Gelsenkirchen. Zig Kneipen, ein reges Vereinsleben und Lokalpatrioten beim Kicken: Rotthauser und Ückendorfer erzählen in ihren Stadtgeschichten aus dem Süden.
„In diesem Bereich, wo wir jetzt stehen, gab es früher 14 Gaststätten.” An der Steeler Straße erinnert sich der Rotthauser Bernd Lumma an die Zeiten, als hier „überall was los war”. Er ist gekommen, um beim Sommerspezial der WAZ-Serie “Stadtgeschichte(n)” seine Erinnerungen aus seinem Bezirk zu erzählen. „Man konnte einfach von einer Kneipe in die nächste ziehen. Und bis zur Stadt waren es 34 Gaststätten. Rotthausen war damals der Nabel der Welt”, sagt er und lacht.
In der Tanzpalette gastierten einst bekannte Bands
„An der Karl-Meyer-Straße war die Tanzpalette. Da sind die ganz bekannten Bands aufgetreten. Weil ich auch ein bisschen musikalisch bin, durfte ich mit meiner Band dort proben.” Gitarre habe er damals gespielt. „Den ersten Auftritt hatte ich in der Gaststätte Düppel - zu Karneval.” Musik, das mache er nur noch im „Geheimen”. Sie ist Bernd Lumma immer ein Hobby. Beruflich aber geht er ganz andere Wege: Nach einer Ausbildung zum Starkstromelektriker auf der Zeche Dahlbusch wechselt er nach deren Schließung in die Werbebranche, montiert Leuchtreklame – in ganz Deutschland und auch in Rotthausen. Besonders, als er später seinen eigenen Betrieb hat. „An der Karl-Meyer-Straße habe ich viel gemacht: Die Leuchtreklame für ein Blumengeschäft, für ein Brillenstudio, für eine Gaststätte.” Lesen Sie auch: Gelsenkirchen-Horst: Mit dem Coca-Cola-Auto zur Schule
In Rotthausen aufgewachsen ist auch Helmut Giga. In einer Zeit, in der die Montanindustrie den Stadtteil noch stark prägt - positiv wie negativ. „Als die Kokerei noch da war, da war der Stadtteil, je nach Windrichtung, stark belastet.” Nicht nur durch den Schmutz. „Es stank nach Schwefel, nach faulen Eiern. Da war das Wohnen in der Nachbarschaft schon eine Herausforderung.”
Reges Vereinsleben genossen statt Fernsehen
Vieles sei jedoch auch schöner gewesen als heute: „Im Fernsehen gab es nur ein Programm. Aber es gab ja ein reges Vereinsleben. Da hat man seine Zeit verbracht. Ich selbst war sehr in der Kirche engagiert.” Viele Freundschaften, Verbindungen, die bis heute zwischen den alteingesessenen Rotthausern bestehen, hätten hier ihren Ursprung, erzählt Helmut Giga. Auch, dass sie das Leben im Ort bis heute prägen. Zum Thema: Stadtgeschichten über Kondome beim Friseur
„Ganz viel Gemeinschaft – Es ist wie ein Dorf“
Eine Gemeinschaft, von der auch Ina Barciaga schwärmt. „Ich bin an der Steinfurtstraße groß geworden.” Die Erinnerungen an ihre Jugend seien so positiv gewesen, dass sie nach der Hochzeit nach Rotthausen zurückkehrt. „Der Stadtteil ist für mich wie ein Dorf. Jeder kennt jeden. Es gibt ganz viel Gemeinschaft und Gemeinschaften.” Besonders berührt sie die Hilfsbereitschaft der Menschen, die sie in einer Lebenskrise selbst erfährt: “Nur durch Mund-zu-Mund-Propaganda haben mir die Menschen hier binnen weniger Tage eine Wohnung besorgt und mir zur Seite gestanden. Daran denke ich bis heute gern zurück. Und das macht für mich Rotthausen aus.”
