Gelsenkirchen. Energiekrise in Gelsenkirchen: Ein Gremium versucht Lösungen für besondere Härtefälle zu finden. Um diese Schicksale geht es – drei Beispiele.
Es ist ein Gremium, bei dem für besondere Härtefälle Lösungen gefunden werden sollen: Beim Case Management Energiearmut der Stadt Gelsenkirchen treffen sich seit August 2022 das Sozialreferat, die ELE als Energieversorger, die Verbraucherzentrale und das Jobcenter, um die Situationen von Menschen aus Gelsenkirchen zu besprechen, die aufgrund der enorm gestiegenen Heiz- und Stromkosten in große Not geraten sind. Erstmalig hat die Verwaltung nun eine Tabelle mit Eckdaten zu den bisherigen Extrem-Fällen veröffentlicht – drei dieser Fälle hat die WAZ Gelsenkirchen näher beleuchtet.
Fall 1: Gesperrtes Gas für eine siebenköpfige Familie aus Gelsenkirchen
Das ist ein besonders schwerwiegender Fall, der im Case Management am 6. Dezember 2022 bekannt wurde: Bei einer siebenköpfigen deutschen Familie mit fünf Kindern im Alter von ein bis 13 Jahren wurde das Gas aufgrund eines zu hohen Schuldenbergs abgestellt. Das heißt: Trotz Kleinkindern im Haus kann die Familie aktuell nicht heizen.
Mit 4500 Euro steht die Familie beim Energieversorger in der Kreide. Zu einer schrittweisen Rückzahlung kam es offenbar noch nicht, weshalb die Gassperre durchgesetzt wurde. Nach Angaben der Stadt geht es dabei auch um Altschulden aus vorherigen Wohnungen – die Familie ist in kürzeren Zeiträumen wohl mehrmals umgezogen.
Wie kann in so einem Fall eine Lösung aussehen? „Zunächst ist wichtig, zu sagen, dass dieser heftige Fall möglicherweise ohne das Case Management gar nicht aufgefallen wäre“, sagt Sozialdezernentin Andrea Henze. Zwar gehe es bislang nur um wenige Einzelfälle, jedoch sei das Gremium ein guter Weg, um für diese schnelle Lösungswege zu finden.
Geprüft wurde im Falle der siebenköpfigen Familie dann, ob diese Sozialleistungen erhalten kann. Zwar liegt bei den zwischen 25 und 35 Jahre alten Erwachsenen in dem Haushalt ein Arbeitseinkommen vor. Allerdings hat die Prüfung laut Henze ergeben, dass eine Aufstockung über das Bürgergeld (ehemals Hartz IV) möglich sei. Somit übernimmt das Jobcenter künftig die Abschläge für den weiteren Gas-Verbrauch – was die Schulden angeht, wird die Familie aber keinen anderen Weg gehen können, als diese schrittweise in kleinen Raten abzubezahlen.
Fall 2: Die Alleinerziehende mit kleinem Kind – und hohen Strom-Schulden
Während die Heizkosten von Leistungsempfängern übernommen werden, sieht es bei den Stromkosten anders aus: So kommt es, dass Arbeitslose und Aufstocker, die Bürgergeld bekommen, schnell höhere Beträge nachzahlen müssen, wenn sie die Jahresrechnung vom Stromanbieter bekommen. Schließlich sind im Bürgergeld-Regelsatz für Alleinstehende nur 42,55 Euro monatlich für Energie vorgesehen (bei Hartz IV waren es sogar nur 35 Euro). Berechnungen des Online-Portals Check24 zufolge liegen die aktuellen Strompreise jedoch 25 Euro über diesem Betrag. Heißt: Viele Bürgergeld-Empfänger können sich ihren Strom eigentlich gar nicht leisten.
Insofern ist es nicht verwunderlich, dass beim Case Management auch solche Fälle auflaufen: Gleich zwei Mal ging es dort bereits um alleinerziehende Bürgergeld-Empfängerinnen im Alter unter 30 Jahren mit jeweils einem kleinen Kind unter zwei Jahren – und jetzt Stromschulden in Höhe von 900 Euro.
Beide Fälle befinden sich derzeit noch in der Prüfung. Gelöst werden können sie in der Regel aber nur über ein Darlehen. Das kann die Betroffenen allerdings schnell in einen Teufelskreis bringen: Schließlich sorgen selbst moderate Rückzahlungsbeträge dazu, dass der auf Kante genähte Regelsatz noch weiter schrumpft. Nicht selten werden dann die Strom-Abschläge als Ausgleich klein gehalten – und es kommt wieder zu neuen Schulden.
Fall 3: Die fünfköpfige Familie mit Einkommen, bei der der „Notfall-Paragraf“ greift
Beschäftigt hat man sich im Case Management auch mit einer fünfköpfigen Familie mit drei Kindern im Alter von null bis zehn. Sozialleistungen bekommt die Familie bislang nicht; die Erwachsenen verdienen also durchaus Geld. Sie sehen sich aber nicht in der Lage, die Stromschulden in Höhe von 1800 Euro zu zahlen.
Heranziehen kann das Sozialreferat der Stadt dann Paragrafen aus dem Sozialgesetzbuch XII, die Florian Horstick von der Abteilung für Hilfen bei Einkommensdefiziten als „Notfallparagrafen“ bezeichnet. „Da geht es um eine sehr umfangreiche und konkrete Einzelfallprüfung, bei der man im Rahmen einer Ermessensentscheidung prüfen kann, ob man ein Darlehen gewährt oder nicht“, erläutert er. Im Falle der fünfköpfigen Familie habe man dann entschieden, dass das Sozialreferat der Stadt ein solches Darlehen in der Tat zur Verfügung stellen kann.
Die Stadt Gelsenkirchen hat neue Hotlines zum Thema Energie geschaltet. Hier soll Menschen, die Fragen zu Energiekosten haben oder aufgrund hoher Nebenkostenabrechnungen in Not geraten sind, geholfen werden. Erwerbsfähige Personen unter 67 Jahren können sich an die Hotline des Jobcenters wenden (0209/60509-123); wer eine Altersrente bezieht oder dauerhaft erwerbsgemindert ist, kann sich bei der Hotline der Stadt melden (0209/169-9699).