Gelsenkirchen. Zwei Jahre nach der judenfeindlichen Hass-Demo will Gelsenkirchen muslimischen Antisemitismus und Probleme an Schulen mehr in den Fokus rücken.
Rund zwei Jahre nach der Hass-Demo vor der Neuen Synagoge in Gelsenkirchen, bei der ein aggressiver Mob judenfeindliche Parolen skandierte, legt die Stadt nun ein „lokales Handlungskonzept gegen Antisemitismus“ vor. Dienen soll es als „Leitlinie“ für die Stadt, um noch mehr Engagement gegen Judenfeindlichkeit zu aktivieren und um antisemitischem Handeln zielgerichteter vorzubeugen. „Ein Schwerpunkt liegt dabei auf Schulklassen“, sagt Sarah Prütz, von der städtischen Fachstelle „demokratie.bewegen“.
Denn: „Antisemitismus stellt vor allem Schulen vor große Herausforderungen. Jüdische Schülerinnen und Schüler berichten regelmäßig von antisemitischen Vorfällen und fürchten in vielen Fällen, als Jüdinnen und Juden identifiziert und stigmatisiert zu werden“, heißt es in dem Papier.
Antisemitismus in Gelsenkirchen: Längst nicht nur ein rechtsextremes Phänomen
Derartige Schlüsse ziehen die Macher des Konzepts aus mehreren Hintergrundgesprächen mit zentralen Personen aus Zivilgesellschaft, (Sicherheits-)Behörden und Bildungseinrichtungen, die für das Konzept durchgeführt wurden. Ein weiteres zentrales Ergebnis dieser Gespräche: Lange Zeit sei der Antisemitismus vorrangig als Problem der extremen Rechten betrachtet worden, dabei sei er ein vielschichtiges Problem. Als zentrale Herausforderung nannten die Befragten insbesondere den „Antisemitismus in muslimischen Milieus“, der sich ebenfalls speziell an Schulen zeige.
Obwohl – wie es im Konzept heißt – diese Form des Antisemitismus in allen Gesprächen erwähnt wurde, zeigt sich aus Sicht der Befragten auf kommunaler Ebene gleichzeitig eine Unsicherheit im Umgang oder auch ein ,verengtes Bild’: Antisemitismus werde so vielfach ausgeblendet oder ausschließlich als rechtsextremes Phänomen verstanden.
Neben dem Hinweis auf mehr oder weniger organisierte Einzelpersonen wird konkret die Millî Görüş-Bewegung erwähnt, die u. a. aufgrund antisemitischer Vorfälle vom Verfassungsschutz beobachtet wird.
Antisemitismus in Gelsenkirchen: Beschränkt auf die Zeit des Nationalsozialismus
Eine verengte Perspektive oder gar eine „Blindheit“ gegenüber aktuellen Formen des Antisemitismus gibt es dem Konzept zufolge auch durch die „notwendige Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte“. So werde Bildungs- und Präventionsarbeit meist auf die Zeit des Holocaust beschränkt – was wiederum dazu führe, dass aktuelle Formen von Antisemitismus dadurch „bagatellisiert“ würden. „Wir müssen das Thema Antisemitismus also in unsere heutige Zeit holen“, sagt Sarah Prütz.
Das bedeute auch, jüdisches Leben sichtbarer zu machen. „Wenn Jugendliche hören, dass jemand Jude ist, dann verschlägt es ihnen oft die Sprache, weil sie sofort die Bilder des Nationalsozialismus im Kopf haben“, sagt Prütz. Wichtig sei es deshalb auch, das Positive, die Arbeit der jüdischen Gemeinde, mehr in die Öffentlichkeit zu bringen und Feste wie Chanukka und Sukkot öffentlich zu feiern.
Darüber hinaus werden in dem Konzept zahlreiche weitere Vorschläge gemacht, wie die Anti-Antisemitismus-Arbeit gerade an Schulen umgesetzt werden könnte: Beispielsweise könne man Angebote in Klassen vermitteln, die den Nahostkonflikt, der schließlich auch Hintergrund der Hass-Demo 2021 war, differenziert thematisieren.
„Antisemitische Vorstellungen werden häufig von Eltern an ihre Kinder vermittelt“
Auch eine kritische Auseinandersetzung mit Verschwörungserzählungen, die oft voller antisemitischer Narrative stecken und unkritisch auf Online-Plattformen aufgesogen werden, sei wichtig. Zudem wird der Besuch von Gedenkstätten für die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus erwähnt – eine Maßnahme, die in den letzten Jahren in Gelsenkirchen auch politisch angetrieben wurde. „Wir wollen jedem Kind ermöglichen, eine Gedenkstättenfahrt zu machen“: Das betont Lukas Günther, SPD-Fraktionsvize, immer wieder.
„Antisemitische Bilder und Vorstellungen werden häufig von Eltern an ihre Kinder vermittelt“, stellt man in dem Konzept außerdem fest. „Daher ist es notwendig, Eltern in die präventive Bildungsarbeit mit einzubeziehen.“ Schulische Aktionstage gegen Antisemitismus, zu denen auch Eltern eingeladen werden, seien hier eine Möglichkeit.
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Was nun mit all diesen Handlungsvorschlägen und Erkenntnissen passieren soll? Sarah Prütz erklärt, bei der Ausarbeitung des Konzepts sei eine Arbeitsgruppe aus Polizei, Schulberatungsstelle, VHS, jüdische Gemeinde und weiteren Akteuren zusammengekommen, die sich nun weiter treffen soll, um Projekte zu initiieren. Das Handlungskonzept wird außerdem in den kommenden Wochen in zahlreichen politischen Gremien vorgestellt und diskutiert – auch um die Politik noch mal für das Thema zu sensibilisieren und damit vielleicht Anstöße für politische Anträge zu geben, wie Prütz erläutert. Abschließend soll der Rat der Stadt das Konzept am 15. Juni 2023 beschließen.