Gelsenkirchen. Dramatischer Lehrermangel, Schulbau mit Hindernissen und keine Infos vom Land zum Pandemieschutz: Was Gelsenkirchens Bildungsdezernentin plant.

  • Stadt wartet händeringend auf Infos vom Land zu Testverfahren in Schulen
  • Hauptschulzweige an Realschulen sind nach Gelsenkirchener Anregung jetzt möglich
  • Junge, von Gelsenkirchener Schulen überzeugte Lehrer sollen für Verstärkung werben

Am 10. August startet die Schule in NRW wieder. Wir wollten wissen: Wie blickt Gelsenkirchens Bildungsdezernentin Anne Heselhaus auf dieses kommende Schuljahr, das dritte in Pandemiezeiten? Wie gesichert sieht sie den Schulbetrieb in ihrer Stadt, in räumlicher, personeller und pandemischer Hinsicht?

WAZ: Wie gut sind Gelsenkirchens Schulen und Kitas auf das neue Schuljahr vorbereitet? Auf einer Skala von eins bis zehn (sehr gut)?

Anne Heselhaus: Aufgrund der bisher gemachten Erfahrungen und der bisher gemeisterten besonderen Herausforderungen sind sie meines Erachtens gut vorbereitet, also sieben bis acht auf der Skala.

WAZ: Was sind die guten Nachrichten für das kommende neue Schuljahr in Gelsenkirchen?

Anne Heselhaus: Die Ebersteinstraße wird pünktlich zum Schulstart fertig sein und ist sehr gut ausgestattet. Und wir haben alle Beschlüsse für die Schulneubauten fassen können, sogar für den Junkerweg – für letzteren unter der Voraussetzung, dass die Verkehrsführung angepasst ist. Beim Ergänzungsbau an der Grundschule Kurt-Schumacher-Straße ist im August Baubeginn, die Fertigstellung für 2024 geplant. Der Bau der Grundschule Gräffstraße soll im Frühjahr 2023 starten, die Grundschule am Wildenbruchplatz im Frühjahr 2024. Die Machbarkeitsstudie für den Neubau der Gesamtschule Berger Feld ist beauftragt und wird hoffentlich 2023 vorliegen. Zum Thema: Was OB Karin Welge den Gelsenkirchener für 2022 verspricht

Gelsenkirchener Anregung zum Hauptschulzweig an Realschulen steht jetzt im Gesetz

Bildungsdezernentin Anne Heselhaus sieht Gelsenkirchener Schulen eher gut auf das nächste Schuljahr vorbereitet. Jedenfalls was die Vorbereitungen seitens der Stadt angeht. Was drückt, sind Lehrermangel und fehlende Informationen zu Schutzmaßnahmen gegen die Pandemie.
Bildungsdezernentin Anne Heselhaus sieht Gelsenkirchener Schulen eher gut auf das nächste Schuljahr vorbereitet. Jedenfalls was die Vorbereitungen seitens der Stadt angeht. Was drückt, sind Lehrermangel und fehlende Informationen zu Schutzmaßnahmen gegen die Pandemie. © FUNKE Foto Services | Oliver Mengedoht

WAZ: Der Ratsbeschluss favorisiert ja eine Realschule als Schulform am Junkerweg. Wann und wie wird das entschieden?

Heselhaus: Das hängt von verschiedenen Indikatoren ab, zum Beispiel vom Anmeldeverhalten der Eltern. Aber was der Favorisierung einer Realschule entgegenkommen wird, ist, dass im Koalitionsvertrag die Änderung des Schulgesetzes festgeschrieben ist. Künftig soll auch die Einrichtung von Hauptschulbildungsgängen an Realschulen erlaubt sein. Das hatten wir bei der Schulaufsicht bereits mehrfach vergeblich angeregt, nun ist meine Anregung aufgenommen worden. Das ermöglicht Kindern, die bislang beim Bildungsgangwechsel wegen zu schlechter Leistungen von Realschulen abgehen müssen, an der Schule bleiben und dort in einer Hauptschulklasse weiter lernen können. Das erleichtert auch die Planbarkeit für uns. Wir werden alle Parameter gemeinsam mit der Schulaufsicht sorgfältig erheben und bewerten und der Politik dann einen Vorschlag unterbreiten. Lesen Sie auch: Kehrtwende beim Schulneubau in Gelsenkirchen

WAZ: Um das Bildungsministerium haben sich die Koalitionäre ja nicht wirklich gerissen. Was erhoffen Sie sich von der Ministerin Dorothé Feller?

