Gelsenkirchen. Anja Sabrowski ist eine von 30 Gelsenkirchenern, der die Kaufhof-Insolvenz den Job kostet. Der Umgang mit der Belegschaft macht sie fassungslos.
Es sind wirklich ungenießbare Eier, die das Management den Gelsenkirchener Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Galeria Kaufhofs in diesem Jahr ins Osternest gelegt hat. Nicht nur, dass sie ihre Jobs verlieren, nachdem die Mehrheit der aktuell nur noch 30 festangestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Gelsenkirchen dem Haus jahrelang die Treue gehalten hat. Nun galt es für viele auch noch, schwere Zukunfts-Entscheidungen über die Festtage zu fällen. Es sind Entscheidungen, die der Wahl zwischen Pest und Cholera ähneln.
(Mini-)Abfindung oder Transfergesellschaft: Entscheidung in diesen Tagen
Anja Sabrowski zum Beispiel arbeitet seit 30 Jahren für den Kaufhof. Die 52-jährige Mutter einer Jugendlichen, die kurz vor dem Abitur steht und anschließend studieren möchte, hat sich immerhin schon entschieden, zunächst in die Transfer-Gesellschaft zu wechseln. Um ein wenig Luft holen zu können. Auf ihre ohnehin kümmerliche Abfindung in Höhe von zwei (!) Monatsgehältern muss sie allerdings verzichten, weil sie das Transfer-Angebot bis zum Jahresende annimmt. Ohnehin sind die Abfindungen für alle gedeckelt: Maximal 7500 Euro sind im Angebot. Für mehrere Jahrzehnte Arbeit.
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Dabei haben die Galeria-Mitarbeitenden jährlich auf bis zu 5500 Euro Gehalt verzichtet, das der Tarif ihnen zugesprochen hätte, um „bei der Rettung des Unternehmens zu helfen“, wie Eigentümer Benko geworben hatte. Der Dank ist nun die Kündigung. „Mit der Fusion mit Karstadt hat das Elend angefangen“, erinnert sich Anja Sabrowski. Und dann sagt sie noch: „Unser oberster Chef interessiert sich mehr für Steine als für Menschen“.
Anja Sabrowski verhandelt weiter, um gerechte Gehälter für die Bleibenden zu erstreiten
Trotzdem will die Gewerkschafterin immer noch ein bisschen an Gerechtigkeit für Beschäftigte glauben, wie sie sagt. Und arbeitet deshalb weiter in der Tarifkommission von Verdi mit, um das Bestmögliche für jene Kolleginnen und Kollegen zu erreichen, die weiter für das Unternehmen arbeiten können. Ein Übernahmeangebot für andere Filialen haben in Gelsenkirchen bislang nur zwei, drei Kolleginnen bekommen. Eines für die Filiale in Hannover, eines für Düsseldorf. In der Blütezeit des Kaufhofs fanden hier an die 1000 Menschen Arbeit, zuletzt nur noch 30. Dass es zu wenig Verkaufspersonal gab, hat jeder Kunde gemerkt. Dass es aber so wenige waren am Ende, ahnte wohl kaum jemand.
Am Karsamstag hatte nun Verdi zu einer Protestkundgebung von Mitarbeitenden vor dem Kaufhof an der Bahnhofstraße aufgerufen, Protest gegen die Unternehmenspolitik und gegen den unwürdigen Umgang mit dem Personal. Das Management verlangt einen weiteren Verzicht auf Tarifgehalt der bleibenden Mitarbeiter, während die Galeria-Spitze selbst in ein anderes Benko-Unternehmen berufen wurde – wohl kaum unter Verzicht auf Gehaltsansprüche.
Rudowitz: „Das Management hat völlig versagt und lässt die Mitarbeiter dafür bluten“
Bürgermeisterin Martina Rudowitz (SPD) fand als Gastrednerin klare Worte zum aktuellen Geschehen: „Verantwortungsloser kann man als Management dieser großen Kette, gerade hier bei uns im Ruhrgebiet, besonders in unserer Stadt, nicht agieren. Der vorgeblich rettende Investor Benko betreibt mit seinen Mitstreitern die Zerschlagung ohne Rücksicht auf Verluste…...das Management hat völlig versagt und lässt Sie (die Mitarbeiter, die Red.) alle dafür bluten.“ Rudowitz versicherte den Mitarbeitenden nicht nur ihre und die Solidarität der Stadt, sondern auch konkrete Unterstützung bei der Suche nach einer neuen Beschäftigung. Sogar eine Einstellung in städtische Dienste soll wohl eine denkbare Option für Einzelne sein.
Der Altersschnitt des Mitarbeiterstabs in Gelsenkirchen liegt laut Anja Sabrowski bei 50 plus; eine Altersgruppe, bei der Arbeitgeber trotz Fachkräftemangels eher selten erfreut mit Arbeitsverträgen winken. „Dabei sind wir trotz allem noch immer engagiert. Der Krankenstand ist niedrig, obwohl es jetzt und in den nächsten Wochen im Räumungsverkauf noch einmal sehr, sehr anstrengend für uns werden wird“, berichtet die erschöpfte Gewerkschafterin. Tatsächlich ist die Kundenfrequenz im Kaufhof drastisch gestiegen, seit die Schilder mit „bis zu 30 Prozent reduziert“ im Schaufenster prangen. Es bleibt ein Knochenjob ohne zu erwartenden Dank, bis zum letzten Tag.