Gelsenkirchen. Vor zehn Jahren wurde das neue Hans-Sachs-Haus mit alter Fassade endlich eingeweiht. Das architektonische Kleinod hatte einen langen Leidensweg.

Sie drohte eine unendliche Geschichte zu werden, die Sanierung beziehungsweise der Neubau des architektonischen Schmuckstücks Hans-Sachs-Haus. Der Architekt Alfred Fischer hatte den mächtigen Bau im Stil des Backsteinexpressionismus mit den abgerundeten Ecken und dem Lichthof im Inneren einst entworfen. 1927 wurde der damals hochmoderne und eben deshalb umstrittene Sitz der Gelsenkirchener Verwaltung eingeweiht.

Im Turm des Originalbaus bewirtete ein erlesenes Hotel Gäste, unten im spektakulären großen Saal mit bis zu 1600 Plätzen feierten Gelsenkirchener ihren Tanzschul-Abschlussball, der Musikverein organisierte und gestaltete hier Konzerte, nachdem sein voriges Domizil – die Gastwirtschaft Heuser – für den Bau des Hans-Sachs-Hauses (HSH) weichen musste. Es wurden Opern aufgeführt, es gab Theater- und Filmvorführungen, Box- und Turnveranstaltungen. Auch nach außen hin war das Haus geöffnet. Verschiedene Geschäfte mit großen Schaufenstern fanden im Erdgeschoss Platz.

Das Wessel-Eck war geöffnet von 6 Uhr morgens bis 3 Uhr nachts

Der Originalbau wirkte einst wie ein Solitär in der Innenstadt.
Der Originalbau wirkte einst wie ein Solitär in der Innenstadt. © ISG | Fremdbild

Im Wessel-Eck an der Ecke Ebert-Vattmannstraße versackte in der Nachkriegszeit manch Beamter nach dem Dienst, hier traf sich aber auch die „gute“ Gesellschaft. Öffnungszeiten von sechs Uhr morgens bis nachts um drei fanden damals durchaus hinreichend Gäste. Nach 1962 wechselten die Besitzer häufiger: Ratseck und Ratskeller folgte ein Feinschmeckerrestaurant von Schalke-Ikone Charly Neumann und schließlich die „Entenfalle“. Mehrere Bomben trafen das Haus im Zweiten Weltkrieg. Nach dem Wiederaufbau folgte 1957 ein Anbau mit 77 Zimmern, der fast den gesamten heutigen Alfred-Fischer-Platz einnahm.

Das Innenleben des alten Hans-Sachs-Hauses wurde komplett abgerissen.
Das Innenleben des alten Hans-Sachs-Hauses wurde komplett abgerissen. © www.blossey.eu / FUNKE Foto Service | Hans Blossey

Kostenexplosion: Aus 44 Millionen Euro wurden 143 Millionen

Im Jahr 2001 dann musste zunächst der große Saal des HSH gesperrt werden: wegen Einsturzgefahr. Nach und nach zeigten sich weitere, drängende Baumängel. Sie führten schließlich 2002 dazu, dass der gesamte Komplex leergezogen wurde, die Verwaltung bezog Ausweichquartiere im ganzen Stadtgebiet. Der ursprüngliche Plan war, das Haus denkmalgerecht zu sanieren. Man rechnete mit Kosten von 44 Millionen Euro, der damalige Oberbürgermeister Oliver Wittke plante eine Finanzierung über ein Miet-Rückmiet-Modell mit Public-Private-Partnership (PPP). Ein Plan, der scheiterte. Aus den kalkulierten 44 Millionen wurden in der extremsten Schätzung 143 Millionen Euro. 2005 zog der neu gewählte Rat mit dem neuen Oberbürgermeister Frank Baranowski die Reißleine und kündigte den PPP-Vertrag.

