Gelsenkirchen. Rumänin Corina Craciun führt ein bescheidenes Leben in Gelsenkirchen-Rotthausen – und ein selbstbestimmtes. Das ist nicht selbstverständlich.

Wenn Gäste kommen, dann muss Corina Craciun die Möbel verschieben. Viel Platz hat die alleinerziehende Rumänin nicht in ihrer Erdgeschosswohnung direkt an einer viel befahrenen Rotthauser Straße – sie schläft zusammen mit ihrer jugendlichen Tochter in einem Raum, der Sohn schläft auf der Couch, wo sich tagsüber die kranke Großmutter von ihrer Krebs-Operation erholt. Direkt neben dem Schalke-04-Kissen.

Es ist ein bescheidenes Leben. Aber ein glückliches. „Ich kann sagen: Gott sei Dank bin ich hier.“

Corina Craciun kam 2009 nach Gelsenkirchen. Das war zwei Jahre nach dem EU-Beitritt Rumäniens, aber fünf Jahre vor der uneingeschränkten Arbeitnehmerfreizügigkeit, durch die noch mal sehr viel mehr Südosteuropäer nach Gelsenkirchen gekommen sind. Hier in der Emscherstadt, da hätten Verwandte ihres Ex-Mannes gewohnt, sagt Craciun. „Die haben erzählt, dass Gelsenkirchen eine gute Stadt ist, dass rumänische Leute hier Arbeit finden können.“

„Der Mann ist der Chef, die Frau ist der Sklave“ – Roma-Frau hatte genug

Aber Corina Craciun sollte überhaupt nicht arbeiten, wenn es nach ihrem Mann ging. „Als Roma-Frau ist das Leben sehr schwer“, sagt sie – nicht vorrangig, weil die Bevölkerungsgruppe in ihrer Heimat systematisch unterdrückt wird, weil sie dort oft unter schwierigen Verhältnissen leben muss. Sondern sie hatte vor allem ein Problem mit ihrer Rolle als Frau, mit der paternalistischen Tradition ihrer Heimat. „In der Roma-Kultur muss die Frau zu Hause kochen, sauber machen, auf die Kinder aufpassen – und sonst nichts.“ Sie bringt es auf eine einfache Formel: „Der Mann ist der Chef, die Frau ist der Sklave.“ Kein Wunder, dass die 45-Jährige da sagt: „Unter tausend Männern, da ist einer gut.“

Seit 2016 aber ist Corina Craciun geschieden. Ein Jahr später machte sie einen Deutsch-Kurs. Es folgten der Führerschein, die Maßnahme beim Jobcenter, die Ausbildung. Und heute arbeitet sie in einem Gelsenkirchener Betrieb als Pflegeassistentin. „Ich hatte anfangs etwas Angst zu arbeiten, weil da 80 Prozent Deutsche sind“, sagt die gläubige Baptistin, die privat vor allem mit anderen rumänischen Frauen Zeit verbringt, die sie aus ihrer Gemeinde in Essen-Kray kennt. Aber so etwas wie Ausgrenzung, Rassismus, Antiziganismus – das habe sie nie erlebt, nicht in Gelsenkirchen.

„Ich bin stolz auf sie“, sagt ihre 13-jährige Tochter über ihre Mutter. „Sie ist durch so viel Stress gegangen. Dass sie das alles geschafft hat und dann auch noch eine Arbeit kriegt – geil!“ Motiviert fühle sie sich dadurch, ihren eigenen Weg zu gehen. „Ich liebe Tiere, will Tierärztin werden“, sagt sie, während der kleine Malteser, der Familienhund Fuffi, unter dem Tisch herumschnüffelt.

Die Awo Gelsenkirchen konnte ihr helfen, jetzt hilft sie anderen als „Gesundheitslotsin“

Unterstützung bekommt die Familie bis heute von der Awo, die in Rotthausen ihr Quartier an der Schonnebecker Straße bei der Evangelischen Jugend hat. Erst neulich konnten die Awo-Familienbegleiterinnen von dort wieder helfen, als die Tochter einige Probleme in der Schule hatte. Weil die Awo-Kräfte selbst rumänischen Hintergrund haben, können sie schnell eine Beziehung aufbauen.

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Dass ein Wohlfahrtsträger in einem Stadtteil unterwegs ist, um Rumänen wie ihr auf die Beine zu helfen, das sei damals für sie etwas ganz Neues gewesen, sagt Corina Craciun. „Viele glauben, dass so etwas was kostet“, sagt sie. „Viele Leute helfen nicht umsonst, du musst da etwas bezahlen.“ Mittlerweile engagiert sich selbst ehrenamtlich, hat bei dem Awo-Projekt „Gesund und munter“ mitgemacht, um als „Gesundheitslotsin“ geschult zu werden. In dieser Aufgabe informiert sie vor allem ihre Landsleute über Gesundheitsfragen und das komplizierte deutsche Gesundheitssystem. Als Pflege-Fachkraft, da kennt sie sich bei solchen Themen natürlich aus.

Der eigene Lebensweg, der eigene Job – und eine glückliche Familie: Corina Craciun hat auch noch eine erwachsene Tochter, die mit ihrem Mann und ihren Kindern in Essen lebt. „Sie hat ein guten Mann“, sagt Craciun. „Er geht arbeiten, hilft viel zu Hause.“ Ist es der eine unter Tausend? „Ja“, sagt sie und lacht laut.

Was sie sich selbst jetzt noch wünscht? Eine größere Wohnung vielleicht, eine, in der man nicht die Möbel verrücken muss. Aber ansonsten? „Ich liebe das Leben hier“, sagt sie. „Ich kann sagen: Jetzt lebe ich.“