Gelsenkirchen. Ins „La Palma“ in Gelsenkirchen-Ückendorf kommen vor allem Kinder aus Südosteuropa. Aber das wichtige Projekt steht auf „wackeligen Beinen“.
Dass es hier um keine ganz einfache Gruppe von Kindern und Jugendlichen geht, wird schnell klar, als einer der anwesenden Jungs die Mutter eines anderen heftig beleidigt, und das sogar während eine Betreuerin direkt neben ihm steht. Er muss das „La Palma“, den Jugendtreff an der Ückendorfer Straße 121, jetzt als Strafe für fünf Minuten verlassen. Es sind Konsequenzen, die die Jugendlichen hier augenscheinlich sonst selten zu spüren bekommen. „Die meisten kennen keine Benimmregeln“, sagt Létitia Labouret, die hier nebenberuflich arbeitet.
Ende August 2022 wurde das „La Palma“ im Zuge des Projekts „Gemeinsam in Ückendorf“ mit einem Fest eröffnet, zwar nicht explizit für rumänische und bulgarische Jugendliche, aber weil in der Nachbarschaft eben viele arme und bildungsschwache Familien aus Südosteuropa leben, sind es vor allem Kinder von dort, die regelmäßig hierher kommen. „Es sind oft ungeliebte Kinder, aber hier sind sie willkommen“, sagt Barbara Eggers, leitende Jugendreferentin der evangelischen Kirche und mitverantwortlich für den Treff. Woanders seien sie es oftmals nicht – „weil sie laut sind, weil sie lange wach sind, weil sie eine Art haben miteinander umzugehen, die im Stadtteil für Probleme sorgt.“
Schwierige Finanzierung: Das „La Palma“ in Gelsenkirchen-Ückendorf steht auf wackeligen Beinen
Es ist also eine schwierige Klientel, für die das „La Palma“ geschaffen wurde – eine, die im Mittelpunkt vieler gesellschaftspolitischer Debatten in Gelsenkirchen steht, eine, bei der es um die „großen Integrationsherausforderungen“ geht, von denen Oberbürgermeisterin Karin Welge häufig spricht. Für diese Herausforderungen erfüllt das „La Palma“ eine wichtige Aufgabe.
So wichtig, dass sich mit dem Ev. Kirchenkreis, der Katholischen Jugendsozialarbeit und dem Spunk direkt drei Träger zusammengeschlossen haben, um das „La Palma“ zu bespielen. Und so wichtig, dass es selbst Annette Kurschuss, Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Anfang Juni in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ als Musterbeispiel dafür anführte, wie die Kirche heutzutage auf Notlagen von Menschen reagieren sollte.
„Ich habe es vor kurzem erst in Gelsenkirchen, einer der ärmsten Städte Deutschlands, erlebt. Die Gemeinden starten dort kleine, ungewohnte Projekte und Kooperationen, etwa einen täglichen Treff für die vielen zugewanderten Kinder aus Osteuropa in einem ehemaligen Ladenlokal“, sagte sie darin. „Das tut den Kindern und dem ganzen Stadtteil enorm gut, geschieht allerdings mit ungesicherter Finanzierung und offenem Ausgang.“
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Dabei müsste man meinen, es wäre besonders erfahrenes Fachpersonal, dass die Kinder hier empfängt, dass die Unterstützung für ein so wichtiges Projekt seitens Politik und Verwaltung hier doch besonders groß wäre.
Stattdessen aber hangelt sich das „La Palma“ von einem kleinen Finanztopf zum nächsten – mal sind es 15.000 Euro über einen sogenannten „Innovationstopf“, mal Gelder aus Finanzquellen wie dem Landesjugendplan oder dem Stärkungspakt NRW. „Das Projekt steht auf wackeligen Beinen“, konstatiert Eggers. Und die acht jungen Mitarbeitenden, die hier Zeit mit den Kindern verbringen, gehen die „Integrationsherausforderungen“ Gelsenkirchens nebenbei oder im Rahmen ihrer Ausbildung an. Führt das zu Überforderung?
