Gelsenkirchen. Zu viele Brennpunktschulen, zu wenig Ausgleich. Warum Gelsenkirchener Eltern bei der Schulanmeldung verzweifeln – und welche Lösung helfen könnte

Die Anmeldungen für die Grundschulen, sie stehen kurz bevor. Viele Eltern in Gelsenkirchen müssen nun eine Entscheidung treffen, wo ihr Kind in den nächsten mindestens vier Jahren lesen, schreiben, rechnen lernen soll. Es ist eine Entscheidung von großer Tragweite, in jedem einzelnen Fall. Und sie führt in manchen Fällen zur Verzweiflung.

Wird mein Kind dort, an der Schule in der Nachbarschaft, gut ankommen? Bekommt es hier bei allen Bemühungen von Lehrerinnen und Lehrern die Grundlagen fürs Schulleben vermittelt oder muss es einfach nur kämpfen, um nicht unterzugehen? Diese Fragen stellen sich insbesondere Familien im Gelsenkirchener Süden, die in Quartieren leben, in denen ein großer Teil der Kinder in Armut lebt.

Ein Kommentar von WAZ-Redakteurin Annika Matheis.
Ein Kommentar von WAZ-Redakteurin Annika Matheis. © funkegrafik nrw | Anna Stais

Dabei soll es mitnichten darum gehen, bloß nicht mit diesen Kindern in Kontakt zu kommen – aber was ist, wenn der mit Abstand größte Teil der Klasse eigentlich eine viel intensivere, individuelle Förderung benötigt? Was ist, wenn mein eigenes Kind, das ich in den vergangenen sechs Jahren möglichst intensiv versucht habe zu fördern, bei all dem hinten rüber fällt?! Was ist, wenn der mit Abstand größte Teil der Klasse kaum bis gar kein Deutsch spricht oder in seinem Leben noch nie die für frühkindliche Bildung so wichtige Kita besucht hat?!

Im aktuellen Wegweiser der Stadt Gelsenkirchen für die Anmeldung werden Eltern gebeten, bei der Wahl der Schule das Prinzip „Kurze Beine, kurze Wege“ zu berücksichtigen. Dahinter steckt der Gedanke, dass die Grundschulkinder am besten zu Fuß, aber auch mit dem Rad oder Roller zur Schule – also selbstständig – gelangen sollen. Ganz grundsätzlich sind Eltern jedoch frei in ihrer Wahl, ein zukünftiges i-Dötzchen aus Ückendorf kann also auch in Buer, Resse oder Scholven zur Schule gehen – doch welche Eltern wollen sich diesen Spagat zwischen Job, Haushalt und vielleicht dem zweiten Kind, das nebenan in den Kindergarten geht, schon antun? Die Schulen hingegen können im Rahmen ihrer Aufnahmekapazität auch Kinder aufnehmen, die weiter von der Schule entfernt wohnen.

Drang auf konfessionelle Schulen in Gelsenkirchen: Eltern versuchen, ihr Kind noch schnell zu taufen

So ist mit der Zeit, so ist es zu hören, in dieser Stadt ein regelrechter Wettbewerb um die Aufnahme des eigenen Kindes an den „besseren“ Schulen entstanden. Und gleichsam auch der Eindruck, dass die Religionszugehörigkeit die letzte Bastion zur Sicherung einer gelingenden Bildungskarriere sein kann – wenn es etwa um den Punkt geht, das eigene Kind an einer konfessionellen Grundschule unterzukriegen. Kein Witz: Es soll Eltern geben, die noch schnell ihre Kinder „nachtaufen“ lassen, um einen der begehrten Plätze zu bekommen.

Wie ist das nur möglich? Hier versagen nicht engagierte Lehrerinnen und Lehrer oder das pädagogische Fachpersonal vor Ort, nicht die Stadt, nicht die Eltern, es ist ein Versagen der (Bildungs-)Politik. Und es zeigt die mangelnde Flexibilität eines starren Bildungssystems, das in all den vergangenen Jahren versäumt hat, sich auf besondere, neue Lagen einzustellen. Vielleicht ist es auch eine mangelnde Wertschätzung gegenüber Kindern und Familien – oder vielleicht sind andere Dinge wichtiger?

Im Großen gedacht kann sich dieses Land diese Bildungsmisere, die sich im Kleinen immer wieder in Gelsenkirchen zeigt, ja überhaupt gar nicht mehr leisten.

Was also tun? Ein kühner Vorschlag, sicher: Wie wäre es mit einer gerechteren, einer gleichmäßigeren Verteilung der Kinder – auch gegen den Willen der Eltern? So dass der Anteil der Kinder mit besonderem Förderbedarf nicht an einigen Schulen kaum zu bewältigen hoch ist und an anderen Schulen wiederum verhältnismäßig gering? Eventuell steckt darin ja sogar ein Gewinn, durch gemeinsames Lernen, eine gemeinsame Entwicklung, ein gegenseitiges Voneinander-Abschauen. Für die Lehrer könnte es weitere Entlastung sein und den Unterrichtsalltag mobilisieren – und nicht mehr lähmen, wie es dieser Tage vielerorts üblich ist.