Gelsenkirchen. Ein geflüchteter Syrer verliert seinen Schutzstatus. Grund: ein Sexualdelikt. Warum ein Gelsenkirchener Gericht den Bescheid aufhob.
Wer Straftaten begehe, habe sein Aufenthaltsrecht verwirkt. Mit dieser Forderung gehen nicht nur Rechtspopulisten auf Stimmungsfang. Eine Verschärfung von Abschiebeverfahren treibt aber auch die Ampelkoalition gerade voran, noch in dieser Woche stimmt der Bundestag darüber ab, der Gesetzesentwurf soll bereits im April in Kraft treten.
Syrer verliert Schutzstatus nach einem sexuellen Übergriff auf ein Mädchen (11) – Gelsenkirchener Gericht hebt Entscheidung auf
Straftat ist aber nicht gleich Straftat, eine Verallgemeinerung verbietet sich, wie jetzt der Fall eines straffällig gewordenen Syrers zeigt. Ihm hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) den Schutzstatus als Flüchtling entzogen. Das Gelsenkirchener Verwaltungsgericht hob den Bescheid auf, was vor allem in einschlägigen Internet-Foren für einen Sturm der Entrüstung sorgte. Zuerst berichtete das Medienportal „Nius“, für das heute Ex-“Bild“-Chef Julian Reichelt aktiv ist.
Gerichtssprecher Wolfgang Thewes erklärt, warum der Gelsenkirchener Richter so geurteilt hat. Er sagt: „Allein die rechtskräftige Verurteilung wegen einer Straftat führt nicht automatisch zum Verlust des Status.“ Die Prüfung sämtlicher besonderer Umstände des Einzelfalls sei notwendig. „Und diese Betrachtungen haben die Kammer zu einem anderen Ergebnis kommen lassen.“
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Die Faktenlage: Der Syrer, ein Mann mittleren Alters, hat ein damals elfjähriges, an Epilepsie erkranktes Mädchen in einer Drogerie in die Ecke gedrängt. Mit seiner linken Hand hat er ihr an die rechte Brust gefasst. Kameras haben den Vorfall aufgezeichnet. Der bis dato nicht vorbelastete Mann wurde darauf im Januar 2017 vom Landgericht Dortmund „wegen des sexuellen Missbrauchs in Tateinheit mit Körperverletzung“ zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten auf Bewährung verurteilt. Zuvor hatte der Mann in Untersuchungshaft gesessen.
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Das BAMF sah daraufhin die Voraussetzungen als erfüllt an, dem Verurteilten den Schutzstatus zu entziehen. Nach Paragraf 73 Abs. 5 des Asylgesetzes in Verbindung mit Paragraf 60 Abs. 8 des Aufenthaltsgesetzes kann der Status aufgehoben werden wegen „einer oder mehrerer Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte“. Voraussetzung dafür ist: unter anderem eine Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr und eine konkrete Wiederholungsgefahr.
Gerichte stufen Grapsch-Attacke als „Einmalversehen“ und „sexuelle Nötigung auf unterster Ebene“ ein
Sowohl die Dortmunder Straf- als auch der Gelsenkirchener Verwaltungsrichter kamen nach Sichtung des Videos zu dem Schluss, dass „der Übergriff nur geringe Intensität aufwies“. Sie gehe „nur wenig über eine bloße Belästigung hinaus und erreicht nicht das Gewicht einer Gewalttat“, zitiert Wolfgang Thewes aus dem Urteil. Es habe sich um ein „Einmalversehen“ gehandelt, „also um eine sexuelle Nötigung auf unterster Ebene.“
Das ist für den Gelsenkirchener Richter zwar eine erhebliche Straftat, es reicht aber nicht aus, den Status als Flüchtling aufzuheben. Dazu hätte, so die Begründung, die Beurteilung der eingangs erwähnten besonderen Umstände negativ ausfallen und eine Wiederholungsgefahr bestehen müssen. Die „hohe Rückfallwahrscheinlichkeit gerade bei Sexualstraftätern“ sei in dem Fall nicht durchschlagend. Schlussfolgerung des Gelsenkirchener Richters: keine konkrete Wiederholungsgefahr, keine ernsthaft drohende Gefahr für die Allgemeinheit. Der Bescheid des BAMF war damit rechtswidrig.
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Die Schwere einer Straftat wird im Allgemeinen danach bemessen, ob mit hoher krimineller Energie, besonderer Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Opfer oder etwa auch Arglist vorgegangen wurde. Das Maß der Gewaltbereitschaft oder beispielsweise die Ablehnung des geltenden Rechtssystems spielen ebenso eine Rolle.
Und: Selbst, wenn das Gelsenkirchener Urteil die zuvor getroffene Entscheidung des BAMF bestätigt hätte, wäre eine Abschiebung nicht erfolgt. Thewes: „Wegen des Krieges in Syrien greift so oder so ein Abschiebeverbot.“