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Ein von einem Bündnis linker Fraktionen einberufener Untersuchungsausschuss versuchte zu klären, wie das Desaster seinen Lauf nehmen konnte, was hätte vorhergesehen werden müssen. Am Ende stand fest: Man hätte es ahnen können.

Kein futuristisches Projekt, sondern das altehrwürdige Hans-Sachs-Haus: Die historische Fassade des Gelsenkirchener Hans-Sachs-Hauses wurde während der Neubauarbeiten – ein Bild von März 2010 – im Inneren aufwendig gestützt.
Kein futuristisches Projekt, sondern das altehrwürdige Hans-Sachs-Haus: Die historische Fassade des Gelsenkirchener Hans-Sachs-Hauses wurde während der Neubauarbeiten – ein Bild von März 2010 – im Inneren aufwendig gestützt. © FUNKE Foto Service | Martin Möller

Nach langen Diskussionen und einer Intervention des Stadtplaners, Architekten und Heimatforschers Lutz Heidemann, der sich für einen denkmalgerechten Erhalt einsetzte und mit einem Bürgerforum, das 10.000 Unterschriften für den Erhalt des Hauses sammelte, entschied sich der Rat 2007 schließlich, das marode Innenleben des HSH zwar abzureißen und neu aufbauen zu lassen. Die historische Fassade aber sollte samt Turm geschützt und erhalten werden, um der Stadt ihr repräsentatives Zentrum zu erhalten.

Das Mobile mit den Gesichtern hing nur für kurze Zeit im wieder eröffneten Gebäude. Viele Details wie etwa das Farb-Leitsystem wurden vom Originalgebäude übernommen.
Das Mobile mit den Gesichtern hing nur für kurze Zeit im wieder eröffneten Gebäude. Viele Details wie etwa das Farb-Leitsystem wurden vom Originalgebäude übernommen. © WAZ FotoPool | Lutz von Staegmann

Ein Architektenwettbewerb endete 2008 mit dem Zuschlag für das Architekturbüro von Gerkan, Marg und Partner (gmp). 53 Millionen Euro wurden ursprünglich dafür veranschlagt. 2009 begannen die Vorarbeiten, das Gebäude wurde komplett entkernt, die Fassade aufwendig gestützt. 2010 startete der Rohbau im Inneren, im Herbst 2011 sollte der Bau eigentlich fertiggestellt sein. Doch es sollte noch dauern, bis das Bürgerfest zur Einweihung steigen konnte. Insolvenzen von beteiligten Bauunternehmen verzögerten die Arbeiten.

Feier zum Zehnjährigen mit Architekt

Ein kurzes öffentliches Leben nur war dem großformatigen, kostspieligen Mobile mit den Gesichtern von 24 Gelsenkirchenerinnen und Gelsenkirchenern beschert. Die Teilnehmer hatten sich für „Dein Gesicht für Gelsenkirchen“ eigens bewerben müssen. Doch immer wieder war das Mobile defekt, schließlich hieß es, es sei einfach zu schwer, um von der Decke des Artriums schweben zu können. Nun lagert es im Keller.

Die Wiedereröffnung des HSH vor zehn Jahren feierte die Hausherrin, OB Karin Welge, mit 4000 Bürgerinnen und Bürgern und buntem Programm einen ganzen Tag lang: ohne Mobile, aber dafür mit dem Architekten des neuen Hauses, Volkwin Marg (86), der dafür eigens anreiste.

69 Millionen Euro kostete das neue, edel ausgestattete Hans-Sachs-Haus, das viele architektonische Besonderheiten des Originals wie das lichtdurchflutete Innenleben und ein Farb-Leitsystem übernahm – bis im August 2013 endlich eingeweiht werden konnte. 17 Millionen Euro steuerte das Land aus Städtebaufördermitteln zu, 52 Millionen Euro investierte die Stadt. Auf weiteren 25 Millionen Euro für die Abrisskosten und den Vertrags-Ausstieg aus dem gescheiterten Vermiet-Rückmiet-Modell blieb die Stadt sitzen.