Gelsenkirchen-Horst. Kälte, Finsternis, Zeitdruck: Wie hart die angehenden Rettungstaucher der Berufsfeuerwehr Gelsenkirchen für den Ernstfall trainieren.
Die Gefahr ist ihr ständiger Begleiter. Und wenn die Feuerwehrkräfte sich dann noch zu Tauchern fortbilden, ist eines gewiss: Diese Frauen und Männer sind ausgesprochen hartgesotten, haben Nerven wie Drahtseile. Und die brauchen sie auch, wenn sie unter Wasser nahezu totale Finsternis umgibt. So wie in dieser Nacht, als die angehenden Feuerwehrtaucher im Rhein-Herne-Kanal für den Ernstfall trainieren.
Ein strammer Wind pfeift um 22 Uhr am Kanal entlang, kriechende Kälte lässt ein paar zufällig vorbeikommende Passanten frösteln, als in Höhe des alten Kohlebunkers im Nordsternpark die Scheinwerferbatterie eines Drehleiterwagens und weitere Leuchtmaste die steilen Ufer in gleißendes Licht tauchen. „Schönwetterschwimmen“, frotzeln Lehrtaucher Thorsten Liesenberg und Dennis Sperling angesichts von rund 15 Grad Celsius. Nichts gegen die Eiseskälte im Winter. Egal. Es kann losgehen. Über dem Wasser hat eine Drohne mit 4K- und Infrarotkamera (Wärmebild) surrend Position bezogen.
Nachts auf Tauchstation im Gelsenkirchener Rhein-Herne-Kanal: Angehende Feuerwehrtaucher üben die systematische Suche an einer Unglücksstelle
„Geübt wird heute zweierlei“, erklärt Feuerwehrsprecher Carsten Jost. „Die Tauchlehrlinge üben das systematische Absuchen einer Unglücksstelle. Und der Grundlehrgang unserer Berufsfeuerwehr trainiert heute Nacht das blendungsfreie Ausleuchten der Einsatzstelle und übernimmt zudem noch Sicherungsaufgaben“. Dafür haben die künftigen Retter in weitem Abstand von der Tauchstelle große reflektierende Schilder am Wasser aufgestellt und auf der Brücke Posten bezogen, um per Funk vor Schiffsverkehr zu warnen. Der Sog einer Schiffsschraube übersteigt jede menschliche Kraft, die Schaufeln könnten ein Blutbad anrichten.
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Sieben Millimeter dickes Neopren umhüllen Raphael Loske und Timo Chlosta, gut zwanzig Kilogramm Ballast mit Atemflasche, massivem Bleigurt und dicker Taschenlampe lassen jeden ihrer Schritte die scharfkantige Steinpackung hinab ins dunkle Wasser zu einem Balanceakt werden. Daumen und Zeigefinger der beiden 29-Jährigen formen einen Kreis, das Signal für „Okay“.
Sekunden später verrät nur noch der fahle Schein der Taschenlampe unter Wasser ihre Position. Doch auch der schwindet, je weiter es in die Tiefe geht. Nur Leinen und die aufsteigenden Luftblasen lassen erahnen, wo sich die beiden Feuerwehrmänner gerade befinden – bei dem Wellenschlag in dieser böigen Nacht gar nicht so einfach.
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Die beiden 29-jährigen Feuerwehrprofis hängen jetzt an der Leine ihrer Signalmänner, das Seil ist Lebensversicherung und „analoger heißer Draht“ zugleich. Über Zugsignale, eine Art Seil-Morse-Code, kommunizieren sie mit dem Kollegen über Wasser. Mehr rechts, mehr links und so fort. Parallel dazu hält sich ein Sicherheitstaucher bereit zum Einspringen, wenn unter Wasser etwas schief läuft.
Gelsenkirchener Tauchlehrlinge suchen halbkreisförmig die Unglücksstelle ab
„Die beiden Taucher werden jetzt jeweils einen Sektor absuchen“, erklärt Carsten Jost derweil. „Das geschieht halbkreisförmig, mit jeder abgesuchten Fläche verlängert sich die Leine und wächst der Radius.“ So wird sichergestellt, dass kein Quadratmeter im Suchgebiet übergangen wird. Ein Kompromiss zwischen Gründlichkeit und Schnelligkeit.
