Gelsenkirchen. Welche muslimischen Vereine dürfen Gelder von der Stadt Gelsenkirchen erhalten? Warum in der Politik jetzt viele vorsichtiger sind.
Die Gelsenkirchener Lokalpolitik zeigt eine neue Vorsicht, wenn es um die Entscheidung geht, ob muslimische Vereine Gelder aus dem Gelsenkirchener Bezirksforum erhalten sollen. Das wurde jüngst in mehreren Bezirksvertretungen (BV) deutlich.
Als ein niederschwelliges Format geben die im August zuletzt stattgefundenen Bezirksforen Vereinen oder Nachbarschaftsinitiativen die Möglichkeit, Gelder für verschiedenste Anliegen zu bekommen – sei es ein Sommerfest, neue Einrichtungsgegenstände oder Umbauarbeiten. Abgesegnet werden müssen die Anträge final in den politischen Sitzungen der fünf Gelsenkirchener Stadtbezirke, den Bezirksvertretungen. Hierbei kam es 2022 zu einer Kontroverse, weil zwei muslimischen Vereinen (der Hicret-Moschee der „Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş“ und dem „Verein für Bildung und Integration“) Gelder wegen angeblicher Verfassungsfeindlichkeit untersagt wurden – ein Vorwurf, der später nicht erhärtet werden konnte.
Gelsenkirchener Verwaltung soll islamisches Kulturzentrum überprüfen
Der Vorfall wirkt so nach, dass seitens der WIN (Wähler Initiative NRW) nun noch einmal in der Bezirksvertretung-Mitte von der SPD gefordert wurde, sich für die damals „diffamierenden und verleumderischen Behauptungen“ zu entschuldigen – was Lothar Urban, Vorsitzender der Sozialdemokraten in der BV-Mitte, erzürnt ablehnte: Die WIN-Forderung sei „unrichtig und anmaßend.“
Zugleich hat der Vorfall für ein Umdenken bei den Bezirksforen insgesamt gesorgt und die Politiker sensibler für die Frage gemacht, ob antragstellende Vereine auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. So haben SPD, CDU und FDP jetzt in der BV-Mitte durchgebracht, einen Antrag eines weiteren muslimischen Vereins erst einmal von der Verwaltung prüfen zu lassen. Dabei geht es um 3900 Euro, die sich das „Tuğra-Kulturzentrum“ wünscht, um das Jugendlokal um eine Sound- und Snackbar erweitern zu können.
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In ihrem gemeinsamen Antrag schreiben SPD, CDU und FDP, dass das Kulturzentrum auch der IGMG, der „Internationalen Gemeinschaft Millî Görüş“ zuzuordnen sei. „Wir sind nicht so sachkundig in der Frage, wie die Tuğra als Mitglied der IGMG in Gelsenkirchen einzuschätzen ist“, geben die drei Fraktionen zu. „Fakt scheint zu sein, dass die IGMG ein reaktionäres Islamverständnis und eine rigide Geschlechtertrennung propagiert.“ So werde etwa die „islamkonform erachtete Verhüllung“ zur Pflicht erklärt. „Wenn dem so ist, hätten wir Probleme, dies für eine Förderung anzuerkennen.“
Zugehörigkeit zur DITIB sorgt bei Gelsenkirchener Politikern für Skepsis
Auch die Hicret-Moschee, um die sich Ende 2022/Anfang 2023 die Aufregung drehte, gehört der IGMG an. Experten mahnen jedoch, dass eine pauschalisierende Beurteilung anhand des Dachverbandes schwierig sei, die Mitgliedsvereine führten vielmehr ein Eigenleben, man müsse vor Ort schauen, wie sich die Mitglieder einbringen und welche Einstellungen sie vertreten. Das soll nun die Stadtverwaltung beim „Tuğra-Kulturzentrum“ prüfen.
Durchgegangen dagegen sind Anträge anderer muslimischer Vereine: Die Mimar-Sinan-Moschee in Bismarck, und der „Heimatverein Yesiloba Sevdalilari 57“, die beide Teil der DITIB sind, dürfen ihren Jugendraum neu gestalten bzw. ein Sommerfest durchführen. Formal ist die DITIB ein unabhängiger Verein und der größte islamische Verband Deutschland, doch die Verflochtenheit mit der türkischen Religionsbehörde Diyanet ist eng.
Die Zugehörigkeit zur DITIB habe deswegen für Vorbehalte gesorgt, betonte Lothar Urban von der SPD. „Durch viele Gespräche konnte man uns aber überzeugen, dass diese Bedenken für Gelsenkirchen ausgeräumt werden konnten.“ Aufgrund des vorsichtigen Umgangs mit den Vereinen hätten ihn und die anderen Fraktion „nicht wenige in die Nähe zur AfD rücken wollen“, sagte der SPD-Bezirksfraktionschef. „Nichts liegt uns ferner.“ Aber es müsse erlaubt sein, sogar müsse es die Pflicht sein, „dass wir uns sachkundig machen, bevor wir Steuergelder ausgeben.“
FDP stimmt gegen DITIB-Verein in der Bezirksvertretung-West
Mehr Uneinigkeit gab es in der Bezirksvertretung West. Hier wollte der FDP-Verordnete Thorsten Garbe die Förderung für die Neueinrichtung eines Gebäudes der Mevlana-Moschee in Horst zu Fall bringen, weil sie von DITIB unterstützt wird. „Der Verband ist Erdogan-nah, was unserer Rechtsstaatlichkeit hier widerspricht. Mir fehlen auch sonst Bekundungen der Verantwortlichen zur Rechtsstaatlichkeit“, lehnte er den Zuschuss in Höhe von 2200 Euro ab.
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CDU-Verordneter Cengiz Satir nahm die Moschee-Gemeinde in Schutz: „Das ist eine sehr soziale Gemeinde, die sich besonders für Jugendliche engagiert. Dass die DITIB da im Spiel ist, ist halt so.“ Der türkische Verband finanziere den Vorbeter, im Vorstand sei er aber nicht vertreten. Seine Argumentation überzeugte die große Mehrheit des Gremiums: Am Ende stimmten bis auf Garbe und AfD-Bezirkspolitiker Manfred Obernyer alle der Förderung zu.
Was sonst gestrichen wurde
Gestrichen wurde in der BV-West ein Zuschuss von 700 Euro für ein Solidaritätskonzert des „Freundeskreises Flüchtlingssolidarität“. Nur Linke-Verordneter Tomas Grohé weigerte sich, der „engagierten Truppe ohne inhaltliche Begründung“ die Unterstützung zu versagen. Für AUF-Stadtverordneter Jan Specht, der eigens für diesen Tagesordnungspunkt an der Sitzung teilnahm, war die Sache hingegen klar: Nur weil der Freundeskreis mit AUF zusammenarbeite, lehne die große Mehrheit die Förderung ab.
In der BV-Mitte dagegen wurde ein Antrag für 4100 Euro der Falken auf Antrag der SPD, CDU und FDP gestrichen, „da es aktuell keinen Ortsverband Altstadt der ,SJD - die Falken’ gibt.“ Durch den Wasserschaden in der Kita Rheinischen Straße habe die Jugendeinrichtung des Bauvereins umgelagert werden in das Alfred-Zingler-Haus. Die frei gewordene Verfügungssumme wurde aufgeteilt in zahlreiche andere Anträge.