Gelsenkirchen. Große Aufgaben kommen auf die Gelsenkirchener Träger der Offenen Ganztagsschule zu. Dabei ist gute OGS-Betreuung schon jetzt schwer.

Eigentlich sollte in der Offenen Ganztagsschule (OGS) alles besser werden. Ab 2026 aufwachsend hat jedes Grundschulkind einen Anspruch auf einen OGS-Platz. Der Expertenbeirat des NRW-Schulministeriums favorisiert einen „rhythmisierten Ganztag“ mit abwechselnden Lern- und Freizeitelementen, was aus pädagogischer Sicht eindeutig viele Vorteile hätte. Allerdings bräuchte es dafür deutlich mehr Personal aus dem OGS-Bereich, das dann auch längere Zeit vor Ort sein müsste. Nur gibt es jetzt bereits erhebliche Personalprobleme.

Das liegt zwar auch, aber nicht allein am Fachkräftemangel. Die Gelsenkirchener Träger der OGS-Betreuung – und mit ihnen die Träger fast aller Ruhrgebietskommunen – stoßen auch bei den Finanzen an ihre Grenzen. Bei den jüngsten Tarifverhandlungen erstritten die Beschäftigten Tariferhöhungen von durchschnittlich zehn Prozent. Die vor Jahren mit dem Land abgesprochene dynamische jährliche Steigerung des Landeszuschusses liegt nur bei drei Prozent.

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Die Mehrkosten können und wollen die Träger weder über eine Beitragserhöhung noch über eine Kürzung der Betreuungszeiten auffangen. Die einzige Möglichkeit wären weniger Fachkräfte je OGS-Gruppe. „Dabei haben wir manchmal jetzt schon die Situation, dass nur eine Person bis zu 30 Kinder betreut“, schildert Christoph Grün, Fachbereichsleiter bei der Caritas, die Realität. Katja Heitmann, Referatsleiterin beim Evangelischen Kirchenkreis, bestätigt die Lage.

Gelsenkirchen: Kürzung der Betreuungszeit aktuell nicht geplant

Unter Eltern kursieren bereits Gerüchte zu geplanten Kürzungen der Betreuungszeiten. Dies werde jedoch in diesem Schuljahr nicht geschehen, versichern die Träger einmütig. Allerdings müsse für das nächste Schuljahr neu über die Finanzierung gesprochen werden. Dass Eltern beunruhigt seien, könne man jedoch gut nachvollziehen. Schließlich sei für die Zukunft auch denkbar, dass etwa die Ferienbetreuung an einer Stelle zentralisiert werden müsse, um Kapazitäten zu sparen. Daniela Isopp, Sprecherin der Grundschuleltern in der Stadt, warnt vor den Folgen geringerer Betreuungsschlüssel. „Zurecht. Kinder mit besonderem Bedarf, die mehr Zuspruch benötigen oder mehr Unterstützung oder Sprachprobleme haben, kommen dann zu kurz“, warnt auch Grün. Inklusive und pädagogisch wertvolle Betreuung sei mit großen Gruppen, nur einer Fachkraft und in engen Räumen kaum realisierbar, versichern auch Heitmann und Rakowski.

Katja Heitmann, Christoph Grün und Bärbel Rakowski organisieren die Ganztagsbetreuung in Gelsenkirchen für drei von vier Trägern. Sie befürchten massive Verschlechterungen. Das Foto entstand beim Falken Bauverein, dessen Jugendräume auch von OGS-Kindern genutzt werden kann.
Katja Heitmann, Christoph Grün und Bärbel Rakowski organisieren die Ganztagsbetreuung in Gelsenkirchen für drei von vier Trägern. Sie befürchten massive Verschlechterungen. Das Foto entstand beim Falken Bauverein, dessen Jugendräume auch von OGS-Kindern genutzt werden kann. © Funke Foto Services | Ingo Otto

