Gelsenkirchen. Einigung für die Verkehrsplanung: SPD und CDU in Gelsenkirchen bremsen beim Öko-Verkehr. Warum auf ihre Vorschläge heftige Vorwürfe folgen.
- Verkehrs- und Umweltpolitiker in Gelsenkirchen sollten endlich über den wichtigen „Masterplan Mobilität“ abstimmen – doch die Große Koalition brachte noch auf den letzten Metern zig Änderungswünsche ein.
- Nicht nur dieses Vorgehen wird von der Opposition stark kritisiert – auch inhaltlich gibt es große Differenzen zwischen CDU und SPD auf der einen und vor allem den Grünen auf der anderen Seite.
- So hat die CDU zahlreiche Änderungen im Masterplan zugunsten des Autoverkehrs durchgesetzt. Die Grünen werten das als rückwärtsgewandt.
„Keine Fixiertheit mehr aufs Auto“ in Gelsenkirchen? Diese Ansage von Stadtbaurat Christoph Heidenreich soll aus Sicht der Großen Koalition nun doch nicht die prägende Denkweise für die Verkehrsplanung werden: SPD und CDU haben dem neuen „Masterplan Mobilität“, der als Leitfaden für die Verkehrswende in Gelsenkirchen dienen soll, nach eigener Aussage mehr „Ausgewogenheit“ verliehen: In einer denkwürdigen, gemeinsamen Sitzung des Verkehrs- und Umweltausschusses haben die Großkoalitionäre zahlreiche Änderungen an dem jüngst vorgestellten „epochalen Werk“ (SPD-Fraktionschef Axel Barton) durchgesetzt – vor allem zugunsten des Autoverkehrs in der Stadt.
Änderungen zum „Masterplan Mobilität“: Gelsenkirchener Grüne sprechen von „Frechheit und Unverschämtheit“
Für Kontroverse sorgte nicht bloß der Inhalt dieser Änderungen, sondern vor allem auch, wie diese eingebracht wurden: Als „Frechheit und Unverschämtheit“ empfanden es die Grünen, dass die Groko ihre umfangreiche und zweifellos wenig eingängig formulierte Liste an Änderungswünschen für das 252 Seiten starke Papier erst 24 Stunden vor der gemeinsamen Sitzung einbrachte. Schließlich hatten CDU und SPD genug Zeit, sich ein Bild von dem Masterplan zu machen.
Denn ursprünglich war die Masterplan-Sitzung bereits Mitte November 2022 geplant. Vor acht Wochen trafen sich die Politiker auch – allerdings nur, um die Sitzung innerhalb von wenigen Minuten wieder zu beenden und auf Januar zu verschieben. Der Grund: Der Beratungsbedarf zum Masterplan war noch zu groß. Jetzt hatte man also weitere zwei Monate Zeit, um das Paper zu durchdringen. Und trotzdem legte die Groko erst in letzter Minute ihren Änderungsantrag mit 25 Punkten vor. Zu ihnen mussten sich die anderen Fraktionen nun ad hoc verhalten, was für reichlich Frust sorgte. Jeder einzelne Punkt wurde ausgiebig und meist hitzig in einem Sitzungsmarathon diskutiert – was wiederum Teile der Groko frustrierte.
Verkehrspolitik in Gelsenkirchen: Harte Verhandlungen zwischen SPD und CDU
„Es tut mir leid, dass unser Änderungsantrag erst so spät eingegangen ist“, entschuldige sich Axel Barton von der SPD zwar für den Last-Minute-Antrag. Beschwichtigen konnte er insbesondere die Grünen damit aber nicht. Fraktionschefin Adrianna Gorczyk wertete das Vorgehen der Groko im Nachhinein sogar als „taktisches Manöver“. Die Groko habe verhindern wollen, dass die anderen Fraktionen genug Zeit haben, sich mit den Änderungen auseinanderzusetzen, warf sie der Großen Koalition gegenüber der WAZ vor.
„Taktik war das sicher nicht“, wehrt sich der SPD-Fraktionschef Axel Barton – und macht zugleich keinen Hehl daraus, dass die Verhandlungen mit dem Koalitionspartner hart waren: „Wir haben bis zum Schluss intensiv mit der CDU verhandelt.“ Die Grünen könnten darüber sogar froh sein, so Barton gegenüber unserer Redaktion. Man habe noch genug Sachen herausgeholt, die für die politische Vorstellung der Grünen positiv zu werten seien.
