Gelsenkirchen. Ein Angebot in Gelsenkirchen bereitet Vorschulkinder, die keinen Betreuungsplatz haben, auf die Schule vor. Die Betreuerinnen finden klare Worte.
Adam strahlt, mit ihm im Kreis sitzen an diesem Julimorgen an der Georgschule in der Gelsenkirchener City zehn Kinder und fünf pädagogische Fachkräfte. Fast schon lässig hat er eine Zahl gelegt, zeigt heute im Morgenkreis, was so alles in ihm steckt. Schätzen? Für Adam kein Problem. Es geht um Mengenerfassung, es geht um Zahlen, ums Begreifen, um die deutsche Sprache: Wenn Adam nicht dort wäre, wo er jetzt gerade ist, sein Schulstart in diesem Jahr könnte schwieriger werden. Ein Besuch bei der Ferien-Sprachkita der Erdmännchen-Gruppen des städtischen Trägers Gekita – hier soll Vorschulkindern, die keine Kita besuchen, ein gelingender Übergang in die Grundschule ermöglicht werden.
Für eine bessere Integration: Expertinnen in Gelsenkirchen fordern Kitapflicht
Durch den Zuzug von geflüchteten Familien ist die Zahl der Kinder, die in Gelsenkirchen nicht mit einem Kita-Platz versorgt werden können, stetig angestiegen. Die Erdmännchen-Gruppen sind eine Art Brückengruppe, seit dem Jahr 2016 fester Bestandteil des Gekita-Angebots. Hier werden die in der Regel fünf bis sechs Jahre alten Kinder ohne Betreuungsplatz in ihrem letzten Lebensjahr vor Schuleintritt ganz gezielt auf die Schule vorbereitet, hier erhalten sie Sprachförderung und lernen besonders die Kompetenzen, die für die anstehende Zeit von Bedeutung sind. Rund 90 Vorschulkinder nahmen im Kindergartenjahr 2022/23 dieses Angebot wahr.
Um welche Kompetenzen geht es da? „Etwa einen Stift richtig zu halten“, erklärt Nicole Hahne-Wennrich. Die pädagogische Fachkraft von Gekita ist schon seit vielen Jahren bei den Erdmännchen aktiv, sie hat beobachtet, dass einige Kinder zu Beginn ihres Besuchs beispielsweise „unsozialisiert“ seien, dass es schwierig für sie sei, über eine gewisse Zeit auf einem Stuhl zu sitzen – „die wollen so wie sie wollen“, sagt Hahne-Wennrich.
„Ganz wichtig für die Kinder ist eine gewisse Struktur“, erklärt Hahne-Wennrichs Kollegin Annika Erlinghagen. Die gibt es bei den Erdmännchen, nicht nur während des Ferienprogramms, auch während der regelmäßigen Gruppenstunden. An sechs Standorten in Gelsenkirchen setzen sich die Fachkräfte von Gekita mit den Mädchen und Jungen zusammen, Treffpunkte sind ganz bewusst Grundschulen. Denn so bekommen die kleinen Erdmännchen schon einen ersten Eindruck, ein erstes Gefühl von Schule. Immer wieder dienstags und donnerstags finden diese Gruppenstunden statt, für etwa vier Stunden im Vormittagsbereich. „Es wäre natürlich toll, wenn wir das jeden Tag machen könnten“, sagt Nicole Hahne-Wennrich. So wie jetzt, in den Ferien.
September 2022: Rund 200 Vorschulkinder in Gelsenkirchen ohne Betreuungsplatz
Neben Adam sind 17 weitere Kinder ohne Betreuungsplatz zu diesem Ferienprogramm der besonderen Art an der Georgschule angemeldet, ihre familiären Wurzeln liegen in Ländern wie Syrien, Afghanistan, Pakistan, Rumänien, Mazedonien, Bosnien oder Kroatien. An diesem Vormittag zeigen sie alle stolz, wie viel sie in den vergangenen Monaten schon gelernt haben, singen lauthals mit, tanzen, lachen, springen.
Wie kommt es, dass es in dieser Stadt Kinder gibt – im September des vergangenen Jahres hatten rund 200 Vorschulkinder keinen Kita-Platz –, an denen das Angebot frühkindlicher Bildung komplett vorbeigeht? Diese eine Antwort auf die Frage, es gibt sie nicht.
Adam und die anderen Erdmännchen-Kinder beispielsweise, sie kommen aus Zuwanderer-Familien, mit mannigfaltigen Problemlagen, teilweise prallen „total unterschiedliche Welten aufeinander“, weiß Karin Broekmann, die das Erdmännchen-Konzept vor sieben Jahren in Gelsenkirchen umgesetzt hatte und heute die Koordinatorin der Gruppen ist. Da sind zum einen die Eltern, die zum Teil gar nicht wissen, dass frühkindliche Bildung und der frühe Erwerb der deutschen Sprache einen immens hohen Stellenwert für eine gelingende Zukunft hat.
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Ein weiteres Beispiel: „Die nächste Hürde ist das Kita-Portal“, so Broekmann. Eigentlich ja ganz bewusst niedrigschwellig angelegt, erreicht es eben doch nicht alle – wenn die Eltern etwa Analphabeten sind. „Ein Punkt ist auch, dass es viele Familien gibt, die das System Kita gar nicht kennen“, weiß Nicole Hahne-Wennrich. Sie betont aber auch: „Man kann hier nichts pauschalisieren“, müsse immer ganz individuell auf das jeweilige Kind schauen. Häufig kommen Familien im Umbruch, viele haben Fluchterfahrungen, „die haben erstmal ganz andere Sorgen“, weiß Karin Broekmann.
Kontakt zu den Familien
Die Familien werden schriftlich über das Förderangebot in den Erdmännchen-Gruppen informiert. Da allerdings oftmals oftmals große Sprachbarrieren bestehen, finden „Haustürbesuche“ mit muttersprachlicher Unterstützung statt, um den Eltern beziehungsweise Familien das Angebot im persönlichen Kontakt zu erläutern.
Derzeit bietet GeKita sechs Erdmännchengruppen an diesen Standorten an: Gemeinschaftsgrundschule Schule an der Erzbahn, Gemeinschaftsgrundschule Regenbogenschule, Gemeinschaftsgrundschule Am Schloss Horst, Gemeinschaftsgrundschule Leytheschule , Gemeinschaftsgrundschule Kurt-Schumacher-Straße (Dependance Caubstraße) und eben an der Gemeinschaftsgrundschule Georgschule.
Die Idee dahinter geht auf die gleichnamigen Erdmännchen-Gruppen in Dortmund zurück. Hier wurde das Konzept zuvor bereits erfolgreich erprobt – da es in den Kellerräumen einer Grundschule angeboten wurde, lag der Name „Erdmännchen“ nahe.
„Es gibt ja Unterstützung“, findet Broekmann, weitere klare Worte, „aber es ist wie überall nicht „genug.“ Sie und ihre beiden Kolleginnen fordern viel mehr Kitas und viel mehr Personal, um diese Aufgabe, diese Herausforderung überhaupt bewältigen zu können. Braucht es in ihren Augen eine Kitapflicht? Die drei Expertinnen bejahen diese Frage sofort. Sie sehen ein strukturelles Problem, weit über die Grenzen Gelsenkirchens hinaus. „Die Frage ist doch, wie gehen wir mit Zuwanderung um, was ist mit diesen Kindern und wie müssen sich Kita und Schule ändern?“, fragt Broekmann.