Gelsenkirchen. Die Gelsenkirchener Grünen fordern einen „Leitfaden für gendersensible Sprache“ und die AfD ein Gender-Verbot. Das sorgt für hitzige Debatten.

Ob an Spielplätzen oder Hundewiesen: Auf Hinweisschildern macht in Gelsenkirchen weiterhin „der Oberbürgermeister“ auf die richtige Verhaltensweise aufmerksam – obwohl mit Karin Welge mittlerweile seit fast zwei Jahren eine Oberbürgermeisterin auf dem Chefinnensessel im Hans-Sachs-Haus sitzt. Wie die Verwaltung auf Anfrage der AfD mitteilte, wurden in Gelsenkirchen für rund 3000 Euro lediglich sechs neue Beschilderungen mit der weiblichen Form angebracht. Und zwar nur dort, wo die Schilder nicht mehr intakt waren. Auf Schildern an Spielplätzen und Grünflächen trifft das nicht zu.

Gelsenkirchener Grünen wollen, dass die Stadt einen „Leitfaden zur gendersensiblen Sprache“ entwickelt

Grünen-Fraktionschefin Adrianna Gorczyk jedenfalls würde sich wünschen, wenn bei dem Austausch eines solchen Schildes nicht nur einfach die männliche durch die weibliche Form ersetzt wird, sondern idealerweise gleich eine Version gefunden werden könnte, „mit der alle gemeint sein könnten“. So ein Schild, das betont die Co-Vorsitzende, sei allerdings nur ein kleiner Teil für eine insgesamt geschlechtergerechtere Sprache in Gelsenkirchen. Ihre Fraktion fordert die Stadtverwaltung nun zur „Erarbeitung eines städtischen Leitfadens zur gendersensiblen Sprache“ auf.

Dieser soll „die Grundlage für eine Verwaltungssprache sein, die gleichermaßen verständlich, wertschätzend und diskriminierungsfrei ist“, heißt es bei den Grünen. Ob dies durch das Gendersternchen oder andere Methoden geschieht, lässt die Fraktion offen.

Adrianna Gorczyk, die Co-Fraktionsvorsitzende der Gelsenkirchener Grünen, wirbt für „mehr Sichtbarkeit“ von queeren Menschen – auch in der Sprache.
Adrianna Gorczyk, die Co-Fraktionsvorsitzende der Gelsenkirchener Grünen, wirbt für „mehr Sichtbarkeit“ von queeren Menschen – auch in der Sprache. © FUNKE Foto Services | Lutz von Staegmann

„Zuletzt wurde uns durch den schrecklichen Todesfall in Münster vor Augen geführt, dass die queere Community längst noch nicht die Akzeptanz wie andere Menschen erfährt“, sagt Gorczyk und verweist auf die tödliche Attacke gegen einen 25-jährigen trans Mann am Rande des Christopher Street Day (CSD) am 27. August. Um die „Sichtbarkeit“ solcher Menschen zu erhöhen und „Normalität zu schaffen“, sei es wichtig, auch bei der Sprache für Veränderung einzutreten. „Natürlich steht so ein Leitfaden zur gendersensiblen Sprache nicht direkt im Zusammenhang mit Prävention vor Queerfeindlichkeit“, sagt Gorczyk, aber sie betont: „Kommunikation spielt dennoch eine entscheidende Rolle, weil sie Normalität schafft und die Haltung der Menschen mitprägt.“

Gelsenkirchener AfD fordert „Nichtanwendung der Gendersprache“

Vorgelegt wird der Antrag der Grünen dem Hauptausschuss am 22. September. Auf der Tagesordnung steht auch ein AfD-Antrag, der quasi das Gegenteil fordert: „Die Stadtverwaltung wird die sogenannte ,Gendersprache’ innerhalb jeglicher Form der verbalen Äußerung, sowohl schriftlich als auch mündlich, nicht zur Anwendung bringen“, heißt es in dem Beschlussvorschlag, den die AfD zur Abstimmung freigeben möchte.

„Sprache ist lebendig, Sprache entwickelt sich und sollte nicht von oben aufoktroyiert werden“, sagt AfD-Fraktionschef Jan Preuß. Doch tut die AfD damit nicht das Gleiche, indem sie das Gendern prophylaktisch verbieten möchte? „Sollte es so weit kommen, dass sich in der Bevölkerung freiwillig und aus sich heraus ein Gendern stattfindet, dann wären wir die Letzten, die dagegen wären“, behauptet Preuß. „Aber aktuell ist es so, dass die Mehrheit das Gendern ablehnt, da kann es nicht sein, dass die Behörden so eine Sprache verwenden.“ Man müsse „dem Volk aufs Maul schauen“, statt unverständliches Gendern aufzuzwingen.

Jan Preuß (AfD) legt mit seiner Fraktion einen Antrag mit dem Titel „Nichtanwendung der, Gendersprache’“ vor.
Jan Preuß (AfD) legt mit seiner Fraktion einen Antrag mit dem Titel „Nichtanwendung der, Gendersprache’“ vor. © AfD Gelsenkirchen | AfD

Die Grünen hingegen behaupten, ihr Antrag sei bewusst offen formuliert und würde keine Form des Genderns auferlegen – sondern lediglich für eine Sprache sensibilisieren wollen, die alle Geschlechter mitberücksichtigt. Adrianna Gorczyk bedauert deshalb, dass sie die SPD, CDU und FDP nicht davon überzeugen konnte, den Antrag gemeinsam zu stellen.

