Gelsenkirchen-Scholven. Kehrtwende: Block C des Kraftwerks in Gelsenkirchen ist systemrelevant und soll noch zwei Jahre laufen. Was das für Technik und Logistik heißt.

Bereits Ende Oktober sollte der Block C des Uniper-Steinkohlekraftwerks Scholven vom Netz gehen und stillgelegt werden. Die Bundesnetzagentur hatte dazu im Juli 2021 ihren Segen erteilt. Seither hat sich die Energiewelt dramatisch gewandelt. Was sich im April abzeichnete, ist nun klar: Der Übertragungsnetzbetreiber Amprion und die Bundesnetzagentur halten den Gelsenkirchener Kraftwerksblock mit 345 Megawatt Leistung für systemrelevant. Er soll für weitere zwei Jahre laufen und demnächst Strom-Spitzenlasten absichern helfen. Für Betreiber Uniper bedeutet das besondere Herausforderungen: Ans Personal, die Liefer- und Genehmigungsabläufe, die Kraftwerkstechnik.

Block C in Gelsenkirchen liefert 345 Megawatt Leistung

Einfach den Schalter weiter auf Betriebsmodus stehenzulassen – für ein Steinkohlekraftwerk sei das keine Option, macht Kraftwerksleiter Lars Wiese Dienstag im Gelsenkirchener Umweltausschuss deutlich. Block C soll weiter betrieben werden, eventuell auch Block B mit ebenfalls 345 MW Leistung, der im Sommer 2023 zur Stilllegung ansteht. Aber hier steht laut Wiese „die offizielle Bestätigung noch aus“.

Die letzten beiden (Inbetriebnahme 1968 und 1969) von einst fünf Kraftwerksblöcken seien „am Ende ihrer Lebenszeit. Zwei Jahre Betrieb sahen wir nicht mehr“, sagt Wiese. Nun laufe es wie bei einem Auto, das man eigentlich verschrotten wolle. Dem ziehe man ja nicht vorher neue Reifen auf. Sprich: Der Betrieb ist technisch machbar, vom Aufwand her fordernd und aus Sicht der Betreiber offenbar nur bedingt sinnvoll.

Im Bau: Gas- und Dampfanlage mit zwei Gasturbinen und einem Dampfkessel

Dennoch ist die Uniper-Botschaft im Ausschuss eindeutig: Man werde alles tun, um Strom zu liefern. Vor allem aber werde es im Winter keinen Ausfall bei der Fernwärme und der Prozesswärme für die Industrie geben. Gerade in diesem Bereich trifft Uniper auch in Gelsenkirchen die Preisexplosion auf dem Weltmarkt dramatisch: Der Standort ist im Umbau, auch Fernwärme aus Steinkohle soll hier nur noch bis zum Jahreswechsel produziert werden. Dann soll – energieeffizienter und umweltfreundlicher – eine Gas-Anlage übernehmen.

Die Bauarbeiten zur Errichtung der Gas- und Dampfanlage (GuD) mit zwei Gasturbinen und einem Dampfkessel sind in Scholven weitgehend abgeschlossen. Noch geht Wiese davon aus, dass das alte Fernwärmekraftwerk wie geplant Ende März 2023 stillgelegt wird. Doch was passiert, wenn sich die Gasmangellage weiter verschärft, die Kosten noch weiter steigen? „Wir würden Gas für die Anlage bekommen“, macht Wese deutlich. „Doch wollen wir das dann? Wir sind dazu mit unseren Kunden sehr eng im Gespräch“, nötigenfalls brauche es eine „Rückfalloption“.

Intensive Suche nach Arbeitskräften läuft bei Uniper

Derzeit läuft eine größere Untersuchung des Blocks C. Ihn noch groß zu ertüchtigen, sei kein Thema, aber eben den Betrieb zu sichern, so Wiese. Doch dazu gehört weit mehr als der Technik-Check, das wurde im Umweltausschuss deutlich: Mit dem Abschied von der Steinkohle und dem Umstieg auf Gas hatte Uniper auch den Personalabbau um rund 150 Kräfte forciert. Mitarbeiter, die bereits Vorruhestandsregelungen und Abfindungen zugestimmt hatten, wurden nun gefragt, ob sie weiterarbeiten wollten. „Rund 25 Mitarbeiter haben wir so gewinnen können. Ansonsten gucken wir uns auf dem externen Markt um“, betont Wiese. „Doch die Situation ist sehr schwierig.“

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Länger gesichert werden als geplant muss nun auch die Kohleversorgung. Den steten Brennstoff-Zufluss und Transportkapazitäten wieder zu erhöhen ist laut Wiese „ein großes Thema“ für Uniper. Die nötigen Kapazitäten auf jetzt schon oft stark ausgelasteten Gleistrassen zu bekommen sei ebenso schwierig wie die benötigten Züge, Lokführer und Waggons zu ordern.

Keine Steinkohle mehr aus Russland

Verstromt werden im Kraftwerk Scholven derzeit noch „einige 1000 Tonnen Kohle am Tag“, so Werkleiter Lars Wiese. Vor Ort auf Lager liegt stets mindestens die Menge, um die Fernwärmeversorgung für zwei Wochen zu sichern.

Die Kohle für das Kraftwerk in Scholven kommt – via Rotterdam – aus Kolumbien, Südafrika oder auch aus Australien. Steinkohle aus Russland, sagt der Kraftwerksleiter, sei nicht mehr dabei. „Mit Kriegsbeginn gegen die Ukraine haben wir entschieden: Die brauchen wir nicht mehr.“