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Apropos Gemeinschaft: Werner Backhaus, Rotthauser mit rheinischem Migrationshintergrund, prägt diese besonders kulinarisch. Vor zwanzig Jahren regt er an, mit dem Bürgerverein seine „alte” Heimat Krefeld zu bereisen. Dort lernen die Mitfahrenden das Krefelder Traditionsbier „Gleumes” kennen – und importieren es in den Gelsenkirchener Stadtsüden. Bei der nächsten Rotthauser Woche wird es angeboten. „Der Erfolg hat uns selbst überrascht.” Und so etabliert Werner Backhaus auch Reibekuchen mit Rübenkraut dazu. „Im Laufe der Zeit hat sich eine kleine, aber feine Fangemeinde gegründet. Seitdem werden der Bürgerverein und Gleumes in Rotthausen in einem Atemzug genannt.” Lesen Sie auch: Stadtgeschichten: Für Nazis bei der Hochzeit gab es Sonderurlaub
TV-Prominenz: „Wilsberg“ hat seine Wurzeln in Rotthausen
Der Stadtteil im Süden kann sogar mit Prominenz aufwarten. Davon handelt die persönliche Stadtgeschichte von Georg Gerecht. „Ich bin mit Hans-Jürgen Lansink in eine Klasse gegangen ins Gymnasium am Stoppenberg.” Wer das ist? „Heute heißt der ja Leonard Lansink, im Gedenken an seinen Opa Leonard, bei dem er an der Schemannstraße aufgewachsen ist. Bekannt ist er vor allem durch seine TV-Rolle als Wilsberg. Hier in Rotthausen spielte er auch Handball - unter anderem im Saal des Volkshauses Rotthausen.” Ein Kontakt übrigens, der ganz locker noch lange besteht: „Vor einigen Jahren habe ich ihn beim Schulfest in Stoppenberg zum letzten Mal gesehen. Er ist ganz normal geblieben, nur älter geworden. Mit dem Auto ist er wohl nicht angereist. Denn einen Führerschein hat er ja nie gemacht.“
Bezirksbürgermeister Thoma Fath kickte für die „BSG Großmarkt“ in Ückendorf
Zum Bezirk Süd gehört auch der Stadtteil Ückendorf. An seine Jugend hier denkt Thomas Fath, der heute selbst ein Rotthauser ist, gern zurück. „Damals hatte jede Kneipe in Ückendorf eine Fußballmannschaft. Die hatten sogar eine eigene Liga. Und gespielt wurde immer auf dem Fußballplatz an der Dessauer Straße.”
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Auch der heutige Bezirksbürgermeister spielt damals hier mit. „Ich war bei der BSG Großmarkt.” Zu der kommt er, weil dort viele Kicker von der Braunschweiger Straße mitspielen. Hierhin hat der junge Mann viele Kontakte. „Die Straße nannte man nur den Schlag. Von Taubenschlag. Da lebten ganz viele Taubenväter. Ich weiß noch, die haben immer sonntags ab dem Morgen auf dem Hof gesessen und auf ihre Tiere gewartet. Stundenlang haben sie in den Himmel geschaut. Und aus riesiger Entfernung haben sie dann schon sowas gesagt wie: Ah, da kommt der Bucklige.“
Am Dienstag zu Gast in Erle
Das Sommerspezial der Serie “Stadtgeschichte(n)” zieht weiter zur letzten Station in den Bezirk Ost. Schon am Dienstag, 26. Juli, sind Leser in der Zeit von 10 bis 12 Uhr ins Café Zipper, Cranger Straße 350, geladen.
Willkommen sind alle Leser, die einmal ihre ganz eigene Stadtgeschichte erzählen möchten, also Anekdoten und Erinnerungen aus ihrem Bezirk, aus ihrem Quartier. Bringen Sie gern auch Bilder aus dem Familienalbum mit, die dann vor Ort abfotografiert werden können.
Einmal, erzählt Fath, wechselt er den Verein. Obwohl man das damals in Ückendorf nicht macht. Er aber streift das Trikot der Kickers Ückendorf über. „Da war man auf einmal der Todfeind. Das war so wie heute zwischen Schalke und Dortmund. Das hat mir einige Sprüche eingebracht auf dem Platz.”