Gelsenkirchen-Beckhausen. Ikonen, Weihrauch, Altar-Sichtschutz: Ende 2021 startete die Kooperation mit St. Hippolytus in Gelsenkirchen. Wieso Türsteher eingesetzt wurden.
Benehmen „die“ sich? Engen sie die Freiräume der Katholiken in deren eigener Kirche St. Clemens Maria Hofbauer nicht ein? Droht da ein Parkplatz-Chaos rund um die Theodor-Otte-Straße? Als die Pfarrei St. Hippolytus im Dezember 2021 begann, ihr Gotteshaus mit der ersten Rumänisch-Orthodoxen Gemeinde Gelsenkirchens zu teilen, waren die Vorbehalte so klein nicht. Was nach einem Jahr daraus geworden ist, darüber sprach die Redaktion mit den Verantwortlichen. Und die zeigten sich selbst überrascht von so mancher Entwicklung.
Es war ein Hilferuf aus Nürnberg, der die erste Kooperation dieser Art in der Emscherstadt ins Rollen brachte: Metropolit und Erzbischof Dr. Serafim Joanta von der Rumänisch-Orthodoxen Kirche in Deutschland schrieb 2020 alle Bistümer an mit der dringenden Bitte, doch Räume für Gottesdienste zur Verfügung zu stellen. Die „arme Kirche“ finanziert sich ausschließlich über Spenden und Kollekten und ist zumeist nicht in der Lage, selbst Grundstücke zu erwerben und Gotteshäuser zu bauen.
Gelsenkirchener Pfarrei St. Hippolytus lobt „gelebte Ökumene vor Ort“
St. Hippolytus meldete sich mit dem Standort in Sutum, der sonst mittelfristig aufgegeben worden wäre. „Die Kooperation war für uns die Chance, Ökumene vor Ort zu leben und die Kirche zu erhalten“, begründet Pfarrer Wolfgang Pingel die Initiative. Dass sie durchaus Überzeugungsarbeit bei einigen Katholiken, auch in Pfarrgemeinderat und Kirchenvorstand, kostete, verschweigt er nicht. „Die Skepsis war bei einigen doch recht groß.“
Am 19. Dezember 2021, mitten in der Corona-Pandemie, ging es los mit dem ersten Gottesdienst der rumänisch-stämmigen Gläubigen, erinnert sich Andreea Berbece, die die Kooperation ehrenamtlich maßgeblich koordiniert. Nur mit Voranmeldung und Maske konnten bis zu 60 Orthodoxe an der rund zweieinhalbstündigen Liturgie teilnehmen, die Adrian Achim (41) als ehrenamtlicher Priester leitete. Noch heute reist der dreifache Familienvater, der nach eigenen Angaben Theologie an einer rumänischen Universität studierte und zwei Jahre eine rumänisch-orthodoxe Gemeinde in Dortmund betreute, für seinen geistlichen Teilzeit-Job jedes Wochenende aus Lünen an.
Altarbereich von Gelsenkirchener Kirche bleibt vor Blicken der Gläubigen verborgen
Voranmeldung und Maske haben sich mittlerweile wie auch in anderen christlichen Gemeinden erledigt. Die Zeremonie freilich unterscheidet sich nach wie vor in einigen Punkten etwa von der heiligen Messe der Katholiken. Erkennbar ist das schon auf den ersten Blick: Acht golden schimmernde Ikonen verschiedener Größe säumen den Altar; im Eingangsbereich werden kleinere Marien-Bilder, Gebetbücher, Kerzen, geweihtes Öl sowie Mehl verkauft.
„Während der Liturgie ist der Altarbereich durch Sichtschutz-Wände vor den Blicken der Gläubigen verborgen. Sie hören den Gottesdienst mehr als dass sie das heilige Geheimnis selbst sehen können“, berichtet Andreea Berbece. Geprägt sei die orthodoxe Feier von langen Gebeten – zu Beginn etwa wird ein halbstündiger Hymnus an einen Heiligen vorgetragen –, Wechselgesängen von Chor und Gemeinde und dem Einsatz von viel Weihrauch. Das Abendmahl wird als Wein und Brot gereicht, nicht als Hostie.
Rumänisch-Orthodoxe Gemeinde Gelsenkirchen ist „dankbar“, Kirche mit zu nutzen
„Frauen dürfen den Altarbereich nicht betreten. Sie sitzen getrennt von den Männern auf der rechten Seite“, so die 27-Jährige, die seit dreieinhalb Jahren in Deutschland lebt, in Buer als Vermessungs-Ingenieurin arbeitet und nahezu jeden orthodoxen Gottesdienst in Sutum besucht.