Diese jungen Menschen kümmern sich um die rumänischen Kinder in Gelsenkirchen-Ückendorf
Da ist zum Beispiel Létitia Laboure – 24 Jahre alt, angehende Grundschullehrerin. Genug habe sie von dem Gerede, „dass Gelsenkirchen eine No-go-Area“ sein soll, sagt sie. Natürlich sei es hier in einem Stadtteil wie Ückendorf mit der Jugendarbeit, und sicher auch später als Grundschullehrerin, „etwas anstrengender“ als anderswo. „Aber die Kinder hier brauchen ja auch eine Chance“, erklärt sie ihre Motivation.
Nils Umbach, Anfang 20, macht gerade sein freiwilliges soziales Jahr bei der evangelischen Apostelgemeinde. Danach will er soziale Arbeit studieren. „Es ist manchmal schwierig, sich hier durchzusetzen“, sagt er. Deutliche Ansagen würden auch mal auf taube Ohren stoßen. Bei einem Kollegen, der gebürtiger Serbe ist, sei das anders. Er könne sich besser mit den manchmal nur brüchig Deutsch sprechenden Kindern unterhalten. „Er ist ein bisschen wie der Rattenfänger von Hameln“, sagt Barbara Eggers mit einem Augenzwinkern. Wenn er ankomme, ziehe er gleich 30 Kinder mit ins Jugendhaus.
Die „Kontinuitätsperson“ im „La Palma“ aber ist derzeit Kira Pril, die „direkt um die Ecke wohnt“ und mit 16 Arbeitsstunden in der Woche am häufigsten vor Ort ist. Die 20-Jährige will bald eine Ausbildung machen, auch im sozialpädagogischen Bereich. „Man muss jedes Kind persönlich kennenlernen, dann kommt man auch mit allen klar“, bringt sie das einfache Erfolgsrezept für ihre Aufgabe hier auf den Punkt.
Eigentlich soll sich zusätzlich auch eine in Vollzeit arbeitende Fachkraft mit um das „La Palma“ kümmern. Aber die Stelle ist seit längerer Zeit vakant, „was sehr bedauerlich ist“, sagt Jugendreferentin Barbara Eggers. „Wir suchen wirklich händeringend jemanden.“ Aber so sei er nun einmal, der Fachkräftemangel.
Das „La Palma“ in Gelsenkirchen-Ückendorf: Ein Projekt mit offenem Ausgang
Also haben die Träger keine andere Wahl, als dem Nachwuchs die schwierige Aufgabe hier im „La Palma“ weitestgehend zu überlassen – eine Aufgabe, die sie mit Leben füllen. „Montags nähen wir mit den Kindern, da kommt eine Schneiderin vorbei. Dienstags backen wir zusammen und mittwochs kochen wir“, erzählt Kira Pril. Etwa 150 Quadratmeter ist das ehemalige Sonnenstudio auf der Ückendorfer Straße groß, es gibt neben dem großen Hauptraum auch eine Küche und eine Gemeinschaftstoilette. Die Kissen und Möbel haben die etwas älteren Stammgäste selbst hergestellt, die Wände haben die Kinder selbst gestrichen.
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„So haben die Kinder ihren eigenen Raum gestaltet“, sagt Barbara Eggers – ein wichtiger Teil der Jugendarbeit. „Wir bemühen uns, dass sie sich hier selbst ausdrücken können, dass sie selber Regeln aufstellen und sich überlegen, wie sie miteinander umgehen wollen.“ Neulich habe ein Junge ein Mädchen an den Po gefasst. „Damit haben wir uns dann intensiv auseinandergesetzt.“
Dass so etwas dann auch nicht mehr auf der Straße passiert, das ist hier die Hoffnung. Aber es ist ein Projekt mit noch offenem Ausgang, wie schon Annette Kurschuss in der „SZ“ betonte. „Die Kirche kann nicht herumsitzen, jammern und sagen: ,Übermorgen sind wir am Ende’“, sagte sie. Ückendorf kann das sicher auch nicht.