Gelsenkirchen-Schalke. Millionen hat die neue Grundschule in Schalke gekostet. Vereinssport ist dort aber nicht möglich. Wie Bürokratie Clubs ausbremst.
Schalker Debakel: Kein Vereinssport in nagelneuer Turnhalle
61 Schulen gibt es in Gelsenkirchen, ein halbes Dutzend muss noch gebaut werden. Die Not, schnellstens ausreichend Plätze zur Verfügung zu stellen, ist groß. So groß, dass sich bei der Stadtverwaltung der Fokus zunächst einmal auf den reinen Schulbetrieb richtet. Vereinssport spielt in ihren Planungen nach eigenen Angaben daher eine untergeordnete Rolle. Diese Erfahrung hat jetzt der Turner-Club Gelsenkirchen 1874 (TCG) gemacht, mit rund 800 Mitgliedern einer der großen Clubs von insgesamt 270 Vereinen in der Emscherstadt.
Der TCG hatte gehofft, für seine Trampolinspringer die Doppelturnhalle der nagelneuen Gemeinschaftsgrundschule an Ebersteinstraße in Schalke nutzen zu dürfen - nach Absprache mit Gelsensport, wie TCG-Vorstand Sven Gutt berichtet. Geht aber nicht. Die Gründe dafür sind vielfältig: fehlende, weil zu aufwendige Gutachten, Zeitdruck, Platznot und Geld spielen eine Rolle in diesem bürokratischen Wust aus Vorschriften.
Vereinssport in neuer Schalker Turnhalle scheitert an Gutachten, Zeitdruck, Platznot und Geld
„22,5 Millionen Euro hat die Ebersteinschule gekostet“, sagt Harald Förster, Geschäftsführer der gemeinnützigen Gelsenkirchener Wohnungsbaugesellschaft (GGW). Die GGW ist Bauherr der Schule, Auftraggeberin die Stadt. Ihm zufolge ist die Nutzung der Doppelturnhalle ausschließlich für den Schulsport vorgesehen, das stehe auch so im Mietvertrag.
Klaus Lindner, Präsident von Gelsensport bestätigt die Faktenlage. Zugleich wundert er sich zusammen mit dem TCG-Vorstand Sven Gutt darüber, wie man angesichts so vieler maroder Hallen im Stadtgebiet zu der Entscheidung kommen kann, „Vereinssport bei der Planung und Errichtung einer neuen Schule mit einer großen und modernen Sporthalle nicht von vornherein mit einzuplanen.“
Spätestens hier beginnt der Bürokratie-Hickhack - denn:
- Schulsport erfordert ein einfaches Lärmgutachten, es ist mit wenig Zeit und Geld realisierbar.
- Vereinssport macht ein umfangreicheres, teureres Lärmgutachten nötig, viele Details sind zu berücksichtigen wie etwa:
- Wie viele Vereine/Trainierende nutzen die Hallen, zu welchen Zeiten unter der Woche und an Wochenenden?
- Werden Turniere ausgetragen und wenn ja, wann und wie viele?
- Mit welchem Zuschauer- oder Besucheraufkommen ist bei Wettkämpfen zu rechnen?
- Wie hoch ist der Lärmpegel von zuschlagenden Autotüren, von Stimmen sich unterhaltender Menschen und Fans?
- Für die Sporthallennutzung durch Vereine braucht es daher zusätzliche Park- und Stellplätze, das heißt, man braucht mehr Platz und mehr Geld.
- Die Sportstättenverordnung sieht für Turn- und Sporthallen einen Kfz-Stellplatz je 50 Quadratmeter sowie je einen Fahrrad-Stellplatz je 20 Quadratmeter Sportfläche vor.
- Pro Stellplatz sind dann 20 Kfz-Besucherparkplätze und 10 Fahrradstellplätze vonnöten.
- Mindestens zwei Kfz-Stellplätze für Menschen mit Behinderung kommen hinzu.
Fehlende Stellplätze: So teuer
Nicht, dass eine vorausschauende Planung mit Vereinsport die Baukosten für die neue Schalker Schule mitsamt Doppelturnhalle wesentlich in die Höhe getrieben hätte. Harald Förster bezifferte den Mehrbetrag auf insgesamt etwa 250.000 bis 300.000 Euro, Grundstückskauf inklusive. „Aber die Fertigstellung der Schule hätte sich dann um gut ein Jahr verzögert“, erwähnt der GGW-Chef den maßgeblichen Grund für den Ausschluss des Vereinssports. Die Inbetriebnahme der Gemeinschaftsgrundschule im August des vergangenen Jahres wäre damit hinfällig geworden – angesichts der akuten Platznot war ein späterer Start für die Stadt keine Option: „Der Schulbetrieb hat ganz klar Vorrang“, betont Stadtsprecher Martin Schulmann.
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Sven Gutt vom TCG 1874 reibt sich angesichts des Lärmgutachtens verwundert die Augen. Der Aikido-Trainer hat eigenen Angaben zufolge früher selbst einmal dort im Viertel gewohnt. Und fragt mit beißender Ironie: „Wozu braucht es für Vereinssport ein erweitertes Lärmgutachten, wenn neben der Halle seit Jahrzehnten eine viel befahrene Güterbahnstrecke her verläuft – die Züge machen doch mehr Lärm als alle Sportlerinnen und Sportler zusammen, die die Halle nutzen würden.“
Auch hier macht das deutsche Regelwerk Unterschiede. Autobahnen wie Schienenwege stehen auf der Vorrangliste ganz weit oben. Sie sind von übergeordnetem Interesse und damit so gut wie kaum zu verhindern. Bei Sporthallen sieht es der Stadt zufolge anders aus, da fallen Einwände betroffenere Menschen mehr ins Gewicht.
Hallennutzung nur für den Schulsport: Die Ebersteinschule ist kein Einzelfall
Lärm ist aber nicht das einzige Problem, was mit der Doppelturnhalle und deren Nutzung durch Vereine verbunden ist. Hinzu kommt die räumliche Enge an der Ebersteinschule. Etwa zehn (Lehrer-)Parkplätze sind auf ihrem Gelände vorhanden, für den Vereinsbetrieb müssten es, wie zuvor aufgeführt, entsprechend mehr sein. Bei rund 1000 Quadratmetern Hallensportfläche macht das 20 Kfz- und 50 Radstellplätze, die Besucherparkplätze noch nicht mit eingerechnet. Den Platz, sprich das Grundstück, muss man erst einmal haben.
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Für immer ausgeschlossen ist die Nutzung der neuen Sporthalle durch Vereine nicht. Wie Stadtsprecher Martin Schulmann und Harald Förster bestätigen, befinden sich beide Seiten dazu noch in der Absprache. Wann sich eine Lösung abzeichnet – offen. Und: Die Ebersteinschule ist kein Einzelfall. In Erle soll „An der Gräfte“ binnen zweier Jahre eine ebenso vierzügige Schule mit Zweifeldturnhalle und Familienzentrum entstehen. Grundsteinlegung für den knapp 32 Millionen Euro teuren Neubau war im November vergangenen Jahres. Aber auch hier heißt es vorerst: Hallennutzung nur für den Schulsport.