Gelsenkirchen-Horst. Zuwanderung, Armut, Übergewicht: Warum die Entwicklung von Gelsenkirchen-Horst die Stadt alarmiert. Und mit welchem Konzept sie gegensteuern will

Zuwanderung? Das ist nichts Neues für den einstigen Zechen-Standort Horst. Integration funktionierte damals besonders über den Job unter Tage. Heute, fast 40 Jahre nach dem Aus von Nordstern, ist der Stadtteil immer noch geprägt von Zuwanderung – nur mit dem Heimisch-Werden klappt es nicht mehr so gut. Hohe Fluktuation, überdurchschnittlich viele arbeitslose und arme Menschen sowie teils schlechtere Entwicklungsvoraussetzungen für Kinder als in der Gesamtstadt: Diese städtische Bestandsaufnahme hat die Verwaltung nun so alarmiert, dass sie vor Ort neue Wege gehen will.

Dass im Westen Gelsenkirchens etwas getan werden müsse, um den Zusammenhalt zwischen Alteingesessenen und Neu-Zugezogenen mit und ohne Migrationshintergrund zu stärken: Das ist die wichtigste Schlussfolgerung aus der 18-seitigen Bestandsaufnahme, die jetzt in der Bezirksvertretung West vorgestellt wurde.

Professioneller Quartiersmanager soll in Gelsenkirchen-Horst den Zusammenhalt stärken

Geplant ist, das Konzept für ein Quartiersmanagement von einem oder einer Hauptamtlichen umsetzen zu lassen, dessen Finanzierung dauerhaft gesichert werden soll. Wie die Verwaltung in ihrem Beschlussvorschlag erläuterte, sollen dafür ab 2024 121.000 Euro in den Haushalt eingestellt werden – vorbehaltlich der Genehmigung des Haushalts. Angestellt werden soll dieser professionelle sozial-integrative „Kümmerer“ über einen Träger für zunächst dreieinhalb Jahre.

Wie notwendig diese Maßnahme sei, belegte die Verwaltung mit Details der Bestandsaufnahme, für die der Stadtteil mit seinen insgesamt 20.286 Einwohnerinnen und Einwohnern in die drei Bezirke West, Nord und Süd eingeteilt wurde; insgesamt umfasst Gelsenkirchen (264.34 Einwohnerinnen und Einwohner) mit seinen 18 Stadtteilen 40 Bezirke.

Gelsenkirchen-Horst-West verzeichnet zweithöchste Zuwanderung aus dem Ausland

Demnach verzeichnete Horst-West zum 31.12.2020 die zweithöchste (2,4 Prozent) und Horst-Nord die sechsthöchste (2 Prozent) direkte Zuwanderung aus dem Ausland (Gesamtstadt: 1,2 Prozent).

Die neu Hinzugezogenen blieben oft weniger als drei Jahre: In Horst-Nord waren es 28, in Horst-West 29 und in Horst-Süd 24 Prozent (Gesamtstadt: 27 Prozent). Laut Stadt kann diese höhere Fluktuation insgesamt auf instabilere Nachbarschaften und einen höheren Integrationsbedarf hinweisen. Sprich: Die Nachbarschaft muss sich immer wieder neu orientieren; einen Zusammenhalt auszubilden, fällt schwer.

Horster Kinder sind gegenüber Altersgenossen in Gesamt-Gelsenkirchen benachteiligt

Insgesamt lebten in Horst mehr Menschen mit einem Migrationshintergrund als in der Gesamtstadt (35,7 Prozent): In Horst-Nord waren es 39 Prozent (Rang 13), in Horst-West 37,6 Prozent (Rang 14) und in Horst-Süd 36,2 Prozent (Rang 17).

Die Kinder in Horst-Nord und -West sind statistisch betrachtet gegenüber Mädchen und Jungen im Stadtdurchschnitt (16,6 Prozent) benachteiligt: In Horst-West hatten 2019 insgesamt 20 Prozent (Rang 9) schwierigere Ausgangsvoraussetzungen für die Entwicklung elementarer Kompetenzen (Horst-Nord: 18,1 Prozent, Rang 13).

In Gelsenkirchen-Horst leiden mehr Kinder an Übergewicht als im Stadt-Durchschnitt

Ähnlich verhält es sich mit deren gesundheitlicher Situation: Die Übergewichtsquote von Vorschulkindern in Horst-West lag 2019 mit 16,9 Prozent (Rang 2) und in Horst-Süd mit 14,6 Prozent (Rang 11) über dem gesamtstädtischen Mittel von 12,3 Prozent; der Wert lag in Horst-Nord mit 9,8 Prozent (Rang 29) unter dem Durchschnitt.

Horst-Nord und -West liegen auch in Sachen Abhängigkeit von Transferleistungen und Arbeitslosenanteil über dem gesamtstädtischen Mittel (24,5 Prozent). Hartz IV bezogen in Horst-Nord 25,3 Prozent (Rang 14), in Horst-West 26,9 Prozent (Rang 12) der Einwohnerinnen und Einwohner. Der Arbeitslosenanteil lag in Horst-Nord (12,2 Prozent, Rang 14) und -West (12,7 Prozent, Rang 11) ebenfalls über dem Durchschnitt Gelsenkirchens (9,7 Prozent). Horst-Süd ist weniger stark von Armut und Arbeitslosigkeit betroffen.

Horster klagen über Vermüllung und abnehmendes Sicherheitsgefühl

In den Straßen abgeladener Müll (Symbolbild) ärgert nicht nur die Bürgerinnen und Bürger in Gelsenkirchen-Horst.
In den Straßen abgeladener Müll (Symbolbild) ärgert nicht nur die Bürgerinnen und Bürger in Gelsenkirchen-Horst. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Aber auch durch Befragungsergebnisse sieht sich die Stadt in ihrer neuen Strategie für Horst bestätigt: Die Interviewten beschrieben das Miteinander von Alteingesessenen und Neuzugezogenen als größte Herausforderung, kritisierten eine zunehmende Vermüllung und ein abnehmendes Sicherheitsgefühl.

Dass es in Horst nicht nur Schatten, sondern auch viel Licht gibt, unterschlägt die Analyse nicht: Es gebe viele engagierte Haupt- und Ehrenamtliche, funktionierende Strukturen und regelmäßige Gruppenangebote sowie Aktionen, „die das Leben im Stadtteil lebenswerter machen“.

Diese zu vernetzen und Initiativen zu bündeln, soll die Hauptaufgabe des sozial-integrativen „Kümmerers“ sein. Der Quartiersladen soll als bürgernahe Anlaufstelle und Treffpunkt dienen mit dem Ziel, die Menschen vor Ort nicht nur zu informieren und für Angebote zu gewinnen, sondern sie auch zur Entwicklung eigener Projekte zu ermutigen. Immer dabei im Fokus: den Zusammenhalt vor Ort zu stärken. Am Ende überzeugte das Konzept die Bezirksverordneten auf ganzer Linie: Sie votierten einstimmig dafür.