Gelsenkirchen-Horst. Beim dritten Sommerspezial der Serie „StadtGEschichte(n)“ erinnern sich Leser an Erlebtes im Bezirk Gelsenkirchen-West.
Ihre gute Gemeinschaft im Bezirk, im Ortsteil, im Viertel, die betonen Horster immer wieder. So erstaunt es nicht, dass zum Sommerspezial der Serie „Stadtgeschichte(n)“ im Stadtwesten viele Menschen an den Treffpunkt an der Essener Straße kommen, die genau davon berichten.
Thomas Grohé, ein zugezogener Horster, erinnert sich noch gut an seine ersten Stunden in der neuen Heimat. „Als ich Ende 1989 hier hingezogen bin, hatten wie einen langen Stresstag hinter uns. Wir sind in ein Haus eingezogen, im Hinterhof an der Markenstraße. Als wir den Wagen auspackten, stand da ein Mann und schaute uns zu. Irgendwann sprach er uns an, stellte sich als Fritz Braun vor. Er sagte: Ich habe gesehen, ihr habt gar keinen Kühlschrank und keinen Herd.” Beides gab es tatsächlich noch nicht. Aber der Inhaber eines Elektrowarengeschäftes kann helfen. „Er sagte, er habe gerade zwei gute gebrauchte Geräte reinbekommen. Die hat er uns sofort angeschlossen, während wir das Schlafzimmer aufgebaut haben.” Noch am selben Abend fühlen sich die Zugezogenen angekommen und aufgenommen.
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So geht es auch Rainer Wondzinski. „Meine Eltern waren Flüchtlinge aus der Ostzone.” Nach einigen Jahren im Durchgangslager an der Weser zog die Familie nach Gelsenkirchen. „Wir haben an der Essener Straße 1 gewohnt. Die Wohnung war so schön, da denke ich heute noch dran. Und günstig: Wir haben 360 Mark warm bezahlt.” Besonders gern erinnert sich der Horster an die besondere Hausgemeinschaft. „Wir haben zusammen Feste gefeiert – auf dem großen Trockenboden, mit Spanferkel und allem, was dazu gehört.”
Kaffeetrinken des Runden Tisches Horst auf dem Ilse-Kibgis-Platz
Damals wie heute sei diese Gemeinschaft zu erleben. Hildegard Meyer ist gekommen, eine ganz aktuelle Geschichte zu erzählen. Gerne, berichtet sie, besuche sie das Kaffeetrinken auf dem Ilse-Kibgis-Platz, ausgerichtet vom Runden Tisch Horst. „Da werden die Leute mit der Rikscha um den Pudding gefahren. Das ist ganz toll. Da fährt einer vorne auf dem Rad und man sitzt hinten drin. Als ich meine Runde gefahren bin, ist Reinhold Adam mitgefahren und hat mir auf der Tour viel erzählt über den Stadtteil.”
„In der Schule haben wir gelernt, dass die Hexen früher im Schlossgraben ertränkt wurden.”
In Horst, da kann man was erleben. Das gilt auch früher schon, erzählt Petra Schlüter. „Ich habe in relativer Nähe zum Schloss Horst gewohnt. Das war für uns Kinder ein Abenteuerspielplatz. Das war ja damals brachliegend.” Allerdings: Es sei auch ein bisschen schaurig gewesen. „In der Schule haben wir gelernt, dass die Hexen früher im Schlossgraben ertränkt wurden.” In der Jugend der Horsterin dann wird das Schloss ertüchtigt und belebt. „Wie schon meine Oma habe ich dann im Schloss Horst meinen ersten Ball im Rock gefeiert.” In den Kellerräumen sei nämlich eine Disco gewesen. „Das war Schloss Dracula. Das war schaurig-schön.”
Mit einer Jugenderinnerung ist auch Sybille Hellier gekommen. Sie erzählt von ihrem Vater, Günter Nagel. „Der war Lagerverwalter der Gustav Kalthoff GmbH & Co.KG.” Hier wurde damals Coca-Cola abgefüllt. Die ist damals etwas ganz Besonderes, steht sinnbildlich für die Moderne. „Ich bin mit Coca-Cola groß geworden. Mein Vater hat die immer mitgebracht. Oder auch Fanta und Sprite. Deswegen waren wir in der Nachbarschaft so beliebt. Alle Kinder durften bei uns Cola trinken. Und manchmal hat mein Vater mich mit dem Coca-Cola-Auto abgeholt.” Damals war das so gut wie später der schickste Sportwagen. Ob das ihre Beliebtheit gesteigert habe? Die Horsterin lacht: „Bei den Schülern ja, bei den Lehrern nicht.”
