Gelsenkirchen. Unterhaltungswert haben Klagen, die das Gelsenkirchener Verwaltungsgericht behandelt. Der Präsident erzählt von Skurrilem, aber auch von Dramen.
Wer glaubt, am Gelsenkirchener Verwaltungsgericht ginge es staubtrocken zu, irrt gewaltig. „Wir verhandeln das wahre Leben“, sagt Siegbert Gatawis, Präsident der Behörde bei der Vorstellung der Jahresbilanz 2022. „Und auch sehr skurrile Fälle“.
Einer davon ist der Fall eines Bochumers, der sich von seiner Waffe trennen sollte – ein großkalibriger Schießprügel, „mit dem man Eisbären nicht nur in die Flucht schlagen konnte“, wie Gatawis mit einem Schmunzeln berichtet. Diesen „Bärentöter“ habe der Mann partout mit sich führen wollen bei seinen Trekking-Touren durch die eisigen Regionen der nördlichen Welthalbkugel.
Gelsenkirchener Gericht: Nein zu „Bärentöter“ für Trekking-Touren im Polareis
Weil der Polar-Fan aber mittlerweile Arbeitslosengeld II erhält und das Gericht davon ausging, dass er derartige kostspielige Extrem-Exkursionen vorerst nicht mehr als Teilnehmer oder Veranstalter mitmachen kann, ist ihm die Erlaubnis, eine „solche Waffe vorzuhalten“ entzogen worden. „Aus unserer Sicht reicht es aus, sich einen solchen Schutz vor Ort auszuleihen, das ist in jenen skandinavischen Ländern, in denen Eisbären leben, üblich“, so der Gerichtspräsident zur Urteilsbegründung.
Vor dem Gelsenkirchener Verwaltungsgericht landete auch ein Klimaaktivist, der zusammen mit anderen Mitstreitern ausgerechnet einen Tag vor Heiligabend den Bochumer Ruhrpark stundenlang lahmgelegt hat, wie Richter und Pressesprecher Wolfgang Thewes berichtet. Ein Riesen-Stau waren die Folge und wütende gehetzte Kunden, die doch ihre letzten Besorgungen machen wollten. Die Protestler hatten unter anderem aus Sesseln und Sofas Blockaden auf den Straßen errichtet, der Kläger per Speisfass. Seine Hände steckten fest im Beton.
Polizei durchsucht „Klimaaktivistin“ im Beton-Fass: Geschlecht nicht erkennbar
„Auf Freiheitsberaubung hat der Bochumer geklagt, insbesondere gegen seine Durchsuchung von männlichen Einsatzkräften, denen er sich zuvor angeblich als Frau geoutet hatte“, erzählt Thewes über den sprichwörtlich schweren „Beton-Fall“. Das Gericht wertete darauf viele Beweismittel aus, unter anderem auch Fotos, Videos und Vernehmungsprotokolle. Ergebnis: „Weder durch das Aussehen noch durch das Verhalten ist eine Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht erkennbar gewesen – Klage abgewiesen.“
Gelsenkirchener Richter sagen weitere Klagewelle um Corona-Hilfen voraus
Und sonst? Haben die 69 Richter am Verwaltungsgericht diese Dinge beschäftigt und tun es teilweise nach wie vor: Streitigkeiten um Corona-Soforthilfen, Tätigkeitsverbote mangels Impfnachweis oder auch Asylverfahren.
Etwa 280 im vergangenen Jahr eingegangene Verfahren betreffen Rückforderungen von Finanzhilfen für Freiberufler und Unternehmer, die Corona-Soforthilfen bis maximal 25.000 Euro erhalten haben und gegen die Rückerstattung klagen. Bei etwa 70 Verfahren geht es sogar um Geldbeträge bis zu einer Million Euro, bei denen Klägern die Überbrückungshilfe versagt worden ist.
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Prognose der Juristen: „Eine Klagewelle steht ins Haus, die uns noch Jahre beschäftigen wird“. Denn die Rückforderungsbescheide des Landes sind von mehreren Verwaltungsgerichten und zuletzt auch vom Oberverwaltungsgericht NRW als rechtswidrig bewertet worden.
Jobverbot mangels Impfnachweis: 90 Beschäftigte klagen vor Gelsenkirchener Gericht
Betretungs-und Tätigkeitsverbote im Zusammenhang mit den in der Corona-Pandemie geforderten Impfnachweisen für medizinisches oder pflegerisches Personal landeten als Klagen ebenfalls auf den Richterpulten. So wandten sich rund 90 Beschäftigte aus dem Gesundheitsbereich gegen ein befristetes Tätigkeitsverbot, nachdem sie sich geweigert hatten, einen Impfnachweis vorzulegen. „In bisher 18 Klageverfahren hat die Kammer die Klagen durch Urteil abgewiesen“, so Gatawis zum Ausgang der Prozesse. Weitere Verhandlungen stünden in den nächsten Wochen und Monaten an.
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen: rund 1600 Asylverfahren
Die Zunahme der Migration in die Europäische Union hat sich im abgelaufenen Geschäftsjahr des Verwaltungsgerichtes nicht in steigenden Asylverfahren niedergeschlagen. Ihre Zahl sank um 9,52 Prozent auf rund 1600 – 2015 bis 2017 waren es noch rund 5000 bis 6000 Verfahren pro Jahr.
Nach Herkunftsländern sortiert, bilden Syrien (327 Fälle), Irak (299), Türkei (136), Afghanistan (99) Nigeria (98) die „Top Five.“ Iran ist als Herkunftsland mit 55 Verfahren gelistet, die Richter am Verwaltungsgericht Gelsenkirchen rechnen aufgrund der anhaltenden Krisenlage durch das Mullah-Regime – erst vor ein paar Tagen wurde ein Schwede hingerichtet – damit, dass „viele Asylsuchende noch kommen werden“.
Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen ist zuständig für das Gebiet der kreisfreien Städte Bochum, Bottrop, Dortmund, Essen, Gelsenkirchen und Herne sowie der Kreise Recklinghausen und Unna.
Eine Vielzahl der ursprünglich erhobenen Klagen beziehungsweise Eilverfahren – zusammen sind es etwa 125 – haben sich inzwischen nach Ablauf der Frist (31. Dezember 2022) erledigt, ohne dass es einer gerichtlichen Entscheidung bedurft hätte.
Gepanschte Krebsmedikamente: Bottroper Apotheker kämpft gegen Approbationsentzug
„Am Verwaltungsgericht Gelsenkirchen werden regelmäßig Fragen beantwortet, die von teils hochaktueller gesellschaftlicher Relevanz sind“, resümiert Präsident Siegbert Gatawis mit Blick auf 7393 Verfahren im abgelaufenen Jahr (2021: 7596). So wie der Fall des wegen gepanschter Krebsmedikamente verurteilten Bottroper Apothekers. Der hatte gegen den Entzug seiner Approbation geklagt. Zu Unrecht, wie die Gelsenkirchener Richter entschieden hatten. Eine Verfassungsbeschwerde gegen das Strafgerichtsurteil ist allerdings noch anhängig.