Gelsenkirchen. „In Rumänien sind Hunde keine Kuscheltiere“: Das hat Folgen für Gelsenkirchens gewandelte Gesellschaft. Doch diese zwei Profis wissen weiter.
Wenn die kräftige Schäferhündin Vegas aus dem Auto steigt, wild und quirlig umherhüpft, „bereit ist für die Arbeit“, wie ihr Halter Denis Wieser sagt, dann wird der Puls gerade jener Menschen steigen, die mit Hunden normalerweise nicht so viel anfangen können. Und die Zahl dieser Menschen dürfte gerade hier in Gelsenkirchen-Rotthausen in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen sein: Ohne deutsche Staatsangehörigkeit sind im Stadtteil mittlerweile doppelt so viele Personen wie noch vor einem Jahrzehnt. „Und in anderen Ländern, wie zum Beispiel Rumänien, sind Hunde nun mal keine Kuscheltiere“, sagt Horst Storb.
Besser bekannt unter seinem Spitznamen „Hotte“, gehörte Storb als Bezirksbeamter jahrelang zum Inventar Buers. Seit seiner Pension konzentriert er sich voll auf sein Ehrenamt, gibt vor allem Selbstbehauptungskurse für Mädchen und junge Frauen und hat nach eigenen Angaben „wohl schon so um die tausend Schülerinnen“ mit seinem selbst entwickelten Konzept gecoacht. Im Selbstbewusstsein gestärkt und für brenzlige Situationen gewappnet zu sein – das sollen auch diejenigen, die das „Hunde-Seminar“ besuchen, das „Hotte“ vor Kurzem erstmals mit seinem Kollegen Denis Wieser und in Kooperation mit der Awo angeboten hat.
Ehemaliger Polizist warnt: „Dann sind Übergriffe vorprogrammiert“
Gelsenkirchen ist bunt, ein Stadtteil wie Rotthausen besonders. „Und es gibt nun mal Länder, da werden Hunde eher benutzt, um sie auf andere zu hetzen, sie haben da eher eine Wachhundmentalität“, sagt Storb. Den Hund auch als „Freund“ kennenzulernen – das müssten viele Migranten erst einmal lernen. „Ihnen wird von vornherein implantiert: Vorsicht, Hunde beißen!“ Entsprechend würden die Vierbeiner anderswo auch nicht so gut behandelt wie in Deutschland. „Nicht umsonst ist es so, dass viele Tierfreunde Hunde aus Rumänien oder Bulgarien holen“, sagt der pensionierte Polizist. Diese Einstellung zum Tier würden dann natürlich auch Menschen mitbringen, die von dort kommen.
„Und wenn sie dann hier auf Halter stoßen, die meinen, man müsste den Hund überall frei herumlaufen lassen – dann sind Übergriffe vorprogrammiert“, warnt Storb. Der größte Fehler sei dann, wenn Eltern ihre Kinder aus Angst vor einem umherlaufenden Tier hochreißen. „Dann hat der Hund den Impuls, hochzuspringen. Aber wenn ich mich auf gewisse Weise verhalte, ist die Chance sehr gering, gebissen zu werden“, ergänzt Denis Wieser, der als Hundetrainer bei der Polizei gearbeitet hat. Auch wegrennen sollte man nicht, „sich eher ruhig verhalten und dem Hund die Seite oder den Rücken zeigen.“
Integration durch Hunde-Workshop: „Wollen zeigen, dass die Tiere zum Leben hier dazugehören“
Dass alle Hunde Kuscheltiere sind, wenn man nur richtig mit ihnen umgeht: Das ist allerdings gerade nicht das, was die beiden Männer in ihren Workshops zeigen wollen. „Es geht darum, den Mittelweg zu finden. Wir wollen einerseits klarmachen, dass die Hunde hier in Deutschland zum Leben dazugehören“, sagt Wieser. „Aber man sollte trotzdem nicht jeden Hund anfassen“ – auch dann nicht, wenn der Halter das Okay gibt. Es gebe genug Halter, die gar nicht wüssten, wie ihr Tier in jeder Situation reagiere. „Der tut nichts“ – das sei der häufigste Spruch vieler Hundebesitzer. „Und wenn dann doch etwas passiert, heißt es immer: Das tut er aber sonst nicht!“, weiß Kollege Storb.
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Eine Schäferhündin wie Vegas – die übrigens hätte in den falschen Händen natürlich ein besonders gefährliches Potenzial. Ein Profi wie Wieser hat sie unter Kontrolle, weiß, wie sie tickt. „Aber wir machen auch deutlich, wozu so ein Hund fähig ist, wenn er nicht unter vernünftiger Impulskontrolle steht“, sagt der 45-Jährige. Da man den Haltern aber immer nur vor den Kopf schauen könne, sei es auch „vollkommen okay, die Straßenseite zu wechseln oder im Wald eine andere Richtung einzuschlagen“, wenn ein freilaufender Hund entgegenkomme. Viele Leute hätten das Gefühl, dann schwach zu sein, viele würden sich dann selbst infrage stellen. „Wir wollen aber zeigen: Es ist auch vollkommen okay, der Situation aus dem Weg zu gehen.“
Stadt Gelsenkirchen hat Gesamtstrategie zur „Wahrung des sozialen Friedens“ gestartet
Die Awo will den Hunde-Workshop mit Wieser und Storb bald wiederholen. Angesprochen sind übrigens nicht nur Menschen mit Migrationshintergrund, sondern alle, die Angst vor Hunden haben. Beim ersten Workshop seien auch viele alteingesessene Gelsenkirchener aus dem Stadtteil dabei gewesen, heißt es seitens der Awo.
Auch für die Selbstbehauptungstrainings arbeiten Wieser und Storb mit der Awo zusammen. Diese sollen ab Montag, 19. Februar, einmal wöchentlich in Rotthausen stattfinden, „für Jugendliche, die sonst auf dem Bürgersteig ihre Freizeit verbringen.“ Geplant sind die Trainings immer montags ab 17 Uhr in Kooperation mit der Evangelischen Jugend und Gelsensport in der Turnhalle an der Schonnebecker Straße 25.
Die Trainings sind ein Baustein des großen Gesamtprojektes „GEmeinsam für Rotthausen“, das wiederum eine wichtige Säule der neuen städtischen Strategie zur „Wahrung des sozialen Friedens und Stärkung des Zusammenhalts in Gelsenkirchen“ bildet. Mit der im Oktober 2023 vorgestellten Strategie will die Stadt die Wende bei den großen Integrationsherausforderungen meistern – mittels zahlreicher neuer Stellen, engerer Vernetzung aller beteiligten Ressorts und einem Projektmix aus Repression und Prävention.