Gelsenkirchen. Viele Rumänen und Bulgaren in Gelsenkirchen erhalten Regelleistungen vom Staat. Helfen da Förderprogramme? Darüber streiten AfD, SPD und Grüne.
Die Zuwanderung von armen Menschen aus Rumänien und Bulgarien, die den Weg über die EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Gelsenkirchen finden, ist und bleibt eines der umstrittensten Themen in der Stadt. Ein NRW-Programm mit dem Titel „Zuwanderung aus Südosteuropa“ zielt darauf ab, diese Menschen in 21 geförderten Kommunen, darunter auch Gelsenkirchen, mehr in die Gesellschaft zu integrieren. Doch die AfD behauptet: „Teure Landesprogramme verpuffen wirkungslos“ – und stützt sich damit auf selbst erfragte Zahlen zum Zuzug von Rumänen und Bulgaren in den Förderkommunen.
Demnach ist die Zahl der Südosteuropäer in Gelsenkirchen in den vergangenen fünf Jahren deutlich gestiegen. Während Ende 2017 noch 2340 Bulgaren und 4360 Rumänen in Gelsenkirchen lebten, waren es Ende 2021 bereits 3700 Bulgaren und 5765 Rumänen.
So viele Rumänen und Bulgaren beantragen SGB-II-Leistungen in Gelsenkirchen
Hoch war und ist der Anteil der sogenannten Regelleistungsberechtigten, also der (erwachsenen und minderjährigen) Rumänen und Bulgaren, die Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld beanspruchen. Demnach waren 2017 insgesamt rund 1250 Bulgaren und 2350 Rumänen Leistungsempfänger; Ende 2021 waren es rund 2555 Bulgaren und rund 3555 Rumänen. Das ist ein Anteil von knapp 70 Prozent bei den Bulgaren und knapp 62 Prozent bei den Rumänen. 2017 war der Anteil geringer, damals waren es knapp 53 Prozent unter beiden Nationalitäten.
Die Kinder und alle Aufstocker, also diejenigen Personen, die trotz eines Jobs Leistung beziehen, lassen sich herausfiltern, indem man sich nur die Arbeitslosen und Arbeitssuchenden anschaut. Auch hierzu gibt es Zahlen. Demnach waren vor fünf Jahren knapp 945 Bulgaren und 1065 Rumänen arbeitslos oder auf der Suche nach Arbeit; 2021 traf dies auf 1710 Bulgaren und rund 1805 Rumänen zu. Auch das ist gegenwärtig immer noch ein Anteil von knapp 46 Prozent aller Bulgaren und 31 Prozent aller Rumänen.
Das hat in der Folge Auswirkungen auf die Höhe der Zahlungsansprüche von Bedarfsgemeinschaften, also auf die ausgezahlten SGB-II-Leistungen in Gelsenkirchen. Diese betrugen für den Personenkreis der Rumänen und Bulgaren in Gelsenkirchen im Jahr 2017 insgesamt knapp 14,98 Millionen Euro; im Jahr 2021 bereits 27,47 Millionen Euro.
AfD-Politikerin Seli-Zacharias: „Gelsenkirchen muss Bund und Land die Rote Karte zeigen“
Für die integrationspolitische Sprecherin der rechten AfD, Gelsenkirchens Landtagsabgeordnete Enxhi Seli-Zacharias, ist die EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit damit „faktisch eine Zuwanderung in die Sozialsysteme“; die Förderprogramme hält sie für verfehlt.
„In unserer Stadt zeigen sich die Herausforderungen mit diesen Armutsmigranten besonders deutlich“, sagt sie. „Als Kommune müssten von Gelsenkirchen ausgehend die Rote Karte in Richtung Land und Bund gezeigt werden und dann konsequent sämtliche freiwilligen Leistungen und Projekte für Armutszuwanderer mit sofortiger Wirkung einstampft werden. Das erwarte ich von der SPD!“ Stattdessen will Seli-Zacharias beobachten, dass die Sozialdemokraten das Thema der Armutsmigration weiterhin ignorieren.
