Gelsenkirchen-Buer. Warum die Wiederholung der 10. Klasse für den Gelsenkirchener Stephan Bortlisz nicht unwillkommen war. Und welche Rolle die Musik dabei spielte.

Gute Noten? Hatte Stephan Bortlisz eigentlich immer – im Ohr; gerade in der 10. Klasse, als sein Zeugnis vor schlechten Zensuren nur so, nun ja, schillerte. Tatsächlich war die Leidenschaft für „Musik hören und machen“ mit Schuld an der Nicht-Versetzung, die im Mittelpunkt der WAZ-Sommer-Serie „Ehrenrunde – kein Weltuntergang“ steht. Aufgegeben hat er seine Leidenschaft für Rock und Co. aber nie, ebenso wenig wie sich selbst. Er startete durch als Sänger in verschiedenen Bands und wurde ausgerechnet: Lehrer.

Gut, „schön war die Erfahrung nicht, eine Klasse wiederholen zu müssen“, räumt der 47-Jährige ein, der mit seiner Frau und zwei Söhnen (17 und 14) in Buer lebt. Aber traumatisch, nein, das war die „Vertragsverlängerung“ am Annette-von-Droste-Hülshoff-Gymnasium (AvD) auch nicht. „Es war schon hochverdient, dass ich sitzengeblieben bin mit Fünfen in Latein, Mathe, Mathe Differenzierung und Chemie.“

Helden des Gelsenkircheners waren die Ramones und U2, nicht Gauß und Bunsen

Beim „Blind Date Festival“ 2016 am Taubenhaus in Gelsenkirchen-Buer erarbeiteten sich Stephan Bortlisz (Mitte) und seine Band-Kollegen von 2nd Skin den Publikumspreis.
Beim „Blind Date Festival“ 2016 am Taubenhaus in Gelsenkirchen-Buer erarbeiteten sich Stephan Bortlisz (Mitte) und seine Band-Kollegen von 2nd Skin den Publikumspreis. © FUNKE Foto Services | Thomas Schmidtke

Ab Klasse 8 seien seine Leistungen immer schlechter geworden, eben im gleichen Maße, wie sein Interesse an außerschulischen Aktivitäten zugenommen habe: „Freunde treffen und Musik waren mir einfach wichtiger.“ Seine Helden waren nun mal die Ramones, U2, The Police und Depeche Mode, nicht Robert Bunsen oder Carl Friedrich Gauß. Zum Thema: Gelsenkirchener Politiker machte nach Ehrenrunde US-Abitur

Dass er im Schuljahr 1990/91 nicht versetzt wurde, habe ihn zwar „geärgert, aber so große Gedanken habe ich mir gar nicht darüber gemacht. Ich wusste ja, dass ich in eine gute Stufe runtergehe mit Leuten, mit denen ich mich gut verstehe. Da war das nicht so wild.“

Gelsenkirchener Bortlisz fühlte sich trotz Ehrenrunde von seinen Eltern geliebt

Als Sonderpädagoge ist Stephan Bortlisz – hier 2012 in der Gutenbergschule in Gelsenkirchen-Resse – mit viel Herzblut bei der Sache. Er weiß, wie sich Schulfrust anfühlt.
Als Sonderpädagoge ist Stephan Bortlisz – hier 2012 in der Gutenbergschule in Gelsenkirchen-Resse – mit viel Herzblut bei der Sache. Er weiß, wie sich Schulfrust anfühlt. © WAZ FotoPool | Martin Möller

Seine Eltern hätten ihn „toll unterstützt“, erzählt er. „Ich blieb auch mit schlechten Noten noch das geliebte Kind, das war toll.“ Auch die Lehrerinnen und Lehrer am AvD hätten immer signalisiert: „Du packst das!“

Sie hatten recht: Der junge Musiker kam wieder in den Stoff rein, „nur Latein blieb schwierig; da habe ich das Latinum nur mit Ach und Krach geschafft.“ Das Abi baute er 1995 schließlich mit den Leistungskursen Geschichte und Englisch sowie den Prüfungsfächern Pädagogik und Mathe mit einem Schnitt von 3,0 – und war’s zufrieden bei aller Ratlosigkeit, welchen Weg er denn wohl beruflich einschlagen sollte.