Die Suche ist kein leichtes Unterfangen, im Gegenteil, denn meist ist der Uferbereich arg verschlammt. „Verrottendes Astwerk, Fahrräder, Holzkohlegrills oder sogar komplette Motorroller liegen ihnen mitunter im Weg. Das kostet Zeit und Kraft“, weiß Lehrtaucher Dennis Sperling. Dazu lassen Scherben und scharfe Kanten das Verletzungsrisiko in die Höhe schnellen: Es ist das übliche Szenario an Seen, Flüssen und Kanälen in unserer Region, wenn die Retter im Ernstfall untertauchen.
Adrenalin pur: Nachts unter Wasser bei Sichtweiten von nicht einmal einem halben Meter am Grund der Wasserstraße
Eine halbe Stunde später staksen Raphael Loske und Timo Chlosta prustend die steinige Uferböschung wieder hoch, anschließend schälen sie sich ächzend aus dem hautengen Neoprenanzug und schlüpfen schnell in ‘was Trockenes. Wie war es, wie fühlt es sich nachts unter Wasser an?
„Adrenalin pur“, sagen die beiden 29-jährigen Feuerwehrmänner euphorisch nach ihrem ersten Nachttauchgang. „Man ist völlig von der Außenwelt abgeschnitten, auf sich allein gestellt. Und man sieht im besten Fall einen knappen halben Meter weit. Nicht unbedingt unheimlich, aber doch sehr gewöhnungsbedürftig. Da ist jedes bisschen Licht Gold wert.“ Sie meinen damit ihre Taschenlampe, die sie an einer Schlaufe am Handgelenk bei sich tragen.
Sedimente werden beim Bewegen unter Wasser schnell aufgewirbelt, außerdem mussten die beiden Retter zwischenzeitlich zurück Richtung Ufer, damit ein Tankschiff passieren konnte. Ein anderes hat unweit des Amphitheaters kurzfristig an- und eine Pause eingelegt.
Gefahr lauert immer unter Wasser: Flaschen, Eisenstangen, Müll
„Viel Dreck liegt im Kanal“, erzählen Loske und Chlosta. Ihr Ärger darüber ist kaum zu überhören. Nur die Fahrrinne in fünf bis sechs Metern Tiefe sei frei, sandig und mit Muscheln geradezu übersät. Ansonsten sind sie bei ihrer Sektorsuche auf „Flaschen, Schläuche, Eisenstangen und Räder“ gestoßen. Da könne man dran hängenbleiben, sich verheddern oder gar verletzen, da gilt es kühlen Kopf zu bewahren.
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Panik ist das Letzte, was ein Rettungstaucher, gebrauchen kann. Deshalb werden Notfälle und Notaufstieg permanent geübt. Bei Gefahr lässt sich der dicke Bleigurt mit einem Handgriff abwerfen, ein sich selbst aufblasender Rettungskragen, eine Art Airbag, hilft außerdem bei der Rückkehr zur Oberfläche. Übungen, sich ein Atemgerät am Grund eines Gewässers zu teilen, weil ein Apparat ausgefallen ist, oder das komplette Ablegen der Montur in der Tiefe, schulen zusätzlich Selbstsicherheit und lebensrettende Automatismen.
Bis paarweise alle Lehrgangsteilnehmer in Gelsenkirchen durch sind, ist es weit nach Mitternacht. Das schlaucht. Aber die Lehrtaucher Dennis Sperling und Thorsten Liesenberg sind zufrieden. „Die Kolleginnen und Kollegen haben gut abgeliefert.“
Die angehenden Rettungstaucher haben damit fast die Hälfte ihrer zwölfwöchigen Ausbildung hinter sich. Demnächst geht es zum Silbersee nach Haltern beziehungsweise an den Aue- oder Möhnesee zum Tieftauchen auf gut 20 Meter. Die starke Belastung dort unten haben die Tauchlehrlinge bereits in der Druckkammer des Bergmannsheils in Buer zu spüren bekommen.
Auf dem Grund der Gewässer ist Schwerstarbeit angesagt. „Pepe“, die 75 Kilogramm schwere Puppe, wird ihnen seine Aufwartung und das Leben unter Wasser schwer machen. Den untergegangenen Dummy gilt es schnellstmöglich aus dem Wasser in Sicherheit zu schaffen. Könnte ja ein verunglückter Badender sein.
Die berüchtigte „Achse“ wird die Kandidaten ebenso ächzen lassen, denn an ihr müssen daumendicke M10er-Schrauben mit einem Meißel durchschlagen oder mit einem Maulschlüssel abgedreht werden. Alles unter und gegen den hartnäckigen Widerstand des Wassers. Und dann wäre da noch jede Menge Kleinholz zu machen: Am Sägebock, der im Schlamm auf Grund steht. Feuerwehr ist eben alles andere als eine Schokoladenfabrik.