Gelsenkirchen-Buer. Horst „Hotte“ Storb, Bezirksbeamter in Gelsenkirchen-Buer, geht in Rente. Die WAZ begleitet ihn bei seiner letzten Streife auf der Hochstraße.
Einmal noch die Uniform anlegen. Einmal noch den Gang über die Hochstraße in Gelsenkirchen-Buer antreten, der lange dauert, weil Horst „Hotte“ Storb, Polizei-Bezirksbeamter, Dorfsheriff, in erster Linie Mensch, hier fast jeden kennt, alle zehn Meter stehenbleibt, ein Schwätzchen hält, nach dem Rechten sieht. Einmal noch, dann ist Schluss: Dann geht Horst Storb nach 40 Jahren Polizeidienst in den Ruhestand. Wobei: Ruhig wird der bestimmt nicht. Doch dazu später mehr. Erst einmal begleiten wir ihn durch sein Revier.
Sein Revier: Das ist seit dem Jahr 2008 Buer, vom Stadtwald im Osten bis zur Braukämperstraße im Westen, vor allem aber die Buersche City, die Hochstraße. An diesem Mittwoch geht er zum letzten Mal Streife hier, dann noch zwei Tage Innendienst, dann ist Schluss, „end of watch“, wie Storb sagt. „Seine“ Bueranerinnen und Bueraner können das kaum glauben. „Wie, Du gehst in Rente?“ fragt Isabell Böttcher. Sie betreibt an der Hochstraße einen Obst- und Gemüsestand, für sie war der Polizist eine feste Größe in Buer. „Der ist immer witzig und gut gelaunt“, sagt sie – und immer ein Ansprechpartner, wenn es mal Probleme gab.
Über Duisburg führte ihn der Berufsweg nach Gelsenkirchen
Bezirksbeamte sind die Polizisten, die noch am ehesten das alte Bild des „Schutzmanns“ bedienen, des Polizisten, der nicht im Streifenwagen vorbeibraust, sondern zu Fuß unterwegs ist, durch seine Uniform deutlich erkennbar ist, der ansprechbar, greifbar für die Menschen ist. Wer allerdings denkt, dass ihre Aufgabe allein darin besteht, Spaziergänge durch ihren Ort zu machen und Bürger zu ermahnen, wenn sie in der Fußgängerzone Fahrrad fahren, liegt ziemlich falsch. Natürlich gehöre das zum Job, sagt Storb. Aber auch etwa das Vollstrecken von Haftbefehlen: „Ich habe hunderte von Leuten verhaftet und eingesperrt“, sagt er.
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Horst Storb, gebürtiger Westerholter, ist über Umwege zur Polizei gekommen. „Ich habe erst auf dem Bau gearbeitet“, erzählt er. Auch Abenteuerlust sei dann der Grund gewesen, zur Polizei zu wechseln: „Mein erster Chef war Ulrich Wegener“, sagt er – Leiter der legendären GSG 9. Storb trainiert die Polizeihunde der Elitetruppe, nebenbei betreibt er mehrere Kampfsportarten. Ende der 1980er-Jahren fährt er in Duisburg Streife, lernt da Götz George kennen, der damals als Tatort-Kommissar Horst Schimanski für Wirbel sorgt. Storb spielt als Komparse in mehreren Tatorten mit.
„Ich spreche so, wie man eben hier redet“
Schimanski war für seine direkte Art berühmt-berüchtigt, und auch „Hotte“ Storb ist in seiner Ansprache nicht zimperlich. „Ich spreche die Leute so an, wie man hier eben redet“, sagt er. Ein Radfahrer auf der Hochstraße bekommt dann schon einmal ein „Hömma, wenn du nicht sofort absteigst, hasse gleich ein Loch im Reifen!“ zu hören – mit einem Augenzwinkern, natürlich.
Es ist kurz nach zehn auf der Hochstraße, bei schönem Wetter ist es ziemlich voll, Fußgänger müssen sich die Straße mit Lieferfahrzeugen teilen. Bis 11 Uhr darf per Auto angeliefert werden, nicht alle halten das ein. Storb weiß um die Nöte der Lieferanten, drückt oft ein Auge zu. „Das ist hier einfach schlecht geregelt“, sagt er. Vor dem Lindenkarree stehen zwei Handwerkerautos, sie behindern die Durchfahrt. Der Polizist versucht die Handwerker telefonisch zu erreichen, zunächst ohne Erfolg.
Beliebter Treffpunkt für Obdachlose in Buer
Kommunikation, das wird schnell klar, ist Storbs große Stärke. Der Polizist kann wirklich streng gucken – und dann absolut entwaffnend lachen. Inzwischen ist er am „Weißen Haus“ angelangt, der Obdachlosen-Beratungsstätte der Caritas. Die Wiese gegenüber ist ein beliebter Treffpunkt für Obdachlose und Drogenabhängige. Storb kennt die meisten, sie kennen ihn. Er wünscht einen guten Morgen, erkundigt sich nach dem Befinden, weist eher beiläufig auf etwas Müll hin, der auf dem Weg liegt. Keine fünf Minuten später ist ein Mann mit einem Rechen dabei, den Müll zusammenzukehren, Storb nickt zufrieden.
Beim Rückweg Richtung Goldbergplatz kommen Storb die beiden Handwerkerautos entgegen. Er hält sie an, spricht mit den Fahrern, erklärt, warum sie da, wo sie gestanden haben, nicht stehen können. Die Fahrer nicken, sind verständig: Ein Klaps auf die Schulter, dann dürfen sie weiterfahren.
„Ich brauche keine Pistole, ich bin Handwerker“
Zu fast jedem Haus an der Hochstraße, zu Ladenbesitzern und Bewohnern, weiß Storb eine Geschichte zu erzählen. Was macht so jemand im Ruhestand? Viel Zeit, das wird schnell klar, hat er dann nicht. Das Thema Gewaltprävention ist ihm ein großes Anliegen, er geht in Schulen, gibt Kurse für Feuerwehrleute, Rettungssanitäter, Bogestra-Mitarbeiter. „Das Aggressionspotenzial ist im Laufe der letzten Jahre gestiegen“, hat er festgestellt – er will seinen Beitrag leisten, das Problem zu bekämpfen.
Eine Gruppe von sechs oder sieben Jugendlichen kommt ihm entgegen, sie sehen den Beamten, grüßen leicht spöttisch, machen auf „dicke Hose“. Storb spricht sie freundlich an, fragt, ob alles in Ordnung sei, woher sie kommen, was sie denn einmal werden wollen. Ein paar antworten ernsthaft, andere glauben, sich weiterhin produzieren zu müssen. Einer witzelt, Storb solle die Gruppe doch einmal kontrollieren, jemand hätte ein Messer dabei, der Polizist solle doch besser seine Waffe ziehen. Storb schaut ihn fest an. „Ich brauche keine Pistole, ich bin Handwerker“, sagt er. Der Junge schaut zurück, lacht unsicher. Das „Auf Wiedersehen“ zur Verabschiedung klingt dann schon deutlich aufrichtiger als die leicht spöttische Begrüßung kurz zuvor.
Zwei Tage Innendienst stehen „Hotte“ Storb noch bevor, im März feiert er seinen Resturlaub ab, ab dem 1. April legt er die Uniform endgültig ab. Um sich Respekt zu verschaffen: Dazu hat er die Uniform nie gebraucht. Dazu musste er einfach nur so sein, wie er ist. Hier, in seinem Revier.