Die Beckhausenerin ist wie andere Gläubige heilfroh, keine weiten Wege mehr zu ökumenisch genutzten Kirchen etwa in Duisburg-Mitte, Bochum-Dahlhausen oder Recklinghausen fahren zu müssen. „Kein Wunder, dass sich unser Liturgie-Angebot herumgesprochen hat und die Zahl der regelmäßigen Besucher, aber auch der ehrenamtlichen Helfer zugenommen hat.“ [Lesen Sie auch: Dossier: Rumänen und Bulgaren in Gelsenkirchen]
Wie die Rumänisch-Orthodoxe Gemeinde Geburt des Hl. Johannes des Täufers – so der vollständige Name – die Kooperation erlebt? „Das klappt gut. Wir sind sehr dankbar, dass wir die Kirche mitnutzen können“, sagt sie und lächelt in Richtung Ralf Berghane. Mit dem Verwaltungsleiter von St. Hippolytus spricht sie alle paar Wochen die Termine von Gottesdiensten, Hochzeiten, Taufen und Beerdigungen ab, „völlig unkompliziert“, wie auch Berghane betont.
Gelsenkirchener Pfarrer: Kirche hätte sonst wohl aufgegeben werden müssen
Vereinbart ist, dass die Katholiken ihre Kirche montags bis donnerstags uneingeschränkt für sich nutzen können, freitags bis sonntags steht sie den Orthodoxen zu Verfügung. Für Hochfeste und die einmal monatlichen katholischen Messen in St. Clemens gibt’s gesonderte Absprachen. „Für gewöhnlich beginnt die orthodoxe Feier sonntags um 9.30 Uhr. Und wenn die Katholiken einen Gottesdienst um 11 Uhr anbieten, starten wir eben schon um 7 Uhr“, so Andreea Berbece.
Von einem „guten Miteinander und Verständnis füreinander“ spricht auch Pfarrer Wolfgang Pingel. Es handele sich um eine „Win-Win-Situation“ für beide Seiten. „Ohne die Kooperation hätten wir das Gotteshaus nach dem fünfstelligen Sturmschaden am Dach vor einigen Monaten wohl aufgeben müssen.“ So aber habe das Bistum die Kosten übernommen, um dieses Kooperationsprojekt mit Leuchtturmcharakter fortzuführen.
Pastor Steinrötter aus Gelsenkirchen: „Sind Geschwister im Glauben an Jesus Christus“
Pastor Bernd Steinrötter hebt hervor, wie wichtig es sei, „über den kulturellen Tellerrand zu blicken und Vorurteile abzubauen.“ Es habe zwar zu Beginn immer mal wieder Konfliktpunkte gegeben, etwa was den Verbleib der liturgischen Geräte der Orthodoxen angeht, das habe sich aber mittlerweile eingespielt. Schon zum Start vor einem Jahr war ihm wichtig, deutlich zu machen: „Wir sind Geschwister im Glauben an Jesus Christus und in der Taufe miteinander verbunden.“ Um den ökumenischen Austausch zu intensivieren, plant er für den Sommer ein gemeinsames Fest. [Lesen Sie auch: Zuwanderer aus EU-Südost: Brückenbauer zwischen den Kulturen]
Und die Vorbehalte einiger katholischer Gläubiger? „Die haben sich in Luft aufgelöst. Das hat ein Mitglied des Kirchenvorstands auch kürzlich offen zugegeben“, freut sich Berghane.
Dennoch bleibt die Rumänisch-Orthodoxe Gemeinde durchaus sensibel für mögliche atmosphärische Verstimmungen und bemüht sich, keinen Anlass für Beschwerden zu liefern. Als an Karsamstag im April um 23 Uhr die dreieinhalbstündige Ostermesse anstand, habe die Gemeindeleitung zur Überraschung von St. Hippolytus Türsteher organisiert, um eventuell alkoholisierte Gläubige gar nicht erst in die Kirche zu lassen und Lärm zu unterbinden. Es sei aber alles reibungslos verlaufen, berichtet Andreea Berbece und betont: „Wir möchten die gute Zusammenarbeit auf gar keinen Fall gefährden.“
Erste Kooperation dieser Art in Gelsenkirchen
Die Kooperation zwischen der Pfarrei St. Hippolytus am Standort Sutum und der Rumänisch-Orthodoxen Gemeinde ist die erste dieser Art in Gelsenkirchen. Bislang mussten rumänisch-stämmige Gläubige weit fahren, um an einem Gottesdienst mit orthodoxer Liturgie teilnehmen zu können, etwa nach Bochum oder Duisburg.
Von den 6452 Rumänen, die Ende 2021 in Gelsenkirchen lebten, sind 95 Prozent christlich getauft, 87 Prozent davon orthodox. Die Kirche ist Mitglied der orthodoxen Bischofskonferenz sowie der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK). Als Körperschaft des öffentlichen Rechts hat sie den gleichen Rechtsstatus wie die Katholische Kirche.