Heselhaus: Als bisherige Regierungspräsidentin kennt sie die Schullandschaft hier gut. Sie weiß auch um die Unterschiede zwischen Schulen, Schülerinnen und Schülern sowie Eltern im Münsterland und hier in der Emscher-Lippe-Region. Insbesondere die Elternarbeit ist hier herausfordernder als dort, wir bauen ja nicht umsonst Familienzentren. Frau Feller ist die Emscher-Lippe-Region wichtig, das hat sie auch bei der Bildungskonferenz der Emscher-Lippe-Region im Juni gezeigt. Ich denke, dass sie Gelsenkirchen eher guttun wird.

WAZ: Wir groß kann Ihr Einfluss als kommunale Dezernentin bei der Abordnung von Lehrkräften aus an deren Regionen sein?

Heselhaus: Wir sind als Schulträger ja nicht für die personelle Ausstattung zuständig. Aber ich glaube und hoffe sehr, dass die Ministerin alles tut, um die Bildungs- und Chancengerechtigkeit zu fördern.

WAZ: Denken Sie da auch an Willkommenspakete für Lehrer?

Heselhaus: Das ist durchaus Thema bei uns. Unternehmen tun das schließlich auch. Es muss ja nicht Geld sein. Es geht um Wertschätzung. Wir haben eine Arbeitsgruppe, die sich damit befasst. Wir müssen auch die jungen Lehrer bei uns von außerhalb, die gern bei uns geblieben sind, als Ratgeber einbeziehen, womit wir für junge Lehrkräfte attraktiv werden können. Viele schätzen unsere gute Digitalausstattung, die beste im Umkreis.

WAZ: Was halten Sie davon, für eine gerechtere Lehrerversorgung der Regionen, wie früher üblich, junge Pädagogen auch gegen ihren Wunsch dahin zu schicken, wo Mangel herrscht, wie etwa nach Gelsenkirchen?

Heselhaus: Heute spielt die Work-Life-Balance ja eine deutlich größere Rolle, von daher wäre Eigenwerbung besser. Aber im Sinne der Bildungsgerechtigkeit ist das bei Beamten durchaus vorstellbar. Ein guter Schritt ist auf jeden Fall, dass jetzt die Grundschullehrer auch nach A13 bezahlt werden sollen.

Beim Recht auf Ganztagsbetreuung wird es beim Personal eng

WAZ: Die Bildungsgewerkschaften sehen für die Umsetzung des Anspruchs auf Ganztagsbetreuung an Grundschulen ab 2025 schwarz. Wie ist Gelsenkirchen darauf vorbereitet?

Heselhaus: Die Befürchtungen sind nicht von der Hand zu weisen. Bei Schul-Neubauten wird das Thema von uns bereits mitgedacht, bei den Bestandsbauten laufen die Erweiterungen wo irgend möglich. Wo das nicht geht, werden Klassenräume multifunktional ausgestattet, um für den Ganztag nutzbar zu sein. Der Bund hat das Gesetz verabschiedet, aber wie die Rahmenbedingungen aussehen sollen, ist weiterhin ungeklärt. Es fehlen die Ausführungsbestimmungen. Stand heute liegt die Verantwortung bei den Jugendämtern. Der Städtetag fordert, die Betreuung beim Land anzusiedeln, um die Finanzierung zu sichern. Es soll ja eine qualitativ hochwertige Betreuung werden. Das braucht Vorbereitung und Fachkräfte, die aber fehlen. Wir wollen daher zum Beispiel vor Ort die Erzieher-Ausbildung am Berufskolleg Königsstraße ausbauen, um in dem Bereich eigene Kräfte heranzuziehen und auch Studienabgänger im Bereich Sozialarbeit anwerben.

