Gelsenkirchen. Ein Zug, ein Schluck – oder die Lust am Rausch. Welche Drogen konsumieren Gelsenkirchens Jugendliche? Warum „Proppers“ so hochgefährlich sind.
In vielen Familien ist es ein Tabu: Das eigene Kind, das Drogen nimmt?! Undenkbar, kann nicht sein, auf gar keinen Fall! Wie süchtig sind Gelsenkirchens Jugendliche? Was konsumieren sie? Gerrit Mahn kann Antworten geben, schließlich ist er ganz nah dran – als sogenannte Präventionsfachkraft in der Fachstelle für Suchtvorbeugung bei der Drogenberatung Kontaktcentrum besucht er die Grund-, Haupt-, Real-, und Gesamtschulen dieser Stadt, geht in die Klassen, hat den direkten Kontakt zu den Schülern. Gerrit Mahn sagt etwas, das Sorge bereiten muss: Die Nachfrage nach seinem Präventionsangebot, das er so gesehen im Auftrag der Stadt derzeit alleine ausführt, sie habe zuletzt „geballt“ zugenommen, seiner persönlichen Beobachtung nach außerdem auch der Konsum.
Im Rausch: Diese Drogen nehmen Jugendliche in Gelsenkirchen
„Wir sind bis zum Jahresende ausgebucht“, erklärt Gerrit Mahn an diesem sonnigen Nachmittag in den Räumlichkeiten der Drogenberatung an der Weberstraße 77. Im Alltag tauchen immer wieder neue Probleme auf, drängt vielfach die Zeit, ist unglaublich viel zu tun. In diesem Jahr würde es in der Prävention vielfach nur mehr darum gehen, „Brände zu löschen“, so Gerrit Mahn. Der Grund, auch hier: Corona.
Gerade ist er von der Vor-Ort-Beratung an einer Gelsenkirchener Schule zurück. Er war wie eigentlich immer nicht nur als Drogenberater unterwegs, sondern irgendwie auch als Sozialarbeiter, Zuhörer, Unterstützer. „Gute Präventionsarbeit bedeutet für mich, dass ich längerfristig in einer Klasse bin, der Beziehungsaspekt ist mir sehr wichtig, ich muss eine Bindung zu den Schülern aufbauen“, sagt der studierte Sozialarbeiter. Denn nur so entsteht Vertrauen.
Und das ist gerade bei einem so sensiblen Thema wie Drogenkonsum von elementarer Bedeutung. Nur wenn die Kinder und Jugendlichen das Gefühl haben, sich auf Gerrit Mahn verlassen zu können, sind sie auch bereit, sich zu öffnen.
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Und was sind nun die Substanzen, die die jungen Menschen favorisieren, die sie nutzen, um sich den Kick für den Augenblick oder den längeren Rausch zu verschaffen? „Die bekannten Drogen stehen bei den Jugendlichen nicht so im Vordergrund“, weiß Gerrit Mahn. Alkohol beispielsweise, mit dieser Droge würde ganz unterschiedlich umgegangen. Klar, sie ist immer noch Thema, aber die große Zeit des „Koma-Saufens“ sieht der 29-Jährige aktuell nicht mehr.
Es ist etwas anderes, das die jungen Menschen reizt: Basis ist die E-Zigarette. Nie war es leichter, einen Einstieg zu bekommen, so scheint es. Besonders die Einweg-Modelle erfreuen sich immer größerer Beliebtheit. Hier sind Akku und der Tank des Liquids bereits fest verbaut, die besonders süßen Geschmacksrichtungen tragen ihren Teil zur Popularität bei. Seit etwa drei Jahren beobachtet Gerrit Mahn schon diesen Trend, seit etwa zwei Jahren einen weiteren, der unmittelbar mit den E-Zigaretten verbunden ist.
Unberechenbare Reaktion bei „Proppers“
Bekannt ist der Stoff unter dem Szenenamen „Proppers“ (nicht zu verwechseln mit einer anderen Droge, die unter dem Namen „Poppers“ bekannt ist), „Baller-Liquid“ nennt es Gerrit Mahn. Hergestellt zumeist in China sind es synthetische Cannabinoide, die alles schöner machen – oder auch nicht. Einmal geraucht, können die Baller-Liquids eine schwer einschätzbare Wirkung entfalten, weiß der Präventions-Experte. „Sie wirken sehr individuell“, der Rausch dauere etwa 15 bis 20 Minuten, der Konsum könne mitunter zu starkem Erbrechen, Aggressionen bei manchen sogar zu kurzzeitigen Halluzinationen führen. Gerrit Mahn bezeichnet Proppers als „hochgefährlich“, auch, weil die Jugendlichen leicht daran kommen und, weil es zügiger abhängig mache als etwa Cannabis.
Und was machen die Fälle mit ihm, dem, der so nah dran ist, näher als in manchen Fällen die Eltern? „Es ist nicht so, dass mich der eine oder andere Fall nicht berührt“, ist Gerrit Mahn ehrlich. Ins Detail gehen darf er nicht, er nennt aber als einen Negativ-Punkt seiner Arbeit: Geht es um die schwereren Fälle, um die, denen an und von anderer Stelle geholfen werden muss, ist die Fachstelle für Suchtvorbeugung und somit auch Gerrit Mahn zunächst aus der Sache raus. „Das ist manchmal schwierig, wir erfahren nie: Sind die Jugendlichen gerettet?“
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Stichwort Eltern: Gerrit Mahn sieht ein großes Problem auch im Elternhaus. Da gebe es die vielen Eltern, die selbst einen Suchthintergrund haben, die mit kriminellem Hintergrund, die, die ihre Kinder sehr einschränken. Doch Sucht kann viele Ursachen haben, es ist nicht immer nur der eine Grund, der gerade die jungen Menschen nach Rausch suchen lässt. Denn diese Beobachtung hat Gerrit Mahn auch gemacht: Viele Jugendliche, mit denen er spricht, langweilen sich – „Was soll ich denn hier machen, hier in Gelsenkirchen gibt’s doch nichts“, sind Sätze, die der Sozialarbeiter schon häufiger gehört hat. Viele hätten kaum Freizeitverhalten, würden sich in Gruppen treffen, um zu konsumieren. Dabei gibt es Angebote in der Stadt, das Engagement in Sportvereinen beispielsweise, „das macht etwas aus“, weiß der Sozialarbeiter.
„Das ist der breiten Öffentlichkeit ja gar nicht klar: Wir unterliegen der Schweigepflicht, unser Angebot ist kostenfrei und anonym“, weiß der Sozialarbeiter. Und dennoch: Es sei immer noch sehr schambehaftet, sich in Sucht-Fragen Hilfe zu holen. Und da geht es Mahn nicht nur um die Betroffenen selbst, sondern auch um die Angehörigen, um Freunde und Familie.