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CDU Gelsenkirchen: Einschränkung für das Auto allerhöchstens mit Augenmaß
Denn klar ist: Die autofreundlichen Änderungen im Masterplan gehen vor allem auf das Konto der CDU. „Wir wollen einen Ausbau der umweltfreundlichen Verkehrsmittel, aber möglichst keine Einschränkung für das Auto – und wenn, dann nur mit Augenmaß“, betonte Laura Rosen, verkehrspolitische Sprecherin der CDU, im Gespräch mit der WAZ. Dies sei auch im Interesse der Bürgerinnen und Bürger, wie Umfragen zu dem Masterplan ergeben hätten. Eine „Bevormundungspolitik“ sei deshalb nicht im Interesse der Union.
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Ein „Schlag ins Gesicht“ sei für Rosen deshalb gewesen, dass in der originalen Version des Masterplans eine „Grüne Welle im Radverkehr“ als Maßnahme empfohlen wurde. Die Idee ist, auf diese Weise die Ampelschaltung für Radfahrer, auch an Hauptverkehrsstraßen, zu optimieren und dabei nicht nur auf die Autos zu achten. „An der Kurt-Schumacher-Straße steht man beispielsweise gefühlt an jeder dritten Ampel. Da gibt es keine grüne Welle für den Autoverkehr. Wenn man dann erst einmal schaut, wie man eine grüne Welle für den Radverkehr hinbekommt, ist das den Bürgern doch nicht zu erklären“, meint Rosen und glaubt: „Es würde viel mehr CO2 einsparen, wenn die Autos nicht so viel im Stau stehen würden.“
Neben der grünen Welle für Radler wurden auf Initiative der CDU zahlreiche weitere Maßnahmen aus dem Masterplan gestrichen: Tempo 30 als Regel in der Stadt, die Prüfung von weiteren Fußgängerüberwegen auf mehrspurigen Straßen wie der Kurt-Schumacher, eine Vorrangschaltung für den ÖPNV, autofreie Tage wie beim Still-Leben auf der A 40 im Kulturhauptstadt-Jahr 2010 und vieles mehr.
Grüne Gelsenkirchen: Groko fährt Verkehrswende vor die Wand
Nach Ansicht der Grünen wird dadurch die „Quintessenz des Masterplans untergraben“, wie es Leonie Kattermann in der Ausschusssitzung bezeichnete. „Mit dem ,Masterplan Mobilität’ wurde unglaublich gute Arbeit geleistet. Wir hätten ihn gerne in seiner ursprünglichen Form mitgetragen. Jetzt wurde eine Chance vertan, einen wirklich progressiven, grundlegenden Baustein für die Verkehrswende zu setzen“, legte Fraktionschefin Adrianna Gorczyk später nach. Die Groko fahre die Verkehrswende mit ihrer Auto-Politik vor die Wand.
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Und die SPD? Die sieht sich in alledem nun als „Korrektiv in der Mitte“, als diejenigen, die für die „Realo-Politik“ in der Diskussion um die Verkehrspolitik stehen. „Wir haben da jetzt einen guten Konsens erreicht“, ist der Fraktionsvorsitzende und verkehrspolitische Sprecher Axel Barton überzeugt. „Mit dem Konzept werden wir die Verkehrswende langfristig hinbekommen.“ Das Auto nicht aus dem Blick zu verlieren, meine schließlich nicht, weiter auf Verbrenner zu setzen. „Und es steckt hier eine Menge für die E-Mobilität drin.“
Scharfe Kritik von AfD, ADFC und Linke
Mit dem „Masterplan Mobilität“ hat die Stadt nach Ansicht der AfD „Ökosozialismus bestellt.“ Bei dem Papier, für welches das Planungsbüro „Planersocietät Dortmund“ beauftragt wurde, handele es sich um ein „extrem ideologisches Machwerk“ und „einen weiteren Sargnagel für die Stadt Gelsenkirchen“. Dass die CDU daran überhaupt beteiligt sei, falle schwer zu glauben, sagte AfD-Ratsherr Mathias Pasdziorek.
„Fast alles, was der Entwurf des Masterplans zugunsten des Radverkehrs aufgeführt hatte, wurde bis zur Unkenntlichkeit verwässert oder gleich gestrichen. Die Hoffnung auf eine Verkehrspolitik zugunsten des Radverkehrs in Gelsenkirchen wurde damit zu Grabe getragen“, positionierte sich der ADFC, der mit Ulrich Krauß ein Mitglied im Verkehrsausschuss hat, deutlich gegen den GroKo-Kompromiss.
„Mit dem Masterplan Mobilität wird trotz der Verwässerungen ein zukunftsweisendes Paket auf den Weg gebracht“, zeigte sich die Linksfraktion optimistischer. Die Fraktion will sich bei der Umsetzung des Plans nun dafür einsetzen „dass es tatsächlich zu einer echten Verkehrswende in Gelsenkirchen kommt und nicht nur zu einer Verkehrswende light, wie es der Groko vorschwebt“, so der Linke Thorsten Jannoff.