Gelsenkirchen. Wenn Kinder ab vier Jahren ihren Darm nicht unter Kontrolle haben, bedeutet das Stress für die ganze Familie. Gelsenkirchener Expertin hilft.

Es ist ein Tabuthema. Und es ist extrem belastend für die ganze Familie: Wenn Kinder jenseits des normalen Windelalters – also nach dem dritten, vierten Lebensjahr oder gar später – noch einkoten. Dabei kommt das häufiger vor, als man glauben könnte. Bei Dr. Christiane Schmidt-Blecher, Fachärztin für Kinderchirurgie, Pädiatrische Gastroenterologin und Ernährungsmedizinerin, melden sich pro Woche drei bis vier betroffene Kinder in ihrer Ambulanz am Bergmannsheil Buer Kinder- und Jugendklinik. Seit Monaten bereits quälen sich Kind, Eltern und auch Geschwister mit dem Problem, dass der oder die Betroffene in die Hose macht.

„Hintergrund ist in 98 Prozent der Fälle extreme Verstopfung. Die Kinder bemerken oft gar nicht mehr, dass etwas in die Hose gegangen ist. Auch wenn es längst riecht und alle anderen es sehr wohl bemerken und sich abwenden“, erklärt die Fachärztin. Die Kinder selbst verdrängen das mit der Zeit zunehmend, unbewusst. Zu dem Phänomen gekommen ist es in der Regel durch falsche Ernährung und zu lange aufgeschobener und unbeobachteter Verstopfung. Ein Teufelskreis hat begonnen.

Wenn Kinder den Stuhlgang vermeiden, weil er wehtut, beginnt ein Teufelskreis

„Die Kinder haben wegen der anhaltenden Verstopfung die Erfahrung gemacht, dass Stuhlgang – wegen der Verhärtung – mit Schmerzen verbunden ist. Also vermeiden sie das, halten zu lange ein. Die Folge ist, dass der Kot in Dickdarm verbleibt und immer härter und fester wird. Mit der Zeit sammelt sich so viel, dass der Darm sich ausdehnt, weniger Eigenbewegung zeigt und deshalb auch nichts mehr weitertransportiert bis zur Ausscheidung. Nachkommender, flüssiger Nahrungsbrei fließt über den Dünndarm an den Klumpen vorbei und unbemerkt direkt ab in die Hose.“ Soweit die Erklärung der Expertin.

Viele denken zuerst an psychische Ursachen

Christiane Schmidt-Blecher ist auch Ernährungsexpertin. Und als solche warnt sie eindringlich vor zuviel Zucker für Kinder.
Christiane Schmidt-Blecher ist auch Ernährungsexpertin. Und als solche warnt sie eindringlich vor zuviel Zucker für Kinder. © Daniel Attia

Oft dauert es eine ganze Weile, bis Eltern die sich anbahnende schwere Verstopfung bemerken. Weil das Kind in der Kita oder in der Schule zur Toilette geht, ist die Kontrolle nicht mehr möglich. Die Kinder schämen sich in der Regel, versuchen das zu verbergen, zumal die Eltern oft schimpfen, wenn immer wieder Kot in der Unterhose ist. Das wird zum sozialen Problem im Alltag und auch im Urlaub. „Manches Kind beginnt aus Scham, Unterhosen zu verstecken oder gar wegzuwerfen“, erzählt die Ärztin aus der Praxis.

Viele – auch Kinderärzte – würden, so die Fachärztin, zunächst an psychische Probleme als Ursache denken. Manches Kind, das in die Ambulanz der Kinder- und Jugendklinik in Buer kommt, hat schon eine psychotherapeutische Behandlung hinter sich. „Natürlich gibt es auch Fälle, in denen es psychische Ursachen gibt. Aber meistens ist doch eine chronische Verstopfung der Hintergrund“, versichert Schmidt-Blecher.

Das Rezept: Sanft abführen, trainieren und die Ernährung umstellen

In schweren Fällen, wenn etwa die Nerven in der Familie schon blank liegen, wird das Kind für vier bis fünf Tage stationär aufgenommen, um in Ruhe zunächst eine komplette Entleerung medikamentös zu fördern. Radikale Eingriffe – wie bei Senioren häufig praktiziert – gibt es nicht. Behutsamkeit lautet das Motto. Wenn der Darm dann entleert ist, stehen Verhaltenstraining und vor allem unter Einbeziehung der Eltern eine Ernährungsberatung auf dem Plan.

Verhaltenstraining? „Ja, diese Kinder haben verlernt, sich Zeit zu nehmen auf der Toilette, sich gezielt zu entleeren. Das hängt oft auch mit Druck zusammen, der entstanden ist, weil in der Kita darauf gedrängt wurde, das Kind von der Windel zu entwöhnen“, bestätigt die Ärztin. Sie hat festgestellt, dass Kinder heute länger Windeln tragen als früher. „Das hängt mit jenen Exemplaren zusammen, bei denen es die Kinder meist gar nicht stört, wenn es feucht und warm ist. Bei den Stoffwindeln früher war das unangenehmer. Da hatten die Kinder selbst früher ein Interesse daran, die Windel loszuwerden.“

Das Wichtigste aber für eine langfristige Lösung sei die Umstellung der Ernährung, die in den allermeisten Fällen der Auslöser der chronischen Verstopfung war. „Zucker stopft! Und Zucker ist heute überall drin. Fruchtsaft ist eine Katastrophe, die meisten Milchprodukte ebenfalls. Vitamine sollten nicht über gezuckerte Fruchtsäfte aufgenommen werden, sondern über frische Apfelschnitze oder andere Rohkost,“ betont sie mit Nachdruck. In fast allen Fertigprodukten sei jede Menge Zucker, Zuckerersatzstoffe seien für Kinder generell nicht geeignet, weil die Langzeitwirkungen viel zu wenig erforscht sind, erklärt die Ernährungsexpertin. Wobei sie Verständnis für die Eltern hat.

Mit Überweisung vom Kinderarzt in die Ambulanz

Betroffene können mit einer Überweisung vom Kinderarzt in der Ambulanz am Bergmannsheil einen Termin vereinbaren. Nach der Diagnostik, bei der auch abgeklärt wird, ob eine Schilddrüsenunterfunktion, Glutenunverträglichkeit oder eine Darmerkrankung die Ursache sein können, wird entschieden, wie es weitergeht.

Termine gibt es telefonisch unter 0209 369 400. Montags, dienstags und mittwochs von 11 bis 16 Uhr sowie mittwochs und freitags von 8.30 bis 13 Uhr können sie vereinbart werden.

„Gesundes Essen wie Vollkornbrot oder gutes Fleisch sind teuer, Toast ist billig. Ein gutes Brot mit den notwendigen Ballaststoffen zu fünf Euro können sich viele gar nicht mehr leisten. Aber Fertigprodukte als Mahlzeit sind keineswegs günstiger als frisch Gekochtes. Und Frisches ist deutlich gesünder“, versichert sie.