklärte er anschließend am Mikrofon. Der emotionale Höhepunkt einer zweifellos denkwürdigen Ratssitzung.