Gelsenkirchen-Beckhausen. Für Förderschulen mit geistig behinderten Kindern ist die Pandemie eine große Herausforderung. Nicht immer können alle Regeln eingehalten werden.

Mittwochmorgen, 9 Uhr, in der Albert-Schweitzer-Schule . Sechs Schüler der Klasse 8/9 und Schulsprecher Leon (15) sitzen an hufeisenförmig angeordneten Tischen in einem kleinen Klassenzimmer. Jeder an einem mit Namen versehenen Einzeltisch. In 1,5 Metern Abstand. Mit Mund-Nasen-Schutz. Ein wenig zurückhaltend sind die Kinder zu Beginn. Doch als Klassenlehrerin Katharina Gartner mit Kreide die Artikel „der“, „die“, „das“ an die Tafel schreibt und nach Beispielen fragt, schnellen die ersten Arme nach oben.

Die Albert-Schweitzer-Schule ist eine Förderschule mit Schwerpunkt geistige Entwicklung . Unter ihren 210 Schülern sind zum Beispiel Kinder mit Entwicklungsrückständen, mit Autismus oder mit dem Downsyndrom. Viele Schüler und auch etwa 20 Prozent der Lehrer gehören zur Risikogruppe. Hier ein funktionierendes Hygienekonzept zu erarbeiten, war herausfordernd.

Schulleiterin: „Insgesamt funktioniert unser Hygienekonzept gut“

Can (13) schaut mit Lehrerin Katharina Gartner in seine Lernbox. Kisten mit individuellem Lernmaterial haben die Pädagogen bereits vorbereitet – für den Fall, dass es wieder ins Homeschooling geht.
Can (13) schaut mit Lehrerin Katharina Gartner in seine Lernbox. Kisten mit individuellem Lernmaterial haben die Pädagogen bereits vorbereitet – für den Fall, dass es wieder ins Homeschooling geht. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Auch deswegen blieben die Förderschulen mit Schwerpunkt geistige Entwicklung und körperliche und motorische Entwicklung in NRW nach dem ersten Corona-Lockdown länger geschlossen als alle anderen Schulen . Eine zum Teil sehr belastende Situation für Schüler, Pädagogen und Eltern, die auf einmal bei der Betreuung ihrer beeinträchtigten Kinder auf sich alleine gestellt waren und auf schulische Therapieangebote wie Logopädie und Ergotherapie verzichten mussten.

Wie läuft der Betrieb in der Förderschule heute? „Insgesamt funktioniert unser Hygienekonzept gut“, resümiert Schulleiterin Christiane Fernkorn. So sei es coronabedingt noch zu keinen größeren Beeinträchtigungen gekommen. Einmal musste eine Klasse wegen eines Corona-Falls in Quarantäne geschickt werden, zweimal blieben Klassen als Vorsichtsmaßnahme zu Hause.

Zeitliche Verschiebungen sehr schwer für autistische Kinder

Zu den Regeln gehört unter anderem, dass nur noch Schüler aus einem Klassenverband zusammenkommen dürfen. Freunde aus anderen Klassen dürfen sie nicht mehr treffen. „Das ist echt doof“, findet Leon. „Vorher hat man ja auch auf dem Pausenhof zusammen Quatsch gemacht.“

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Um den Betrieb zu entzerren, sind die Unterrichts- und Pausenzeiten verschoben worden. Keine große Sache, mag man meinen, aber: „Für Kinder mit Autismus sind solche Veränderungen die Hölle“, weiß Gartner. Maskentragen ab der fünften Klasse ist ebenfalls Pflicht. Das bekämen gerade die älteren Kinder toll hin, findet die Lehrerin. Auch wenn Lion (13) – wie die meisten seiner Klassenkameraden – betont: „Ich würde die Maske lieber absetzen.“

Abstand zu Integrationshelfern halten? Schlicht unmöglich

Gartner sagt aber auch klar: „Gerade für die jungen Schüler sind die Regeln schwierig einzuhalten. Die schaffen es nicht immer, ruhig sitzenzubleiben und Abstand zu halten. Manche reißen sich auch die Maske vom Gesicht, weil sie es einfach nicht aushalten.“ Jede einzelne Corona-Regel in jedem Moment durchzusetzen, sei an ihrer Schulform schlichtweg nicht möglich.