Besonders schwierig werde es künftig, ergänzt Bärbel Rakowski, OGS-Koordinatorin für den Bauverein Falkenjugend, wenn die Betreuung in den Klassenräumen selbst stattfinden müsse. Da nicht alle Kinder einer Klasse die OGS nutzen, müssen Kinder verschiedener Klassen zusammengefasst werden und für sie ein freier Klassenraum irgendwo im Haus gefunden werden. „Wenn dann 28 Kinder in 60 Quadratmeter-Räumen den ganzen Tag miteinander verbringen müssen, in einem Raum lernen, essen und spielen bei zwei Quadratmetern je Kind: Das ist pädagogisch sehr bedenklich“, warnt Bärbel Rakowski. Und Christoph Grün ergänzt: „Hinzu kommt die Lautstärke bei so vielen Kindern auf engem Raum. Beim Spielen ist es lauter als im Unterricht. Das belastet Kinder und Betreuer.“ Und: „Die Kinder bringen schon eine Geschichte mit, haben dann schon einiges hinter sich“, gibt auch Katja Heitmann zu Bedenken.

Städte stocken Grundförderung für OGS-Kinder unterschiedlich stark auf

Die für die künftige OGS-Gestaltung vom Land NRW eigens einberufene Expertenkommission des Landes empfiehlt denn auch ausdrücklich, die Kinder NICHT im gleichen Raum lernen, essen und spielen zu lassen und ihnen zudem die Möglichkeit zu schulexternen Erlebnissen zu geben. Bei knapper Besetzung und extremer Personal- und Raumknappheit aber kann das kaum mehr als ein frommer Wunsch sein.

Raum-, Personal- und Geldnot besteht freilich nicht nur in Gelsenkirchen. Entsprechend haben die Spitzenverbände aller Träger – in Gelsenkirchen ist auch die Awo mit im Boot – bereits Alarm bei den Landesministerien geschlagen, auch der Städtetag hat die Probleme bereits beim Bund vorgetragen. Der hatte den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung 2021 beschlossen. Wie die Kommunen die Zusatzkosten für das Zusatzpersonal stemmen sollen, ist nicht geklärt. Auch die Ausführungsbestimmungen zur Durchführung des OGS-Betriebs, die das Land festlegen muss, liegen den Städten noch immer nicht vor.

Gelsenkirchens Bildungsdezernentin Anne Heselhaus will nun von sich aus auf die OGS-Träger zugehen, um mit ihnen über die künftige Betreuung und die nötige Ausstattung zu sprechen.
Gelsenkirchens Bildungsdezernentin Anne Heselhaus will nun von sich aus auf die OGS-Träger zugehen, um mit ihnen über die künftige Betreuung und die nötige Ausstattung zu sprechen. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Bildungsdezernentin Anne Heselhaus will nun zeitnah an die Gelsenkirchener Träger herantreten, um mit ihnen über die zukünftige Gestaltung und Finanzierung zu sprechen. 784 Euro je Kind für bis zu 30 Kinder je OGS zahlt die Stadt freiwillig zusätzlich zum Pflichtbetrag in Höhe von 551 Euro zwecks Qualitätssicherung zu, vom Land kommen zur Grundförderung 1392 Euro je Kind. Vor allem in reichen Kommunen ist der freiwillige Beitrag deutlich höher, meist auch ohne Begrenzung. Es gibt aber auch Kommunen wie Duisburg, die noch weniger bezuschussen würden, so die Träger.

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Für Januar hat Bildungsministerin Dorothee Feller zugesagt, endlich das lange versprochene Ausführungsgesetz vom Land vorzulegen, das den Rahmen absteckt für die Umsetzung durch die Kommunen. Die Träger wünschen sich feste Standards, um vergleichbare Bedingungen für alle Kinder schaffen zu können. So wünschenswert das wäre, so glaubt die Dezernentin jedoch nicht, dass das Land solche Standards setzen wird. Denn feste Standards müssten auch durch entsprechende Finanzierung gesichert werden. Damit wäre wieder das Land am Zug im Sinne des Konnexitätsprinzips, oder auf Deutsch gesagt: Wer die Musik bestellt, muss sie auch bezahlen.