Gelsenkirchen. Gelsenkirchen benötigt dringend einen zweiten Schutzraum für Frauen – ein Thema, das plötzlich für Streit sorgt und zu „Irritationen“ führt.

Um den Bedarf der vielen schutzsuchenden Frauen zu decken, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, soll ein zweites Frauenhaus in Gelsenkirchen entstehen, das von der Arbeiterwohlfahrt (Awo) geleitet werden soll: Das hat die Lokalpolitik jetzt in einer Sitzung des Sozialausschusses beschlossen – überraschenderweise nicht mit breiter Geschlossenheit: Die CDU, der Koalitionspartner der SPD, enthielt sich bei dem Beschluss und löste bei Sozialdemokraten und Grünen „Irritationen“ aus. Dabei war die Union durchaus eng in den Wettbewerb um das Frauenhaus eingebunden.

Für das Interessenbekundungsverfahren zur Errichtung eines zweiten Frauenhauses wurde nämlich ein ungewöhnlicher Weg gewählt: Gebildet wurde eine Auswahlkommission aus jeweils einem zuvor gewählten Mitglied der SPD, der CDU und den Grünen. Seitens der Verwaltung saßen ebenfalls drei Vertreter in dem Gremium, das insgesamt viermal tagte. Dabei wurden Qualitätskriterien ausgelotet, die das Frauenhaus erfüllen soll und bewertet, welcher Bewerber diese Kriterien am besten erfüllen kann.

Als Träger brachten sich die Caritas, die Awo und das Deutsche Rote Kreuz (DRK) ins Spiel. Die höchste Punktzahl im Ranking der drei Bewerber erreichte das Konzept der Awo. Sie soll nun Fördermittel beim NRW-Ministerium für Gleichstellung beantragen dürfen, um das zweite Förderhaus schaffen zu können – ein Ergebnis, hinter dem die CDU nicht steht, wie im Sozialausschuss deutlich wurde.

Enthaltung bei Frauenhaus-Entscheidung: So argumentiert die CDU Gelsenkirchen

Deutlich hingegen wurde im Ausschuss nicht, warum die CDU genau zu einer anderen Bewertung gekommen war. Alfred Brosch, der für die Union im Auswahlgremium saß, beließ es im Sozialausschuss – offenbar auch aus Verschwiegenheitsgründen – bei Allgemeinplätzen: Das Interessenbekundungsverfahren sei zwar ein „geeignetes Mittel“ gewesen, manche Bewertungspunkte seien aber „nicht so einfach gewesen“. In der Fraktion sei man eben „im Ergebnis zu einer anderen Sicht gekommen“, um eine „rein politische Betrachtung“ handele es sich dabei allerdings nicht.

Alfred Brosch, CDU Gelsenkirchen: „Es ging uns nicht darum, Geld zu verteilen.“
Alfred Brosch, CDU Gelsenkirchen: „Es ging uns nicht darum, Geld zu verteilen.“ © CDU Gelsenkirchen

Das bedeutet aber auch: Eine gewisse Rolle spielte die Politik schon. Deshalb wirft Anna-Lena Karl, die für die SPD im Ausschuss saß, Brosch und seiner Fraktion auch vor: „Die CDU hat nicht im Interesse unserer Stadt gehandelt, sie hat im eigenen Interesse und im Interesse eines Trägers gehandelt, der der CDU nahesteht.“ Gemeint ist damit die Caritas, die den Christdemokraten traditionell mehr verbunden ist als die SPD-nahe Awo, die übrigens seit dem 1. Januar 2023 bereits die Frauenberatungsstelle in Gelsenkirchen betreibt. Sollte nun also ein anderer Wohlfahrtsträger ein Stück vom Kuchen abbekommen, am besten ein unionsnaher?

