Gelsenkirchen-Rotthausen. Das Volkshaus Rotthausen in Gelsenkirchen ist beeindruckend und imposant. Doch ein Zukunfts-Konzept fehlt. Ein Blick ins Haus und seine Historie.

Es gibt diese schlummernden Orte, die betritt man und hat gleich ein Bild im Kopf, wie es hier ausgesehen haben könnte vor dem Dornröschenschlaf. Ein solcher ist das Volkshaus Rotthausen. In seiner gut einhundertjährigen Geschichte hat es viel erlebt, ist auf ganz verschiedene Weise genutzt worden und wird, trotz seiner Schönheit, eigentlich nie so wertgeschätzt, wie es das Haus verdient hätte. Schon bevor man das Volkshaus überhaupt betreten hat, beeindruckt es mit seiner Gestaltung. Zum einen durch seine Dimensionen. Das Haus ist ein Koloss. Der kam einst noch mehr zur Geltung, als die Häuser gegenüber noch nicht stehen, das Volkshaus weithin sichtbar ist. Heute wirkt es, inmitten der Wohnsiedlung, anachronistisch.

Gelsenkirchens beeindruckende Architektur: Das Volkshaus Rotthausen hat in seiner 100-jährigen Geschichte viel erlebt

Auch das Wandrelief und die große Eingangstür sind Zeugnisse ihrer Zeit. Die expressionistische Gestaltung stammt wie der Entwurf für das ganze Haus von dem renommierten Architekten Alfred Fischer. „Die Nationalsozialisten haben das 1933 entfernt. Erst bei der Sanierung des Hauses Ende der 1980er Jahre wurde das rekonstruiert”, erklärt Dr. Daniel Schmidt vom Institut für Stadtgeschichte.

Der große Saal im Volkshaus Rotthausen ist, wie der gesamte Bau, ein Zeugnis seiner Zeit.
Der große Saal im Volkshaus Rotthausen ist, wie der gesamte Bau, ein Zeugnis seiner Zeit. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Wie sein Antlitz ist der ganze Bau, auch in seiner Konzeption, ein Zeugnis seiner Zeit. Erste Pläne, in Rotthausen ein Jugendhaus zu erbauen, gibt es schon 1914 – samt der Bauzeichnungen. Doch der Erste Weltkrieg verhindert das Vorhaben zunächst. Die Vision aber ist klar: Im expandierenden Ortsteil Rotthausen, der durch den Bergbau und die Industrialisierung wächst, soll es einen Ort geben, an dem sich junge Menschen betätigen und bilden können. So ist der große Saal schon jetzt multifunktional geplant. Hier kann und soll auch Sport betrieben werden. „Es war bei den Anträgen wichtig, dass an die Ertüchtigung der Jugend gedacht wurde”, erklärt Schmidt.

Stadtgeschichte: Volkshaus Rotthausen ist besondere Gelsenkirchener Architektur

Jetzt aber: Die Türe öffnet sich. Man betritt die Wandelhalle. Rechts ist sogleich erkennbar, hier ist die Garderobe untergebracht für jene, die hier Veranstaltungen besuchen. Geradeaus ist die Tür zum riesigen Saal. Der ist so mächtig, dass es einem fast den Atem verschlägt. Die Decke ist so hoch, dass man jegliches Gefühl verliert für die Maße, kaum schätzen kann, wie hoch sie genau ist. Ein Zeitungsartikel aus dem Jahr der Eröffnung, 1920, beschreibt, hier finden 1000 Zuschauer Platz. Rechts ist die große Bühne, links geben mehrere Türen den Weg frei zum gastronomisch genutzten Raum.

„Hier war auch mal ein Restaurant”, erklärt der Historiker. Geradeaus sind mehrere Türen. Wer hindurch geht, steht auf der imposanten Terrasse. Wieder hat man diese Bilder im Kopf: Fein herausgeputzte Menschen, die sich hier mit einem kühlen Getränk erfrischen, sich verlustieren zwischen dem Kulturgenuss. Und den gibt es vielfach. Schon zur Eröffnung am Freitag, 10. Dezember 1920, spielt das Essener Stadttheater hier „Emilia Galotti”.

Außergewöhnliche Architektur in Gelsenkirchen: Die imposante Terrasse und der Garten des Volkshauses Rotthausen sind so besonders wie das ganze Gebäude.
Außergewöhnliche Architektur in Gelsenkirchen: Die imposante Terrasse und der Garten des Volkshauses Rotthausen sind so besonders wie das ganze Gebäude. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Gespielt wird auf der Bühne, die mit einer Besonderheit aufwartet. „Das ist eine Kuppelbühne”, erklärt Sandra Hartjes vom Referat Kultur der Stadt. Das ist auf den ersten Blick gar nicht so sichtbar. Wer auf der Bühne steht, kann es erahnen: Er findet sich in einem Kuppelbau wieder. Ganz deutlich wird es erst, wenn man eine kleine, enge Wendeltreppe neben der Bühne hochsteigt. Eine geöffnete Tür gibt den Blick frei auf das Gebilde, aus dicken, stählernen Drähten zu einem Rund geformt und mit allerlei Putz und Gesteinen für die Ewigkeit erbaut.