CDU Gelsenkirchen: Anträge zum Gendern zeugen von „mangelnder Ernsthaftigkeit“

„Es ist schon sehr verwunderlich: Die Bürgerinnen und Bürger haben größte Sorgen vor steigenden Energiepreisen, wissen zum Teil nicht, wie sie die neuen Vorauszahlungen für Gas und Strom leisten können. Und manche in Politik und Gesellschaft verlieren trotzdem den Fokus und diskutieren über ideologische Nischenthemen wie das ‚Gendern‘“, macht, Sascha Kurth, Partei- und Fraktionschef der CDU in Gelsenkirchen, deutlich, warum er das Anliegen der Grünen nicht unterstützt. „Für uns als CDU ist klar: Eine solche Debatte braucht es in Gelsenkirchen nicht.“

Dass die Grünen und die AfD mit ihren Anträgen eine „gesellschaftsspaltende“ Debatte öffnen, dokumentiere „eine mangelnde Ernsthaftigkeit und zunehmende Abgehobenheit von Politikerinnen und Politikern, die Bürger und Politik weiter voneinander entfernt“, meint Kurth. Die CDU-Stadtverordnete Laura Rosen findet zudem, dass durch die Gender-Diskussion „die wichtige Debatte zur Gleichstellung von Frau und Mann verwässert wird.“ Man dürfe „keine Sprachumerziehung betreiben, sondern müsse richtige, zielführende Debatten führen.“

Warum die Gelsenkirchener SPD den Gender-Antrag der Grünen nicht unterstützt

Die SPD geht mit dem Gender-Antrag weniger hart ins Gericht. Dass ihre Fraktion das Anliegen der Grünen nicht unterstützt, begründet Silke Ossowski, gleichstellungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, vielmehr damit, dass die Verwaltung auf dem Gebiet bereits einiges (siehe Infobox) geleistet habe. „Die Stadt hat sich in diesem Bereich längst auf den Weg gemacht, da fände ich es kontraproduktiv, mit dem erhobenen Zeigefinger mehr zu fordern.“

Auch wenn es der Schalke-Sticker vermuten lässt: Um Gelsenkirchen geht es hier nicht, sondern um Wesel. Aber auch in der Emscherstadt wurde die männliche Form noch nicht gegen die weibliche Form ausgetauscht: Auch hier warnt noch „der Oberbürgermeister“ und nicht die „Oberbürgermeisterin“ – obwohl Karin Welge mittlerweile seit zwei Jahren die Stadtverwaltung leitet.
Auch wenn es der Schalke-Sticker vermuten lässt: Um Gelsenkirchen geht es hier nicht, sondern um Wesel. Aber auch in der Emscherstadt wurde die männliche Form noch nicht gegen die weibliche Form ausgetauscht: Auch hier warnt noch „der Oberbürgermeister“ und nicht die „Oberbürgermeisterin“ – obwohl Karin Welge mittlerweile seit zwei Jahren die Stadtverwaltung leitet. © FUNKE Foto Services | Arnulf Stoffel

Zwar merkt Ossowski an, dass eine geschlechtergerechtere Sprache auch verwaltungstechnisch Probleme bereiten kann, etwa weil sich bestimmte Zeichen digital schwer erfassen ließen. An dem generischen Maskulinum solle man aber auch nicht mehr streng festhalten. „Es ist mir wichtig, zu betonen, dass wichtige Funktionen nicht nur Männer innehaben“, sagt Ossowski, für die es deswegen auch persönlich bedeutsam wäre, auch „die Oberbürgermeisterin“ auf dem einen oder anderen Hinweisschild zu lesen.

Lesen Sie mehr Nachrichten aus Gelsenkirchen:

Und Karin Welge selbst? Ist es der OB selbst wichtig, auch mal die weibliche Form im Stadtbild zu lesen? Persönlich äußert sie sich dazu auf Nachfrage nicht, wohl aber die Pressestelle: „Die Oberbürgermeisterin hat seit ihrem Amtsantritt keinen forcierten Austausch der entsprechenden Beschilderungen vornehmen lassen. Dass im Zuge des turnus- und regelmäßigen Ersatzes von beschädigten Beschilderungen dann die derzeit korrekten Behördenbezeichnungen (,Die Oberbürgermeisterin’) verwendet werden, versteht sich von selbst.“ Aber dieser Prozess erstrecke sich über lange Zeit – so lange, dass so auf manchen Schildern im Stadtgebiet immer noch „der Oberstadtdirektor“ zu lesen sei.

Und das sagt die Gleichstellungsstelle

Die Möglichkeit, den Genderstern auch in der Behördensprache zu benutzen, gibt es nach Angaben der Gleichstellungsbeauftragten Dagmar Eckart in der Gelsenkirchener Verwaltung seit einem Beschluss im August.

Ein Leitfaden für geschlechtergerechte Sprache, ähnlich wie von den Grünen gefordert, sei bereits in der Bearbeitung und entstehe in Kooperation mit dem Öffentlichkeitsreferat.

„So wollen wir den Mitarbeitenden Orientierung und Handlungssicherheit geben“, sagte Dagmar Eckart auf WAZ-Nachfrage.