„Es ging uns nicht darum, Geld zu verteilen“, entgegnet Alfred Brosch am Tag nach der Sozialausschuss-Sitzung im Gespräch mit der WAZ. Und auch die politische Nähe zu einem Träger habe angeblich keine Rolle gespielt. „Als Sozialpolitiker tickt man da anders“, betont der langjährige CDU-Mann. Es sei ihm letztendlich um die „notwendige Trägervielfalt“ in der Stadt gegangen. „Wir brauchen in der Stadtgesellschaft Einrichtungen mehrerer Träger, es muss Wahlmöglichkeiten für die Bevölkerung geben.“

Streit um Verfahren zum zweiten Frauenhaus in Gelsenkirchen: SPD widerspricht Union

Dieses Argument sei für die CDU auch deswegen wichtig gewesen, weil die Bewerbungen darüber hinaus in ihrer Qualität keine großen Unterschiede aufgewiesen hätten. „Die Bewerbungen lagen sehr nah beieinander“, beteuert Brosch. Das Konzept der Awo sei also nicht etwa mit großer Eindeutigkeit besser gewesen als die anderen.

Zudem hätten Aspekte wie das räumliche Konzept eines möglichen Frauenhauses bei der Bewertung der Kommission eine zu große Rolle gespielt. „Es gibt ja überhaupt noch kein Gebäude für ein zweites Frauenhaus“, betont Brosch. Es sei also gar nicht klar, ob „idealtypische Beschreibungen“ zum Raumkonzept in den Bewerbungen überhaupt Realität werden könnten.

Anna-Lena Karl, SPD Gelsenkirchen: „Die CDU hat nicht im Interesse unserer Stadt gehandelt, sie hat im eigenen Interesse und im Interesse eines Trägers gehandelt.“
Anna-Lena Karl, SPD Gelsenkirchen: „Die CDU hat nicht im Interesse unserer Stadt gehandelt, sie hat im eigenen Interesse und im Interesse eines Trägers gehandelt.“ © FUNKE Foto Services | Oliver Mengedoht

Anna-Lena Karl von der SPD bestätigt, dass das Raumkonzept eine bedeutsame Rolle gespielt habe – ebenso wichtig seien aber Aspekte wie die Mehrsprachigkeit gewesen oder die Möglichkeit, auch Jugendliche über 14 Jahre sowie auch Frauen aufnehmen zu können, die sich ein Frauenhaus eigentlich gar nicht leisten können. „Bei all diesen Aspekten hatte die Awo einen deutlichen Vorsprung“, so Karl, die nun in Sorge ist, dass die Stadtverwaltung „nicht noch einmal die offene Hand ausstreckt, um so eine Auswahlkommission einzurichten“, wo sie doch zu keinem geschlossenen Ergebnis geführt habe.

Zweites Frauenhaus soll im Norden Gelsenkirchens entstehen

Auch bei den Grünen stößt die Argumentation der Union auf Unverständnis. „Die Enthaltung der CDU lässt tief blicken“, teilte Franziska Schwinge, die für die Grünen im Auswahlgremium saß, im Anschluss an den Sozialausschuss per Pressemitteilung mit. „Das Ergebnis der Auswahlkommission ist klar ausgefallen, auch die CDU war daran beteiligt und hat dort ihre Möglichkeiten genutzt, die Auswahlkriterien mitzubestimmen.“ Insofern sei man ratlos, warum sie nun dagegen votiert habe. Glücklich sei man aber, dass es trotz des politischen Konflikts zu einem klaren Beschluss für ein zweites Frauenhaus gekommen sei. „Betroffene und Mitarbeitende in Hilfsstrukturen warten schon viel zu lange darauf.“

Nun aber soll es schnell gehen: Die Awo habe, so berichtet Geschäftsführerin Gudrun Wischnewski, nach dem Ausschuss zügig den entsprechenden Antrag auf Fördermittel beim Land eingereicht. Geplant sind zunächst acht Plätze für schutzsuchende Frauen und bis zu zehn Kinder. Die Verantwortlichen hoffen, dass der Betrieb des zweiten Frauenhauses im ersten Quartal 2024 aufgenommen werden kann – allerdings wird es sich dabei zunächst um eine „Interims-Lösung“ handeln, wie Wischnewski betonte.

Wie von vielen Stellen vorab gefordert, soll es bei um einen Standort im Norden der Stadt gehen. Während man dort bereits vorübergehend die Arbeit aufnimmt, soll dann die Suche nach einem geeigneten Objekt für einen festen Standort, ebenfalls im Norden, erfolgen. (ani)