Besondere Architektur im Süden Gelsenkirchens: Das Volkshaus Rotthausen ist ein Koloss

Im Obergeschoss des Hauses ist die Verwaltung der Bürgermeisterei Rotthausens untergebracht. Allerdings nur für kurze Zeit. Schon 1924 wird der Ortsteil nach Gelsenkirchen eingemeindet. Die nun frei stehenden Räume werden als Jugendherberge genutzt - zunächst mit 30 Betten in zwei Räumen, später sogar mit 50 Betten und zwei Tagesräumen. Daneben ist das Haus weiterhin Spiel- und Sportstätte und ein Treffpunkt für Gruppen und Vereine. Auch für die Arbeitervereine im „roten Rotthausen”.

„Daher ist es auch ein symbolischer Akt, dass hier nach der sogenannten Machtergreifung durch die Nationalsozialisten die SS einzog. Sie schuf hier unter dem Namen Führerschule einen Schulungsort für SS-Leute“, sagt Daniel Schmidt.

Im Wechsel der Zeiten: Das Volkshaus war Verwaltungssitz, Jugendherberge, auch Schulungsort für SS-Leute, immer wieder Veranstaltungsstätte.
Im Wechsel der Zeiten: Das Volkshaus war Verwaltungssitz, Jugendherberge, auch Schulungsort für SS-Leute, immer wieder Veranstaltungsstätte. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Etliche der örtlichen SS-Leute leben im Volkshaus. In seinem Heft zur Geschichte des Hauses zitiert der Heimatbund Gelsenkirchen einen früheren SS-Mann, dass hier damals SS-Leute „kaserniert” sind. Er spricht in seinen Erinnerungen auch davon, dass hier Kommunisten zusammengeschlagen werden, um Geständnisse und Namen Andersdenkender zu erpressen. „Dafür, dass die SS hier gefoltert hat, haben wir keine Belege gefunden”, sagt Daniel Schmidt.

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Die Nutzung des Hauses als Unterkunft ist auch nach dem Zweiten Weltkrieg bedeutsam. Nun sind es Flüchtlinge und Vertriebene sowie erste Gastarbeiter. Bis in die 1960er Jahre bleibt das so. Dann wird das Haus immer wieder seinem eigentlichen Zweck nach genutzt, nie jedoch in dem Ausmaß, wie es hätte sein können. 1984 bereits wird das Volkshaus unter Denkmalschutz gestellt. Doch auch das ändert nichts. Das Haus bleibt immer unter seinen Möglichkeiten. Lesen Sie auch:Ein architektonisches Schmuckstück in Gelsenkirchen soll belebt werden

Volkshaus Rotthausen: Wir blicken hinter die Mauern des beeindruckenden Bauwerks

Nur ein paar kurze Jahre herrscht noch einmal reges Treiben am Ort. Daran erinnert sich Rainer Grittner gut. Er ist der Gatte der einstigen Hausmeisterin, lebt mit seiner Frau bis heute in der Hausmeisterwohnung, einem kleinen Idyll, angegliedert an einen Seitenflügel. „Das war ab 1996. Da hat die Stadtmarketing-Gesellschaft das Haus verwaltet. Damals gab es hier viele Veranstaltungen. Karnevalssitzungen hatten wir hier, eine Katzenausstellung jedes Jahr und auch regelmäßig ein langes Wochenende des Dartvereins. Das Haus hat richtig gelebt. Aber seit zehn Jahren ist es wie tot.“

So wird das Volkshaus derzeit genutzt

Das Volkshaus Rotthausen steht nicht leer. Hier lebt bis heute das Ehepaar Grittner in der Hausmeisterwohnung. Zudem befindet sich in einem Seitenflügel eine Reinigungsfirma.

Ein paar Räume im Obergeschoss werden von Vereinen genutzt. Ein Karnevalsverein nutzt einen Teil als Lager, ein Chor einen anderen als Probenraum.

Auch der Heimatbund Gelsenkirchen hat hier sein Domizil, das Stadtteilarchiv hat im Volkshaus seinen Sitz. Vor der Pandemie konnten Besucher innerhalb der Öffnungszeiten in die Sammlung kommen. Heute empfiehlt sich eine Kontaktaufnahme über https://www.heimatbund-gelsenkirchen.de oder 0209 17 70 99 99.

Wie lange das Volkshaus im Dornröschenschlaf verweilen wird und ob es daraus überhaupt je erwacht, das soll eine Machbarkeitsstudie klären. Derzeit nehmen Fachleute das Haus – mal wieder – unter die Lupe. Insbesondere untersuchen sie die Bausubstanz. Aber sie loten auch die Möglichkeiten aus, die das Haus bietet. Ein mit großen Hoffnungen angeschobener Probebetrieb mit etlichen Akteuren von Vereinen bis zur Verwaltung, 2016 als „Experimentierphase“ mit etlichen Veranstaltungen absolviert, brachte keine nachhaltigen Erkenntnisse. Ebenso wenig die „Ideenskizzen“, mit denen die beauftragte Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft fachliche Expertise einbringen wollte. Sandra Hartjes betont nun, man sei nun in viele Richtungen offen. Allein: Ein Veranstaltungsort werde das Volkshaus nicht. Da bestehe mittlerweile kein Bedarf mehr. Alles weitere zeigt die Zukunft.