Gelsenkirchen. Gewaltige Investitionen kommen auf Gelsenkirchen zu. Dabei ist der Weg für die Verwaltung alternativlos, obwohl es viele Unklarheiten gibt.

Über die dramatische Lage in der deutschen Schullandschaft wurde und wird viel geschrieben. Nicht von ungefähr hat sich die WAZ Gelsenkirchen kürzlich in einer Schwerpunktausgabe mit der Überschrift „Bildung? „Katastrophe!“ - Die Lage an Gelsenkirchens Schulen“ ausschließlich diesem Thema gewidmet. Kurz zusammengefasst mangelt es an allen Ecken und Enden: Zu wenig Lehrer stehen zu vielen Schülern gegenüber, es gibt zu wenig Mittel und Kapazitäten, um Schüler mit besonderem Integrationsbedarf so zu fördern wie sie es nötig hätten. Und es gibt schlicht zu wenig Schulen, zu wenig Räume – und das alles in einem der reichsten Länder der Welt.

Gelsenkirchens Oberbürgermeisterin Karin Welge (SPD) schreibt sich deshalb gerne das Jahrzehnt des Schulbaus auf die Fahne und erinnert daran, dass lange Zeit nicht ausreichend in die Schulen in der Stadt investiert wurde. Tatsächlich braucht es angesichts der enorm gestiegenen Schülerzahlen nach Rechnung der Stadtverwaltung mindestens (!) sieben neue Schulen in Gelsenkirchen. Gebaut (eine) und geplant sind vier zusätzliche Grundschulen, wobei es durch die Erweiterung der Grundschule an der Kurt-Schumacher-Straße sogar nahezu fünf neue Grundschulen sind. Hinzu kommen drei weiterführende Schulen, die dringend benötigt werden, wenn die jetzigen Grundschüler in die fünften Jahrgänge wechseln. Und ob dann die Kapazitäten ausreichen werden, ist immer noch fraglich. Aktuell wird im Bildungsdezernat die Schülerentwicklungsprognose aktualisiert, also nachgerechnet, inwieweit die bisher geplanten Neubauten ausreichen.

Flucht- und Migrationsströme spielen eine gewichtige Rolle bei der Schulplanung

Neben einigen Faktoren, die sich mehr oder weniger zuverlässig vorhersagen lassen, spielen schwer kalkulierbare Flucht- und Migrationsströme eine gewichtige Rolle, wenn es um die Frage geht, wie viel Schulraum benötigt wird. Und dabei geht es längst nicht allein um Zuzüge aus dem europäischen Ausland, sondern besonders auch um innereuropäische Migration. Schon heute ist Gelsenkirchen aufgrund der vergleichsweisen niedrigen Mieten für viele Menschen aus Südosteuropa ein beleibtes Ziel. Sollte die EU tatsächlich weitere Staaten aufnehmen, ist mit weiteren Zuzügen zu rechnen - zum Beispiel aus Moldawien.

3261 Lehrerinnen und Lehrer unterrichten in Gelsenkirchen 40.380 Schülerinnen und Schüler laut Meldung der Bezirksregierung. Und dabei ist die Raumsituation in sehr vielen Schulen heute bereits dramatisch. Und: Der Anspruch auf Ganztagsbetreuung mit entsprechend notwendigen Räumen soll theoretisch ab 2026 bestehen, wenn die Schülerzahl ohnehin einen Höchststand erreicht haben wird.

Wie sollen die vielen Schulneubauten in Gelsenkirchen eigentlich bezahlt werden?

Das „Jahrzehnt des Schulbaus“ ist also unumgänglich, es ist eine Pflichtaufgabe, die die Stadt erfüllen muss, zu der sie gesetzlich verpflichtet ist. Doch woher soll das Geld kommen? Der städtische Haushalt ist so sehr auf Kante genäht, dass er zu platzen droht, wenn irgendwoher schon Mehrbelastungen oder weniger Einnahmen von wenigen Millionen kämen, wie Stadtkämmerer Luidger Wolterhoff versichert. Die Krisen der vergangenen Jahre haben ihre Spuren hinterlassen, gestiegene Kosten für Sozialausgaben, Personal, Bauen tun ihr Übriges.

Jahr für Jahr muss die Stadt nun hoffen, dass die selber zum Sparen gezwungene Landesregierung Fördertöpfe für den Schulneubau zur Verfügung stellt, und Gelsenkirchen davon etwas abschöpfen kann. Dass etwaige Förderungen aus Düsseldorf allzu üppig ausfallen könnten, wird indes auch in der Stadtverwaltung bezweifelt. Denn: Vor der gigantischen Herausforderung, innerhalb der nächsten Jahre etliche neue Schulen zu bauen, damit es überhaupt genug Platz für alle Schülerinnen und Schüler gibt, steht Gelsenkirchen mitnichten alleine. Viele Kommunen im Land kämpfen mit demselben Problem.

Auf konkrete Fragen zur Finanzierung der Schulbauprojekte antwortet das Bildungsministerium in Düsseldorf ausweichend. Derweil hoffen Gelsenkirchens Bildungsdezernentin, Anne Heselhaus, und Kämmerer, Luidger Wolterhoff, dass die Bezirksregierung ihre mündliche Zusage einhalten wird, und der klammen Stadt einen wie auch immer gearteten finanziellen Spielraum gewähren wird. Denn um die Schulen zu bauen, die sie bauen muss, wird die Stadt wohl nicht um die Aufnahme neuer Kredite herumkommen. Würde Gelsenkirchen dann aber deshalb zu einer so genannten Haushaltssicherungskommune werden, würden Stadtpolitik und Verwaltung die ohnehin schon übersichtlichen Gestaltungsmöglichkeiten aus der Hand genommen.

Gelsenkirchens Bildungsdezernentin: „Es ist ein Skandal!“

Gelsenkirchens Bildungsdezernentin Anne Heselhaus hält es für einen Skandal, wie wenig in Deutschland für Schulen und Bildung investiert wird.
Gelsenkirchens Bildungsdezernentin Anne Heselhaus hält es für einen Skandal, wie wenig in Deutschland für Schulen und Bildung investiert wird. © FUNKE Foto Services | Oliver Mengedoht

„Es ist ein Skandal, wie wenig in unserem reichen Land in Bildung investiert wird“, sagt deshalb auch Anne Heselhaus. „Und wie wenig in den letzten Jahren investiert worden ist.“ Ihr Ressort steht nun gemeinsam mit dem Bauamt vor der Herkulesaufgabe, die nötigen Schulbauten zu planen und zu realisieren und bis dahin auch mittels großer Rochaden dafür Sorge zu tragen, dass jeder Schüler und jede Schülerin in Gelsenkirchen einen Platz in einer Schulklasse bekommt. Gut möglich, dass dafür sogar Gebäude umfunktioniert oder reaktiviert werden, die bisher nicht als Schulen genutzt wurden, und ebenso wahrscheinlich, dass sich unterschiedliche Schulen zeitweise Räume in neuen Schulgebäuden teilen. Und Container-Klassen werden bis zur Fertigstellung aller benötigten neuen Schulen wohl auch unumgänglich sein.

Dass die von der GGW zu errichtenden Grundschulen (außer Rotthausen) wie geplant fertiggestellt werden, scheint recht sicher. Ob aber die weiterführenden – Kulturschule, Gesamtschule auf Consol und der Junkerweg – entsprechend vier Jahre später stehen, darf getrost bezweifelt werden. Vor allem am Junkerweg, wo nicht einmal die Schulform beschlossen wurde, ist nicht davon auszugehen.