SPD-Abgeordneter Watermeier wehrt sich gegen AfD-Vorwürfe: „Zu konstruktiver Arbeit nicht fähig“
Kontra bekommt die stellvertretende Vorsitzende der Gelsenkirchener AfD-Ratsfraktion von der adressierten SPD, die in NRW zwar auch in der Opposition sitzt, in Gelsenkirchen aber weiterhin die politisch stärkste Kraft ist. Seli-Zacharias‘ Äußerungen würden „wieder einmal zeigen, wie mit populistischen Methoden versucht wird, Stimmung gegen Menschen aus Südosteuropa zu machen“, teilte der direkt gewählte Gelsenkirchener Landtagsabgeordnete Sebastian Watermeier mit. Die AfD-Politikerin verschweige „mit voller Absicht“ positive Zahlen, „um das Narrativ der Einwanderung in die sozialen Sicherungssysteme aufrechtzuerhalten“.
So gehe aus der Antwort auf die AfD-Anfrage auch hervor, dass der Anteil der Rumänen und Bulgaren unter allen sozialversicherungspflichtig beschäftigten Ausländern in Gelsenkirchen gestiegen ist – in der Tat von 9,5 Prozent im Jahr 2017 auf 15,5 Prozent im Jahr 2022. Allerdings sagt das noch nichts darüber aus, wie viele Menschen aus Südosteuropa tatsächlich sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind. Watermeier wertet diese Zahlen dennoch als positive Entwicklung.
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„Zudem lässt sich der Erfolg des Förderprogramms ,Zuwanderung aus Südosteuropa‘, das sich eben nicht primär auf den Arbeitsmarkt richtet, sondern vor allem auf die Förderung der Teilhabe und Integration in den Quartieren abzielt, auch nicht an bloßen Arbeitsmarktzahlen abbilden“, merkt der SPD-Abgeordnete an. So seien über das Förderprogramm von 2017 bis 2022 insgesamt 1,8 Millionen Euro in Gelsenkirchens besonders betroffene Stadtteile geflossen – etwa für aufsuchende Sozialarbeit oder Konfliktlösung.
Grüne: Wer Förderprogramme einstampft, hat keinen Menschen mehr in Arbeit gebracht
Der Vorwurf, die SPD würde die Probleme bewusst verschweigen, sei „schlichtweg eine Lüge“, wehrt sich Watermeier zudem. „Fakt ist – die SPD vor Ort, im Land und im Bund kennt die Probleme, drückt sich nicht weg und reagiert mit einer Fülle von Maßnahmen und Instrumenten für die Integration der Zugewanderten aus Südosteuropa“, stellt der Sozialdemokrat aus seiner Sicht klar. Zu solch konstruktiver Arbeit sei die AfD weder fähig noch willig.
Auch die Grünen-Landtagsabgeordnete Ilayda Bostancieri will die Äußerungen der AfD nicht so stehen lassen – und fragt sich, warum die Schlussfolgerung aus den Zahlen sein sollte, die Förderprogramme aufzugeben. „Natürlich ist es zutreffend, dass seit 2017 die Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien in Gelsenkirchen stetig ansteigt und damit unterschiedliche, auch beträchtliche finanzielle, Herausforderungen einhergehen. Eben das ist der Grund, warum die Stadt in das Landesförderprogramm aufgenommen worden ist“, hält Bostancieri fest und stellt damit die Frage in den Raum, wie die Entwicklung ohne die Förderprogramme ausgesehen hätte.
Auch die Grüne macht darauf aufmerksam, dass es bei dem Förderprogramm um viel mehr gehe, als Rumänen und Bulgaren in Beschäftigung zu bringen. So gehe es etwa um den Einsatz von Nachbarschaftslotsen als Brückenbilder oder Integration durch Aufklärung zu Themen des Alltags. Für Bostancieri ist klar: „Wer das Landesförderprogramm einstellen will, stampft auch diese Maßnahmen ein und hat zudem keinen Menschen mehr in Arbeit gebracht.“