Gelsenkirchen. Harte Regeln und Prüfungen: Bis zur ersten Apothekengründung in Gelsenkirchen 1838 war es ein langer Weg. Hildegard Schneiders zeichnet ihn nach.

Die Schwan-Apotheke am Ückendorfer Platz ist einzigartig im Stadtsüden. 1905 gegründet, eröffnet 1907 zählt sie zwar nicht zu den ältesten Apotheken der Stadt – aber sie ist die einzige, die (Weltkriegen und Stadtplanung zum Trotz) immer noch im vollständig erhaltenen Ursprungsgebäude betrieben wird. Seit 1992 ist sie im Besitz von Thi Tuyet Maria Phan, die der Vietnamkrieg über Thailand nach Deutschland vertrieben hatte. Hildegard Schneiders hat die Geschichte der Apotheke und auch die der Phans recherchiert – nachzulesen im jüngsten Heft des Heimatbunds Gelsenkirchen. Nummer 30 ist es bereits. Es widmet sich der „Geschichte der Apotheken in Alt-Gelsenkirchen“. Weiteres Thema:Die vergessenen Bildhauer aus Gelsenkirchen

Intensive Quellensuche im Gelsenkirchener Stadtarchiv

Es ist Schneiders nunmehr siebtes Heft in der Reihe. Und wieder steckt es voller Details, zeugt von intensiver Recherche und Quellenstudium. „Ich bin mittlerweile ganz gut vernetzt in Gelsenkirchen. Auch etliche Apotheker und Ansichtskartensammler haben mir sehr geholfen“, sagt Schneiders. Mit 63 ging sie als Lehrerin am Ricarda-Huch-Gymnasium – natürlich auch für das Fach Geschichte – in Pension. Schon als Pädagogin ist sie mit ihren Schülerinnen und Schülern „gerne vor die Tür gegangen“, hat mit ihnen die alten Friedhöfe erkundet oder ihnen die Franke-Bauten in Gelsenkirchen gezeigt – auch mit dem Anspruch, ein Stück weit Geschichtsbewusstsein für die eigene Stadt zu wecken. Weiteres Thema:Gräber erzählen Gelsenkirchener Stadtgeschichte

An der Ecke Robert-Koch- und Ebertstraße in Gelsenkirchen liegt die Rosen-Apotheke. Früher fuhr die Straßenbahn vor dem Haus vorbei. 
An der Ecke Robert-Koch- und Ebertstraße in Gelsenkirchen liegt die Rosen-Apotheke. Früher fuhr die Straßenbahn vor dem Haus vorbei.  © HAns Rotterdam | Foto

Sieben Jahre ist das her. Ihre Feldforschung hat Hildegard Schneiders seither eher intensiviert und professionalisiert. „Ich sitze jeden freien Tag am Bildschirm, sichte und stelle zusammen, schreibe E-Mails oder gehe ins Archiv.“ Ihre Recherche, sagt sie, sei ein Stück „Detektivarbeit – und nicht immer von Erfolg gekrönt.“ Weiteres Thema: Über Tage lebt der Bergbau sichtbar weiter

Beim Thema Apotheken war die Quellenlage recht gut, die Zahl der Betriebe groß. Das Heft sprengt mit 103 Seiten daher auch den üblichen Umfang des Heimatbunds. Der liegt sonst bei 84 Seiten. Hildegard Schneiders war es wichtig, dass zahlreiche Bilder Platz fanden. „Die locken die Leute.“

Bis 1914 wuchs die Zahl der Apotheken in Gelsenkirchen,Buer und Horst auf 20

Betrachtet man das gesamte Gelsenkirchener Stadtgebiet, so existierten schon vor 1900 insgesamt zwölf Apotheken, bis 1914 wuchs die Zahl dann auf 20 Apotheken. Fünf von ihnen so Schneiders, lagen damals im selbstständigen Buer und Horst. „Wenige Platzhirsche mit Monopolstellung versorgten zunächst die stetig wachsende Bevölkerung.“ Erst in der Nachkriegszeit wandelte sich die Lage. „Die Niederlassungsfreiheit sorgte ab Ende der 1950er Jahre für eine Flut an Apothekengründungen.“ Weiteres Thema: Die älteste Apotheke in Gelsenkirchen-Buer muss schließen

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Nur zwei historische Apotheken aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg, hat die Recherche der Gelsenkirchenerin ergeben, sind noch erhalten und werden an ihrem Ursprungsort betrieben: Eben die Schwan-Apotheke am Ückendorfer Platz und die ein Jahr später eröffnete Flora-Apotheke in Bulmke-Hüllen. Nach der Kriegszerstörung 1944 wurde sie 1955 in der Nähe des Sterns wieder aufgebaut.