Erinnerungen an schöne Momente in den 60er-Jahren hat auch Renate Mische mitgebracht – auch in Bildern. Zwei davon dokumentieren ein Schützenfest in der Siedlung. Kein richtiges, erklärt sie lachend. In der Siedlung feierten sie damals solche Schützenfeste für die ganze Familie. Allerdings sei dort nicht geschossen worden. König und Königin habe man im Vorfeld einfach ausgewählt. Gefeiert wurde aber ordentlich. „Wir haben Bierbänke aufgestellt und beim Bäcker Jäger wurde Kuchen geschnorrt. Wir haben Spiele gespielt wie Laternen hochklettern. Oben waren die Preise angebracht.”
Ein weiteres Foto in ihrem Büchlein erregt Aufsehen: Ein großer Eisbär dominiert das Schwarz-Weiß-Foto. An ihn gekuschelt lachen drei Mädchen in die Kamera: die Töchter Anette, Bettina und Monika. „Das war im Ruhr-Zoo. Das war damals ein beliebtes Fotomotiv.” Alle Bilder übrigens hat Renate Mische selbst gemacht. „Ich habe damals sehr gerne fotografiert.”
An Kinderfreuden erinnert sich auch Gaby Münch. Die Horsterin machte einst ihre Ausbildung bei der Firma „Anzengruber”, eine Lotto-Annahmestelle mit Spielwarenverkauf. Hier arbeitete die Horsterin, durfte täglich in strahlende Kinderaugen blicken. „Oder heulende, wenn die Kinder etwas nicht bekommen haben.” Es war eine Zeit, in der sich die Welt des Spielens wandelt. „Barbies gab es schon. Die wollten alle haben.” Alle? Oder nur die Mädchen? „Für die Jungs gab es ja den Ken.” Die moderne Technik revolutionierte den Markt. „Mit der Elektrotechnik war der Brummkreisel Geschichte.”
So wie die Welt im Wandel ist, ist es auch der Stadtteil. Erinnern heute nur noch Namen und Schilder an die legendäre Galopprennbahn, war sie einstmals an Wochenenden Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens. Michael Turski war hier als junger Mann für das DRK tätig. „Dabei waren meist ein Tierarzt und ein Metzger. Denn es konnte sein, dass nach einem Sturz nicht nur der Reiter verletzt war.” Gab es für das Pferd keine Chance mehr, war sein Schicksal besiegelt. „Das wurde dann vor Ort zu Sauerbraten.” Ob es damals viele Unfälle gab? „Ja, beim Underberg-Jagdrennen immer. Das war das härteste Rennen in Europa.” Nicht selten sei es vorgekommen, dass 36 Pferde an den Start gingen und nur ein paar wenige das Ziel erreichten.
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Ein großes Familienalbum hat Hans Richard Ferfers mitgebracht – voller Erinnerungen und viel Stadtgeschichte. Gleich das erste zeigt die Familie vor einem imposanten Haus. „Das war das Strundenhaus. Mein Opa hat das 1942 gekauft.” Weitere Bilder zeigen das Haus aus allen Himmelsrichtungen, und den Garten, der fast eine Parkanlage ist. „Hier sitzt auf einem Foto die Familie vereint: Opa Richard sitzt mit Oma Maria am Tisch, die Kinder Hans, Mariechen und Willi stehen dahinter und der kleine Hans Richard ist in erster Reihe zu sehen.” Das Überraschende: Gelebt hat die Familie hier nie.
In die Fußstapfen seines Vaters tritt er nie. Schon die Eltern gehen andere Wege. „Meine Eltern haben 1956 an der Buerer Straße gebaut und eine Gaststätte eröffnet. Meine Frau und ich haben die 1972 übernommen und bis 1994 weitergeführt.”