Gelsenkirchen. Kein Strom, kein Wasser nach Raketenangriffen: Die Lage im befreundeten Krementschuk wird schlimmer. Gelsenkirchen will besondere Hilfe leisten.

Dass Gelsenkirchen zwar keine formelle, aber längst eine lebendige Partnerschaft mit dem zentralukrainischen Krementschuk pflegt, sollte am vergangenen Wochenende eigentlich mit einem Besuch des Krementschuker Bürgermeisters Vitalij Maletzkiy bekräftigt werden. Er war schon zu Besuch in Paris und wollte weiter Richtung Ruhrgebiet reisen. Doch dann schlugen massenweise russische Raketen auf die 220.000-Einwohner-Stadt ein. Maletzkiy sah sich gezwungen, heimzukehren. „Die Lage ist dramatisch, es kam zu einem kompletten Ausfall der Strom- und Wasserversorgung“, berichtet Holger Schrader, der als Leiter der Abteilung Repräsentation bei der Stadt im Austausch mit der Verwaltung in Krementschuk steht.

Kein Strom, kein Gas in der Ukraine: Gelsenkirchener muss bei vier Grad im Haus ausharren

Wie höllisch die Situation vor Ort aktuell wirklich ist, weiß Jürgen Hansen aus eigener Erfahrung. Der Draht nach Krementschuk ist auf seine Initiative gebildet worden, trotz der zerstörerischen Raketenangriffe auf die kritische Infrastruktur hält der 65-Jährige weiterhin in Switlowodsk, einer benachbarten Kleinstadt von Krementschuk, stand. Auch sie wurde beschossen. „Ich sitze hier seit den Raketenangriffen ohne Strom, ohne Wasser und ohne Gas. Es sind innen vier Grad und wir liegen im Bett, der einzige Ort, der wärmt“, schreibt uns Hansen. „Man kann sich nicht mal einen heißen Tee machen; es ist zum Kotzen.“

Unzählige Kleiderspenden in blauen Säcken: Patrick Keisel (li.), Uwe Bestmann und Mandy Hansen von der „Task Force Flüchtlingshilfe“ bei den Vorbereitungen für den achten großen Ukraine-Hilfskonvoi.
Unzählige Kleiderspenden in blauen Säcken: Patrick Keisel (li.), Uwe Bestmann und Mandy Hansen von der „Task Force Flüchtlingshilfe“ bei den Vorbereitungen für den achten großen Ukraine-Hilfskonvoi. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Hansen will jedoch erst zurückkehren, wenn der mittlerweile achte große Hilfskonvoi der „Task Force Flüchtlingshilfe“ die Zentralukraine erreicht hat und die gesammelten Spenden aus Gelsenkirchen und anderen Städten wie Essen, Bottrop oder sogar Lohmar bei Köln bei den notleidenden Menschen angekommen sind.

Jener achte Konvoi wurde jetzt an der Georgskirche von den unermüdlichen Ehrenamtlern der Task Force und Tiertafel beladen und ist nun auf dem Weg Richtung Krementschuk. Der 40-Tonner ist nicht nur bepackt mit Nahrung, Kleidung und Hygieneartikeln; auch Gehhilfen, Rollstühle und sogar ein Narkose- wie auch ein Ultraschallgerät sind zusammengekommen. „Das Ultraschallgerät haben wir von unserem Hausarzt bekommen“, erzählt Jürgen Hansens Tochter Mandy, die hier in Gelsenkirchen ihren Teil leistet.

Stadt Gelsenkirchen will Notstromaggregate für Kinderklinik in Krementschuk beschaffen

Doch obwohl die Ehrenamtler um Hansen neben teuren medizinischen Geräten sogar schon Einsatz- und Rettungsfahrzeuge für Krementschuk über Spendengelder organisieren konnten: „Es gibt auch Dinge mit einer solchen Größenordnung, dass man das mit Spenden alleine nicht mehr leisten kann“, gibt Stadtdirektor Luidger Wolterhoff zu bedenken. Was Wolterhoff, der das Beladen des Transporters verfolgte, damit meint: Im Falle von kostspieligen Notstromaggregaten beispielsweise sind Spendengelder schnell erschöpft.

Patrick Keisel, Stadtdirektor Luidger Wolterhoff (Mitte) und Mandy Hansen (re.) begutachten die Spenden für Krementschuk. Der achte Hilfskonvoi der „Task Force Flüchtlingshilfe“ und der Tiertafel hat sich jetzt auf den Weg gemacht.
Patrick Keisel, Stadtdirektor Luidger Wolterhoff (Mitte) und Mandy Hansen (re.) begutachten die Spenden für Krementschuk. Der achte Hilfskonvoi der „Task Force Flüchtlingshilfe“ und der Tiertafel hat sich jetzt auf den Weg gemacht. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Die Stadt will deshalb nun versuchen, mit Förderung aus dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung entsprechende Geräte für die Kinderklinik in Krementschuk im Wert von 100.000 Euro zu beschaffen, wie Wolterhoff vor Ort ankündigte. Der Eigenanteil der Stadt wird bei zehn Prozent liegen. Bevor der Förderbescheid da ist, was immer mehrere Wochen in Anspruch nehmen kann, will die Stadt laut Wolterhoff schon mal „die Vorstufen zur Beschaffung“ starten, damit es dann richtig schnell gehen kann, sobald die Stadt die Freigabe erhält.

Baldige Rückkehr nach Gelsenkirchen

„Wir stehen im stetigen Kontakt zum Bürgermeister von Krementschuk und wissen daher aus erster Hand, was benötigt wird. Hilfen für die Kinderklinik der Stadt stehen aktuell ganz oben auf der Agenda“, betonte auch Oberbürgermeisterin Karin Welge im Anschluss an die Beladung in der Kirche. Neben dem Notstromgerät will die Stadt auch spezielle Winterkleidung für Einsatzkräfte vor Ort beschaffen. Dort ist es tagsüber aktuell minus 2 bis plus 2 Grad kalt.

Unter den Spenden für die Ukraine befinden sich auch Gehhilfen.
Unter den Spenden für die Ukraine befinden sich auch Gehhilfen. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Nun sollen aber erst einmal die aktuellen Spenden sicher nach Krementschuk kommen. Die vorherigen sieben Male hat dies immer ohne große Zwischenfälle geklappt. Mandy Hansen hofft, dass sie nach erfolgreicher Übergabe des achten Konvois auch ihren Vater wiedersehen kann. Der SPD-Ratsherr will dann zunächst einmal nach Gelsenkirchen zurückkehren, auch um an der letzten Ratssitzung im Dezember teilzunehmen. Mandy Hansen hätte ihn am liebsten schon heute wieder da. „Aber wenn wir ihn als Familie nicht motivieren können, zurückzukehren, dann kann es keiner. Dann muss man das respektieren.“

Der neunte Hilfstransport der Task Force Flüchtlingshilfe und der Tiertafel soll möglichst im Februar 2023 starten. Die Ehrenamtler nehmen weiterhin immer samstags von 10 bis 17 Uhr Spenden an der Georgskirche, Franz-Bielefeld-Straße 38, entgegen.