Als Wiederholer weiß der Gelsenkirchener Lehrer mit Schulfrust von Kindern umzugehen

Der Zivildienst in der Löchterschule war es dann, der ihm das Berufsfeld Förderschullehrer vor Augen führte. Der Sohn einer Einzelhandelskauffrau und eines Garten- und Landschaftstechnikers studierte in Dortmund Sonderschulpädagogik und arbeitet nach Stationen an der Horster Schlosspark-, der buerschen Löchter- und der Resser Gutenbergschule seit 2020 an der Schalker Regenbogenschule im Bereich gemeinsames Lernen.

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Durchaus erfolgreich, wie seine Beförderung zeigt: Seit elf Jahren ist er mit einer halben Stelle im Schulamt als Koordinator für Inklusion zuständig. Dass er sich als Wiederholer besonders gut in Kinder mit Lernproblemen und Schulfrust hineinversetzen kann, versteht sich von selbst. (Sich selbst) zu motivieren: Bortlisz weiß, wie das funktioniert.

Als Versager stigmatisiert, nein, das habe er sich nie gefühlt. „Auch in der neuen Stufe habe ich ein tolles Miteinander erlebt und es eher als Vorteil gesehen, mehr Leute kennenzulernen, als wenn ich den Schulweg wie geplant fortgesetzt hätte.“ Sein „gutes soziales Netz“ habe ihm damals sehr geholfen. „Außerdem war ich ja nicht der einzige Wiederholer. Wenn wir bei einem Bierchen zusammensaßen und ein Scherz übers Sitzenbleiben gemacht wurde, gab’s da immer noch jemand anderen“, erinnert er sich schmunzelnd.

Aus der Ehrenrunde mitgenommen hat der Gelsenkirchener mehr Eigenverantwortung

Der Gelsenkirchener Stephan Bortlisz heute im Urlaub an der Nordsee: Die Balance zwischen Schuljob und Musikkarriere, sie stimmt.
Der Gelsenkirchener Stephan Bortlisz heute im Urlaub an der Nordsee: Die Balance zwischen Schuljob und Musikkarriere, sie stimmt. © Unbekannt | Bärbel Lauf

Gelernt hat er, typisch Lehrer, trotzdem aus der Ehrenrunde: „Dass ich selbst für mich und meinen Weg verantwortlich bin und dann auch was tun muss.“ Dennoch: Unter eisenharten Leistungsdruck mochte er sich nie setzen, dafür waren und sind ihm seine Musik und Freunde immer zu wichtig.

Als Sänger der Bands 2nd Skin, Decadance Dance und Bone Black bekommt er Unterrichtsvorbereitung und Proben recht gut unter einen Hut. Und „Erfolg“ buchstabiert er längst auch musikalisch: Beim „Blind Date Festival“ am Taubenhaus in Buer holte 2nd Skin 2013 den Jury- und 2016 den Publikumspreis. Auch bei „Rock am Dom“ sind sie mit ihren Coversongs der 1980er sowie den Eigenkompositionen nicht wegzudenken. Decadance Dance erarbeitete sich etwa 2018 beim Rock- und Pop-Preis in Siegen Platz 1 im Bereich Rock und Platz 2 beim deutschen Hard-Rock-Preis. Gerade herausgebracht hat diese Formation eine neue EP in allen Streaming-Portalen („Sunset Driver“) sowie ein Video zum Song „Paper Tongue“.

Und wie würde er reagieren, wenn ein Sohn ebenfalls eine Ehrenrunde drehen würde? „Dann wäre das überhaupt kein Problem. Er hat schließlich genug Zeit...“

Erfolgreich im Leben trotz Ehrenrunde

Jeder kennt jemanden, der nicht in die nächste Klasse versetzt wurde. Welche Spuren dies bei ihm oder ihr hinterlassen hat, wie das Leben für ihn oder sie weitergegangen ist, wissen aber wenige. Stattdessen greift gerne das Klischee des Versagers, der Schule und später wohl auch den Job nicht so richtig auf die Reihe kriegt.In der neuen Sommerserie spricht die Redaktion mit Betroffenen aus Gelsenkirchen, die trotz – oder gerade wegen – der Wiederholung einer Klasse etwas aus ihrem Leben gemacht haben, erfolgreich sind und als bestes Beispiel dafür dienen: Eine Ehrenrunde ist kein Weltuntergang!