Gelsenkirchen. Gelsenkirchen soll den „Turbo“ einlegen, um mehr Geflüchtete in Jobs zu bringen. An einer wichtigen Stelle bleibt aber „eine große Baustelle“.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) kündigte es Mitte Oktober groß an: Die Bundesregierung will jetzt den „Job-Turbo“ bei Geflüchteten einlegen. Für das Jobcenter in Gelsenkirchen heißt das zunächst einmal Folgendes: Man lädt die rund 1300 arbeitslosen und als erwerbsfähig geltenden Ukrainer und anschließend auch Tausende in Gelsenkirchen lebende Menschen aus weiteren Herkunftsländern wie Syrien oder Nigeria künftig häufiger zu Beratungsgesprächen ein als bisher.

Ob man mit dem ausgerufenen „Job-Turbo“ tatsächlich auch zum Ziel kommt, hat laut Jobcenter-Geschäftsführerin Anke Schürmann-Rupp jedoch vor allem damit zu tun, ob die Geflüchteten künftig auf anderen Weg als über ein offizielles Dokument beweisen können, welche Fähigkeiten sie haben. „Es gibt bislang vor allem ein bürokratisches Problem“, sagt Schürmann-Rupp. „Die Anerkennungsverfahren für Berufs- und Schulabschlüsse sind sehr langwierig.“

Jobcenter Gelsenkirchen: Geflüchtete ohne Papiere müssen sich ausprobieren können

Menschen, die aus Kriegs- und Krisengebieten kommen, hätten in vielen Fällen keine offiziellen Dokumente mehr zur Hand. Gleichzeitig sei es schwer, die Dokumente über die Botschaften nachträglich einzuholen. „Deswegen brauchen wir Möglichkeiten, dass sich die Menschen auch ohne Papier beweisen können. Wir können nicht den Fachkräftemangel beklagen und an bestehenden Voraussetzungen stur festhalten“, sagt Schürmann-Rupp deutlich. Hier böten sich Hospitationen oder Praktika an, um den Geflüchteten die Möglichkeit zu geben, sich zu beweisen. „Diese Probleme sind aber allgemein bekannt“, sagt Schürmann-Rupp – nur wird auch genug daran gearbeitet, sie zu beheben?

Beantworten kann das Irene Mihalic. Die Bundestagsabgeordnete aus Gelsenkirchen und Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion hat das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das der Bundestag im Juni 2023 beschlossen hat, mitverhandelt. Mit ihm hat die Ampel zwar viele Hürden für Arbeitskräfte aus dem Ausland abgebaut. Anerkennungsverfahren für Menschen ohne Qualifizierungsnachweis spielen aber keine Rolle.

Mihalic sagt, sie habe sich das durchaus anders gewünscht. Man habe sich gut vorstellen können, nach Vorbild eines Pilotprojektes namens „Valikom“ Anerkennungsverfahren zu ergänzen. Das Projekt sollte möglich machen, berufliche Kompetenzen auch ohne formalen Abschluss „sichtbar“ zu machen. Bei den Verhandlungen zum Fachkräfteeinwanderungsgesetz habe es dafür jedoch keine Mehrheit gegeben.

Irene Mihalic, MdB aus Gelsenkirchen: „Die Anerkennung von Qualifikationen bleibt eine große Baustelle.“
Irene Mihalic, MdB aus Gelsenkirchen: „Die Anerkennung von Qualifikationen bleibt eine große Baustelle.“ © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Mihalic sagt deshalb: Mit dem „Job-Turbo“ gehe die Koalition einen „wichtigen Schritt“ bei der Arbeitsmarktintegration, die Anerkennung von Qualifikationen bleibe aber „eine große Baustelle“. „Pilotprojekte zur Anerkennung informeller Kompetenzen sollten weitergeführt und ausgebaut werden, damit ausgebildete und qualifizierte Menschen aufgrund fehlender Zeugnisse nicht in Jobs arbeiten, für die sie überqualifiziert sind“, so die Bueranerin. Dem Arbeitsmarkt würden sonst zu viele Potenziale und Talente verloren gehen. „Wenn zum Beispiel ein Dachdecker nach Deutschland kommt und zeigt, dass er ein Dach decken kann, sollte es nicht am fehlenden Ausbildungszertifikat liegen, dass diese Person in ihrem Berufsfeld arbeiten kann.“

Bis wirklich Tempo in die Anerkennungsverfahren kommt, gilt erst einmal das, was in der Fachwelt „die gezielte Erhöhung der Kontaktdichte“ genannt wird: In einer ersten Phase des „Job-Turbos“ sollen nun alle Ukrainer im erwerbsfähigen Alter alle sechs Wochen ins Jobcenter eingeladen werden, um die persönliche Situation zu besprechen. Vorher sei das eher alle paar Monate passiert, so Schürmann-Rupp.

Jobcenter-Geschäftsführerin: „Ohne die Unternehmen schaffen wir das nicht!“

Allein durch die Erhöhung der „Kontaktdichte" lernt aber noch kein Mensch schneller Deutsch. Und nach dem Abschluss eines regulären Pflicht-Integrationskurses steht am Ende erst einmal das Sprachlevel von B1, was jedoch bei weitem nicht alle Teilnehmenden erreichen und noch nicht bedeutet, dass komplexe Sachverhalte wiedergegeben werden können. Wer B1 beherrscht, kann sich eher über vertraute Alltagsthemen austauschen und sich als Tourist gut zurechtfinden – alles andere ist eine Herausforderung.

Anke Schürmann-Rupp (Geschäftsführerin des Jobcenters Gelsenkirchen): „Ohne die Unternehmen schaffen wir das nicht!“
Anke Schürmann-Rupp (Geschäftsführerin des Jobcenters Gelsenkirchen): „Ohne die Unternehmen schaffen wir das nicht!“ © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Die Jobcenter-Geschäftsführerin appelliert deshalb – ähnlich wie zuletzt Sozial- und Arbeitsdezernentin Andrea Henze – an die Firmen, Anforderungen zu senken. Natürlich müssten Bewerber so gut Deutsch sprechen, dass sie Sicherheitsunterweisungen für den Betriebsalltag verstehen können. Dennoch müssten Firmen bereit sein, ihre Maßstäbe zu hinterfragen. „Ohne die Unternehmen schaffen wir das nicht!“, sagt Schürmann-Rupp.

In einer zweiten Phase soll sich nach den Ukrainern schwerpunktmäßig ausländischen Arbeitslosen acht weiterer Herkunftsländer (Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia, Syrien) gewidmet werden, auch im Umgang mit ihnen soll die Kontaktdichte erhöht werden. Hier habe man zunächst 6000 Personen in Gelsenkirchen ausgemacht, jedoch sei noch nicht klar, ob auch alle von ihnen arbeitsfähig sind. „Wir müssen noch die Menschen filtern, die dem Arbeitsmarkt tatsächlich zur Verfügung stehen“, erläutert Schürmann-Rupp.

Ob diese neue Prioritätensetzung auf die Geflüchteten zur Folge hat, dass man für andere Kunden des Jobcenters weniger Zeit hat? „Wir haben diese Aufgaben aus aktuellen Bordmitteln zu stemmen, zusätzlich Personal bekommen wir nicht“, sagt Schürmann-Rupp hierzu. Man werde aber versuchen, sich „hausintern so aufzustellen“, dass die neuen Aufgaben ohne Vernachlässigung anderer Gruppen zu stemmen sind.