WAZ: Wäre eine Public Private Partnership eine Lösung, den stockenden Schulbau wie bei Gesamtschule Erle und Kulturschule voranzutreiben? Also ein Modell, bei dem ein privater Finanzier die Schule plant und baut und die Stadt das Gebäude langfristig anmietet, danach selbst übernimmt?

Heselhaus: Ich weiß, dass manche Kommunen das tun, andere nutzen andere Modelle. Wir schließen das nicht aus, wir prüfen alles, was den Bau beschleunigen kann. So hoffe ich, dass der Neubau der Kulturschule im nächsten Jahr starten kann.

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WAZ: Wie geht es mit der Beschulung der ukrainischen Flüchtlingskinder weiter? Reichen die Kapazitäten?

Heselhaus: Im Moment kriegen wir das gut hin. Sobald die Familien angemeldet sind, prüft das Kommunale Integrationszentrum die Eignung und verteilt die Kinder auf Internationale Förderklassen. Es gibt auch Überlegungen, sie direkt ins Regelsystem zu bringen, vor allem im Grundschulbereich, plus bis zu zwölf Stunden Förderunterricht je Woche. Wie es nach den Sommerferien aussieht, müssen wir abwarten. Im September beginnt das Schuljahr in der Ukraine, manche Familie wird jetzt überlegen, ob sie vorher zurückgeht oder nicht. Von daher wissen wir noch gar nicht, wie viele Kinder wir im nächsten Schuljahr zu beschulen haben. Wir wissen leider auch nicht, wer sich wirklich bei uns abmeldet, wie viele vielleicht schon weg sind. Und für die wir nun Plätze freihalten, die anderen erst einmal nicht zur Verfügung stehen. Auf jeden Fall sind wir allen Kindern gleich verpflichtet: ukrainischen Flüchtlingen ebenso wie allen Flüchtlingen und Einheimischen.

Noch keinerlei Informationen vom Land zu Teststrategien an Schulen

WAZ: Wie gut vorbereitet sind die Schulen in Gelsenkirchen auf den dritten Pandemiewinter?

Heselhaus: Da hängen wir am Landestropf. Wir wissen noch gar nichts. Ob es wieder Testverfahren in den Schulen geben wird, ob diesmal an Grund- und weiterführenden Schulen von vornherein gleich getestet wird oder wieder unterschiedlich, weil die Kleinsten die vulnerabelste Gruppe darstellen. Man will sich beim Land offenbar eng mit dem Bundesgesundheitsministerium abstimmen, aber ich hab noch keine Ergebnisse. Frau Feller hat angekündigt, dass sie rechtzeitig informieren wird. Da die aktuell ansteigen, wäre meiner Meinung nach jetzt schon Handlungsbedarf. Was wir als Schulträger tun können, machen wir bereits. Wir stellen Desinfektionsmittel und Reinigungsmittel zur Verfügung, mit Gelsendienste werden die vermehrten Reinigungsdienste geklärt. Und beim Wiederaufbau von Teststrukturen wollen wir gemeinsam mit dem Gesundheitsdezernat dafür sorgen, dass bei Anträgen zur Betriebserlaubnis für Teststellen möglichst Standorte in Schulnähe genehmigt werden.

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WAZ: Wie sicher ist es, dass die Schulen angesichts des Lüftungszwangs die Heizung nicht herunterdrehen müssen wegen der Gaskrise?

Heselhaus: Die Ministerin hat klar gesagt, dass Schulen Teil der kritischen Infrastruktur sind. Wie die Versorgungssituation im Winter wirklich sein wird, kann ich nicht einschätzen.

WAZ: Ist geplant, externe Räume anzumieten, um die Enge an Schulen zum Infektionsschutz zu entzerren?

Heselhaus: Das ist nur eingeschränkt möglich, Häuser der Offenen Tür, Kino und Theater allenfalls. Aber möglich sind ja auch Vormittags- und Nachmittagsunterricht. Das wird allerdings wohl bei den Eltern nicht gut ankommen. Und bei Klassenteilungen gibt es zudem das Problem, dass es ja ohnehin zu wenige Lehrkräfte gibt. Es gilt, hier eine schwierige Gemengelage zu lösen.