Gelsenkirchen-Hassel. Egon Kopatz aus Gelsenkirchen-Hassel hütet bis heute das Krisenkochbuch seiner Mutter Lieselotte, nach dem sie nach dem Krieg kochte.
„Richtig schlimm wurde es 1946. Da litten alle Hunger. Und die Winter waren so hart, die Fenster waren sogar von innen vereist”, sagt Egon Kopatz. Das weiß er aus Erzählungen seiner Mutter Lieselotte. Er selbst kam 1949 als zweites Kind seiner Eltern zur Welt. Der Vater war Schießmeister auf der Zeche Westerholt, die Mutter Hausfrau. „Die Zeiten waren nicht einfach.” Die Herausforderungen an die junge Mutter sind groß: Sie muss die Familie versorgen – so gut es geht und mit so wenig wie möglich. Dabei hilft ihr ein altes Kochbuch, das Egon Kopatz bis heute gut gehütet hat.
Es stammt von 1914. Auch eine schlechte Zeit. Und es erklärt, im Auftrag des badischen Kultusministeriums, in allen Einzelheiten, wie die „gute Hausfrau” bestmöglich in der Küche wirtschaftet. Hier steht auch erklärt, wie man Tiere zerlegt, welche Schnitte man setzen muss. Ein Wissen, das die junge Lieselotte anwenden kann: „Wir haben in unserem Nutzgarten Tiere gehalten, Enten, Gänse, Schweine. Wir haben auch geschlachtet. Das war immer ein Fest für die ganze Nachbarschaft.”
Fleisch gab es bei Familie Kopatz in Gelsenkirchen-Hassel nur einmal in der Woche
Was zu tun ist, wenn es solche Feste nicht gibt, wenn der Mangel verwaltet werden muss, erklärt das Buch schon eingangs: „Infolge des derzeitigen Mangels an Eiweiß und Fett haben wir uns angewöhnt, bedeutend größere Mengen an Kartoffeln und Gemüse zu genießen.” Und weiter: „Die in den Rezepten für Suppen, Fleisch-, Gemüse- und Kartoffelspeisen angegebene Fettmenge kann bei dem heurigen Mangel an Fett stark gekürzt, bei manchen Rezepten sogar eingespart werden.”
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Fleisch, erinnert sich auch der Hasseler Egon Kopatz gut, sei nur einmal in der Woche auf den Tisch gekommen. Auch Fett habe es selten gegeben. Der Figur der Eltern sei das zuträglich gewesen, lacht er. Die körperliche Arbeit tat damals dabei ihr Übriges. „Wir hatten früher 150 Quadratmeter Garten.” Der musste bewirtschaftet werden. Dazu das Grabeland zum Kartoffelanbau, das die junge Familie von einem Bauern gepachtet hatte.
Statt Bohnenkaffee kam meist Ersatzkaffee in die Tasse
Trotzdem: „Die Frauen damals mussten sparsam sein.” Zumindest unter der Woche. „Wir haben zum Beispiel Ersatzkaffee getrunken.” Ohnehin besser, redet es das Kochbuch schön. „Wertvolle warme Getränke können aus deutschem Kaffee und Tee bereitet werden. Sie besitzen nicht die nervenreizenden Stoffe, die dem ausländischen Kaffee und Tee eigen sind, enthalten aber angenehme Geschmacksstoffe und sind aus gesundheitlichen Gründen und ihres niederen Preises wegen, auch aus wirtschaftlichen Gründen, sehr zu empfehlen” Dann führt es die „deutschen” Kaffeesorten auf: Malzkaffee aus gekeimter, gerösteter Gerste, Kornkaffee aus gerösteten Körnern von Roggen, Eichelkaffee aus gerösteten Eichelsamen und Kaffeemischungen.
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„Bohnenkaffe, den gab es nur am Sonntag, wenn es auch Kuchen gab.” Natürlich auch nach Rezepten des „Krisenkochbuches”. Das ahmt auf vielen Seite leckere Köstlichkeiten nach, auch mit gewissen Hilfsmitteln. „Ich erinnere mich gut an die Buttercremetorte meiner Mutter. Dabei habe ich ihr oft geholfen. Die war so lecker, so etwas Besonderes, da hat sich die ganze Verwandtschaft selbst eingeladen und unsere Wohnung an der Valentinstraße war ein Anziehungspunkt für alle. Irgendeiner hat dann immer eine Quetsche rausgeholt und dann wurde musiziert.”
Das Wegwerfen von Lebensmitteln war ein absolutes Tabu
Um den Frauen beim Wirtschaften in der Küche zu helfen, bietet das Buch im hinteren Teil Tipps für ganze Wochenpläne der Verköstigung, unterteilt in die vier Jahreszeiten. Für den bevorstehenden Herbst etwa schlägt das Buch Klangvolles vor wie „Gebrannte Mehlsuppe” oder „Weckkratzete”. Das klingt recht fremd, meint aber eine Art Schmarrn, für den in der Hauptsache alte Brötchen verwendet werde. Wegwerfen ist nämlich nicht, in jenen Zeiten.
Das mahnt auch das Kapitel „Resteverhütung und Resteverwertung” an. Zuviel gekochte Kartoffeln etwa können doch am nächsten Tag zu Klößen oder Kartoffelsalat verarbeitet werden. Gemüsereste können eine Suppe ergeben, Käsereste können auch gerieben das „Butterbrot” schmackhaft machen und die harten Wecken, also Brötchen, werden als Paniermehl zu einem wertvollen und haltbaren Grundstoff für neue Gerichte.
So kurios sich das Buch hier und da liest, so sehr man noch vor einigen Monaten geneigt gewesen wäre, über dieses und jenes zu schmunzeln oder gar zu lachen – vieles klingt heute, vor dem Hintergrund der Energiekrise und steigender Preise, so gar nicht mehr komisch. Egon Kopatz hingegen ist sein Frohsinn nicht zu nehmen. So wie seine Mutter einst müsse man sich eben zu helfen wissen – praktische Küchentipps aus Mutterns Kochbuch inklusive. Er selbst übrigens, das verrät er zum Ende, habe danach nie gekocht. „Ich hatte immer das Glück, bekocht zu werden.”
Hier ein Rezept aus dem Buch
Weckklöße zu Salat oder Obst (für zwei Personen):
- 4-5 trockene Brötchen
- knapp einen halben Liter Milch
- zwei Eier
- ein Esslöffel fein geschnittene Zwiebeln und Petersilie
- einen halben Esslöffel Fett
- etwas Salz und Muskatnuss
- ein bis zwei Esslöffel Mehl
- zum Abschmälzen einen halben Esslöffel Fett oder ein Stückchen Butter und ein Esslöffel Weckmehl
Die Brötchen werden in dünne Scheibchen geschnitten, mit kochender Milch begossen und zugedeckt. Wenn sie gut durchgeweicht sind, gibt man die in Fett gedämpften Zwiebeln und Petersilie, Salz, Muskatnuss und die Eier zu und verrührt die Masse gut.
Nun formt man mit einem Esslöffel die Klöße, gibt sie in kochendes Salzwasser und lässt sie in zugedecktem Topf fünf Minuten ziehen. Beim Anrichten überschmälzt man sie mit in Fett geröstetem Weckmehl.
Zubereitungszeit: Anderthalb Stunden.