Die längste Lokalgeschichte hat die Alte Apotheke an der Bahnhofstraße 19. Mindestens seit 1876 trägt sie den Namen. Gegründet wurde sie Jahrzehnte zuvor.

Die älteste Apotheke im Süden wurde im Jahr 1838 eröffnet

1830: Gelsenkirchen ist nicht mehr als ein Kirchspiel mit wenigen Hundert Einwohnern, da richtet der Gemeinderat Georg Herbert seine „gehorsamste Bitte wegen Anlegung einer Apotheke“ an die preußischen Genehmigungsbehörden. Die Situation vor Ort, die er durchaus drastisch beschreibt, sind aus heutiger Sicht unvorstellbar. „Man hat den Menschen viel zugemutet“, sagt Schneiders. Zweieinhalb Stunden Fußweg sind es bis zur nächsten Apotheke. „Die Folge hiervon ist, daß in gefährlichen Fällen die Arznei oft sehr spät kommt“. Herbert rechnet vor, dass ein Kranker auch wegen der schlechten Wege bis zu zehn Stunden auf einen Arzt oder Arznei warten müsse, „daß besonders die niederen Familien ohne ärztliche Hilfe blieben und zu Quacksalbern Zuflucht nehmen“ müssten.

Ein Kreisphysikus bewertet die Situation 1831 und sieht keinen Handlungsbedarf, zumal es in Essen oder Bochum jeweils zwei Apotheken gebe. Er kommt zu dem Schluss, dass eine Apotheke vor Ort nicht wirtschaftlich betrieben werden könne, „kein Apotheker als ehrlicher und honetter Mann dort werde bestehen können“.

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Bis zum 4. September 1838 wendete sich das Blatt. Weitere Gesuche waren erhört worden. Der „Apotheker II. Klasse Eduard Schramm aus Hamm“ erhielt nach gründlicher Prüfung die Konzession für eine Apotheke – auch damals schon verbunden mit etlichen behördlichen Auflagen. So eröffnete die „Königl. Regierung. Abteilung des Inneren“ in Arnsberg „die gewisse Aussicht zu einer Concession“ sobald „Offizin, Material-Kammer, Keller, feuerfestes Laboratorium, vorschriftsmäßig eingerichtet“ vorhanden und abgenommen seien. An der Hochstraße 31 (heute Hauptstraße) wurde schließlich die erste Apotheke in Gelsenkirchen (Buer hatte schon eine seit 1807) eröffnet.

Hildegard Schneiders beackert derweil bereits ein ähnlich breites Themenfeld. Sie erforscht die Geschichte der Volksschulen in Gelsenkirchen.

Vortrag in der Flora geplant

Die Geschichte der Apotheken in Alt-Gelsenkirchen ist als Heft Nummer 30 in der Schriftenreihe des Heimatbunds Gelsenkirchen erschienen. Es kostet 5 Euro im lokalen Buchhandel.

Mit Blick auf die Beschränkungen in der Pandemiezeit hat der Heimatbund alle Vorträge ausgesetzt – (bislang) mit einer Ausnahme: Am Montag, 21. Februar, wird Hildegard Schneiders um 19 Uhr im Kulturraum die „Flora“ an der Florastraße 26 über ihre Recherche und die Apotheken in Alt-Gelsenkirchen berichten. Anmeldung unter flora@gelsenkirchen.de oder 0209 1699105.

Das 31. Heft des Heimatbunds ist bereits in Arbeit: Hans-Joachim Koenen widmet sich dann der Geschichte des Stadtgartens.

Der Heimatbund sammelt historisches Material aus Gelsenkirchen (Bücher, Kataloge, Fotos, Briefe, Tagebücher etc.). Kontakt: 0209 177 099 99

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