Gelsenkirchen-Schalke. Besuch in einem Selbstbehauptungsworkshop: In Schalke werden Schülerinnen stark gemacht. Warum es dafür einen pensionierten Polizisten braucht.

Xhemile, Anna, Karo, Jill, Loreen und ihre Mitschülerinnen werden gleich eine Doppelstunde der besonderen Art erleben. Es ist kurz nach zehn an einem Freitagmorgen, mitten in Schalke. Der gewöhnliche Stundenplan ist ausgesetzt, Horst Storb derweil längst bereit. Der pensionierte Bezirksbeamte, der vor Kurzem noch im Stadtnorden auf Streife ging, kümmert sich heute um das, was ihm am Herzen liegt, worin er jahrelange Erfahrung hat: Er will die Sechs und ihre Mitschülerinnen stark machen. Unterrichtsfach: Selbstbehauptung.

Selbstbehauptungsworkshop : So werden Mädchen in Schalke stark gemacht

„Mädchen werden so unter Druck gesetzt, das Frauenbild hat sich zum Schlechten verändert“, sagt Horst Storb, noch bevor die Schülerinnen den Klassenraum betreten. Sein Ziel ist, dass junge Mädchen und Frauen früh lernen, sich selbst zu behaupten, in einer Männerwelt. „Ich will Synapsen schalten, eine Veränderung von Bewusstsein erreichen“ – ob ihm das gelingt, in nur 90 Minuten?

Dass Horst Storb an die Antoniusschule gekommen ist, hatten die drei Gelsenkirchener Soroptimistinnen-Clubs erst möglich gemacht. Zum Orange Day, dem Internationalen Tag der Gewalt gegen Frauen, haben sie im vergangenen Jahr wieder verschiedene Aktionen initiiert. Der Erlös kommt in Form von Selbsbehauptungsworkshops rund 500 Gelsenkirchener Mädchen zugute – unter anderem eben auch den Schülerinnen der Antoniusschule.

Gelsenkirchen-Schalke: Zum Start des Workshops singt Peter Fox „Zukunft Pink“

Der Workshop nimmt Fahrt auf, die Mädchen haben Platz genommen. Spannung ist zu spüren, Horst Storb ist sofort da, nimmt seine 13 bis 16 Jahre alten Zuhörerinnen direkt mit. Peter Fox singt zur Einstimmung „Zukunft Pink“. Der ehemalige Polizeibeamte Storb erzählt aus seinem Leben, davon, dass er es geschafft hat, obwohl doch so viele Menschen auch aus seinem engsten Familienkreis viel zu lange nicht an ihn geglaubt hatten. „Ich habe meine Schwäche hinterher umgewandelt in Stärke“, sagt er energisch.

Immer wieder geht es um das „Selbst“, das Ich, immer wieder zeigt der selbstständige Trainer Storb, wie wichtig Selbstbehauptung eigentlich ist. Er fragt in die Runde: „Kannst du alles selbst bestimmen?“, die Mädchen zögern, denken nach, suchen nach Antwort, Karo liefert sie: „Nein!“ Storb reagiert sofort und kontert: „Ich sehe das anders!“ Denn: „Ich bestimme selbst, wie ich werde“, motiviert er.

Frauen und Mädchen würden „schlechter behandelt als Jungs“, Frauen werden bekanntermaßen in der Arbeitswelt schlechter bezahlt als ihre männlichen Kollegen, hätten weniger Wert. Horst Storb fragt: „Und, wie teuer bist du?“, wieder Schweigen, bis die 13-jährige Xhemile antwortet: „Ich bin unbezahlbar!“ Sie und Horst Storb schlagen ein. Es war genau die Antwort, die er hören wollte.

Horst Storb an der Antoniusschule in Gelsenkirchen-Schalke: „Ich bestimme selbst, wie ich werde.“
Horst Storb an der Antoniusschule in Gelsenkirchen-Schalke: „Ich bestimme selbst, wie ich werde.“ © FUNKE Foto Services | Christoph Wojtyczka

Es geht noch weiter, Horst Storb, so scheint es, ist gerade erst warm gelaufen. Immer wieder bringt er das Selbsterlebte aus seinen Dienstjahren mit ein, aber auch Privates, oder berichtet von seinen Reisen nach Indien: den Sikh-Frauen, die ihn beeindruckt haben, von Studierenden, die den Besten feiern und ohne Neid und Missgunst anerkennen – wertschätzen eben.

Die Mädchen, sie hören noch immer gebannt zu. Als Storb sie fragt: „Welche Ziele hast du?“ geraten manche von ihnen erneut ins Grübeln. Storb fragt direkter, spricht sie alle an. Anna weiß es schon: Sie will Ärztin werden, Chirurgin. Und Xhemile könnte sich eine Zukunft in der Altenpflege vorstellen. Anna und Xhemile nehmen an diesem Morgen in Schalke mit: Sie können alles werden, was sie wollen, wenn sie wollen.

Selbstverteidigung: Einfache Schutztechniken helfen schnell und effektiv

Und dann geht es weiter in die Praxis, Horst Storb zeigt den Mädchen einfache Schutztechniken, die bei Übergriffen helfen. Er zeigt leicht nachzumachende Bewegungen, die aus festen Tätergriffen befreien, gibt den Tipp, nicht nur um Hilfe zu rufen, sondern auch mal diesen Satz zu probieren: „Was soll das?“ So würden Zeugen schneller neugierig, seiner Erfahrung nach. Und wenn man dem Täter laut ins Ohr schreit, „bekommt der auch einen kleinen Schock“.

26 Kurse an Gelsenkirchener Schulen

Bis zum Sommer werden an der Antoniusschule, der Hauptschule Emmastraße, der Abendrealschule Ückendorf, der Gesamtschule Buer-Mitte, dem Berufskolleg Königstraße (Dependance Augustastraße), der Gesamtschule Ückendorf und dem Verein Mädchenzentrum Gelsenkirchen, das zumeist den Kontakt zu den Schulen hergestellt hat, insgesamt 26 Kurse stattfinden.

In Gelsenkirchen gibt es drei Soroptimist International Clubs (Gelsenkirchen, Gelsenkirchen-Buer, Gelsenkirchen/Ruhrgebiet). Hier engagieren sich rund 100 Frauen. Soroptimist International (SI) ist eine der weltweit größten Service-Organisationen berufstätiger Frauen, parteipolitisch und konfessionell neutral.

Als Horst Storb die Schülerinnen um Feedback bittet, sind 90 Minuten längst vergangen. Viele der Mädchen sind froh über den Unterricht in Sachen Selbstbehauptung, sagen sie, wollen nun viel von dem, was sie da zuletzt gelernt haben, umsetzen. „Ich werde auf jeden Fall was mitnehmen“, sagt die 16-jährige Loreen.