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Dazu kommt: Einige Kinder werden von Integrationshelfern begleitet, zu denen sie per se keinen Abstand halten können. Allein, weil manche von ihnen Hilfe beim Toilettengang benötigen. Etwa zehn Prozent der Schüler sind außerdem aus medizinischen Gründen gänzlich von der Maskenpflicht befreit.

NRW hält an Präsenzunterricht fest

Das NRW-Schulministerium betont, dass Präsenzunterricht im begonnenen Schuljahr der Regelfall sein soll. Ziel sei es, sowohl dem Gesundheitsschutz Rechnung zu tragen, als auch das Recht der Kinder und Jugendlichen auf Bildung zu gewährleisten, das sich am besten im Regelbetrieb verwirklichen lasse.

Zu den Corona-Regeln in Schulen zählt das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes für Schüler ab der fünften Klasse – auch im Unterricht und am Sitzplatz. Grundschüler müssen im Unterrichtsraum keine Maske tragen.

Pflicht ist außerdem: alle 20 Minuten Stoßlüften , wann immer möglich Querlüften und Lüften während der gesamten Pausendauer.

Viele praktische Tätigkeiten sind nicht mehr möglich

Viel Alltägliches bleibt im Moment auf der Strecke. „Wir haben früher immer einen Morgenkreis gemacht“, berichtet Lion zum Beispiel. „Können wir den jetzt noch machen?“, fragt Gartner. „Nein“, schallt es einstimmig durch den Raum. Das Frage-Antwort-Spiel lässt sich endlos weiterführen. Gemeinsam singen? Theater spielen? Sport in der Turnhalle machen? – „Nein.“ Auch Partner- und Gruppenaktivitäten sind im Moment nicht möglich. Meistens steht der Lehrer an der Tafel und es gibt Arbeitsblätter.

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„Für unsere Schulform sind das wirklich extreme Einschränkungen “, bedauert Gartner. Besonders praktische Tätigkeiten, die die Eigenständigkeit der Kinder förderten, seien nicht mehr möglich. Zum Beispiel, sich in der Mittagspause selbst das Essen zu holen und anschließend wieder aufzuräumen. Und auch das Miteinander gehe verloren, wenn jeder an seinem Tisch sitze, nicht mehr gemeinsam gekocht und keine Geburtstage mehr zusammen gefeiert werden können.

Schule sieht sich auf erneuten Distanzunterricht gut vorbereitet

Trotzdem sind die meisten Kinder froh, dass sie nach dem ersten Lockdown überhaupt wieder in die Schule dürfen. „Dass wir unsere Freunde nicht sehen durften, war echt blöd“, erzählt Leon. Warhel (13) ergänzt: „Das war langweilig.“ Lehrerin Gartner weiß: „Gerade für unsere Kinder sind die sozialen Kontakte in der Schule sehr wichtig, weil sie sich zu Hause oft eher im Familienverbund bewegen.“

Seit längerem steht nun die Forderung im Raum, Schulklassen zu teilen und jeweils die Hälfte der Kinder wieder ins Homeschooling zu schicken. Auf eine solche Situation sei man vorbereitet, sagt Schulleiterin Fernkorn. Unter anderem sind bereits Boxen mit individuellem Lernmaterial für den Distanzunterricht vorbereitet. Fernkorn betont: „Wichtig ist dabei, dass wir eng mit den Eltern zusammenarbeiten. Denn unsere Schüler brauchen einfach mehr konkrete Anweisungen durch Erwachsene.“