Gelsenkirchen. Zu wenig Personal, extreme Raumnot, fehlende Baukapazitäten: Gelsenkirchens Schulen brauchen dringend Unterstützung. Der dramatische Überblick.

Jedes zehnte Kind in Gelsenkirchen wiederholt aktuell die erste Klasse. Dass es diese Möglichkeit gibt, den notwendigen Stoff als Grundlage für den weiteren Bildungsweg zu lernen, ist gut. Aber dass die Notwendigkeit dazu besteht, ist ein verheerendes, wenngleich nicht überraschendes Signal. Eine Lehrkraft, die allein vor einer Klasse mit 25 Kindern steht, von denen nur fünf gut deutsch sprechen, viele nur rudimentäre oder keine Deutschkenntnisse haben, kann nicht allen den notwendigen Stoff vermitteln. Dass zum Schulstart jede Klasse einen eigenen Klassenlehrer hat – theoretisch, wenn niemand krank oder schwanger wird – gilt schon als Erfolgsmeldung. Dabei gelingt das nur durch ein hochkomplexes, wenig beliebtes Abordnungssystem, oft zudem mit dem Streichen einer Stunde aus der Stundentafel.

Erstklässler fahren klassenweise per Bus in anderen Stadtbezirk

3261 Lehrerinnen und Lehrer unterrichten in Gelsenkirchen 40.380 Schülerinnen und Schüler laut Meldung der Bezirksregierung. Es sind schon wieder weniger Lehrkräfte als im Vorjahr bei 1300 mehr Schülern. Und auch die Raumsituation ist in sehr vielen Schulen dramatisch. In Rotthausen ist es so eng, dass zwei der sechs Eingangsklassen der Turmschule zur neuen Schule an der Ebersteinstraße gefahren werden müssen. Auch in der Altstadt an der Grundschule Georgstraße ist zu wenig Platz für alle, sodass zwei Klassen per Bus zu den dort noch freien Räumen in Bismarck gefahren werden.

  • Dieser Text ist Teil des Online-Dossiers „Bildungskatastrophe: So steht es um unser Schulsystem“ der WAZ Gelsenkirchen. Alle Analysen, Berichte und Reportagen zum Thema finden Sie hier!

Die Bezirksregierung spricht aktuell von 39 fehlenden Lehrkräften – ohne Zahlen zur Bedarfsermittlung zu nennen. Zweifel sind angebracht, es dürften deutlich mehr Fehlende sein, weil im vergangenen Schuljahr bei mehr Schülern und weniger Lehrern 110 unbesetzte Stellen benannt wurden. Selbst diese Zahl nannten Experten vor Ort 2022 bereits deutlich zu niedrig. Ein Indiz für das hohe Engagement der wenigen vorhandenen Lehrkräfte vor Ort mag sein, dass die Teilzeitquote mit knapp 30 Prozent unter ihnen hier deutlich niedriger liegt als im Landesschnitt. Eine der Ideen von Bildungsministerin Dorothee Feller, um den Lehrermangel zu lindern, war es, die Teilzeitquote zu senken, indem „nur in begründeten Fällen“ Teilzeit gestattet wird. Bei Lehrkräften stieß diese Idee auf wenig Gegenliebe.

Anders ist die Resonanz bei Fellers Versuch, mit in der Regel pädagogisch nicht oder nur gering vorgebildeten Alltagshelfern Lehrkräfte zu entlasten. 79 solcher Alltagshelfer, die bei Bedarf Schüler auf die Toilette begleiten, Unterrichtsmaterialien vorbereiten und den Pädagogen andere zeitraubende Arbeiten abnehmen, konnten an Gelsenkirchens 41 Grundschulen bereits angestellt werden. Die Rückmeldungen aus Schulen dazu sind positiv.

Ein weiteres Instrument der Ministerin für eine gerechtere Verteilung des Mangels sind die stufenweisen Abordnungen von Lehrkräften aus gut versorgten Regionen sowie Abordnungen von Berufsanfängern, die nach zwei Jahren an ihre Wunschschule im Heimatort wechseln dürfen. Was die meisten nach bisheriger Erfahrung leider nach Ablauf der Frist auch tun. Wie viele „Abgeordnete“ in Gelsenkirchen unterrichten, „können wir nicht sagen“, heißt es aus der Pressestelle der Schulaufsicht Münster.

Wechsel ins Regelsystem dauert länger als geplant

Mit 75 Internationalen Förderklassen (IFÖ) sind Gelsenkirchens Schulen ins neue Schuljahr gestartet. Mit 21 weiteren rechnet die Verwaltung im Laufe des Schuljahres. Die meisten sind an Grundschulen (17 plus circa 15 weitere) und Gesamt-/Sekundarschulen (33 plus zwei) angesiedelt. Eigentlich sollten IFÖ-Schüler nach einem Jahr ins Regelsystem wechseln. Doch das klappt selten, zumal es unter den IFÖ-Kindern auch solche gibt, die noch nie eine Schule besucht haben – mit acht, neun oder gar zehn Jahren. Der späte Wechsel ins Regelsystem führt wegen der hohen Schülerzahl zur Bildung von Mehrklassen: Dafür werden bestehende Klassen an weiterführenden Schulen geteilt, um die andere Hälfte mit den IFÖ-Schülern auffüllen zu können. Was wiederum oft heftige Elternklagen nach sich zieht.

Hiobsbotschaften beim Schulbau, warten auf OGS-Regeln

Im Landesvergleich ausgezeichnet ist die digitale Ausstattung der meisten Gelsenkirchener Schulen und Schüler. Dramatisch hingegen ist hier die Raumsituation. Der erste Grundschulneubau ist im Rekordtempo erstellt, am Wildenbruchplatz und an der Gräfte ist die zeitliche Prognose ebenfalls gut. Für Rotthausen jedoch ist nicht einmal ein Standort sicher und bei den weiterführenden Schulen herrscht Stillstand. Für die Kulturschule wartet man seit drei Jahren auf den ersten Spatenstich, bei den zwei weiteren Schulgroßbauten geht es nicht vorwärts. Der Um- und Ausbau der Grundschulen für den Offenen Ganztag, für den ab 2026 ein Rechtsanspruch besteht, läuft. Auf die für die inhaltliche Vorbereitung unverzichtbaren Ausführungsbestimmungen wartet die Stadt weiterhin vergeblich.

Die Gelsenkirchener Bildungsverwaltung steht also vor monströsen Aufgaben. Dabei ist ein Nachfolger des im Juni mit 66 Jahren ausgeschiedenen Referatsleiters Klaus Rostek nicht in Sicht. Und weitere erfahrene und entscheidende Mitarbeiter werden ihm in absehbarer Zeit folgen. Es gibt leichtere Voraussetzungen für mögliche Nachfolger.