Gelsenkirchen. An der Schleuse des Rhein-Herne-Kanals bildet die Feuerwehr Gelsenkirchen die nächste Generation ihres Taucherteams aus. Zwölf Wochen dauert der Lehrgang.
Frühsommerlich warm ist es an der Schleuse des Rhein-Herne-Kanals in Gelsenkirchen, gut 25 Grad Celsius zeigt das Thermometer. Die Wiesen rundherum sind menschenleer, viel Sonne und noch mehr Platz, um die Seele ein wenig baumeln zu lassen. Danny Holewa (26) und Philip Kniza (26) haben dafür aber keinen Blick, erst recht keine Zeit. Sie sind froh, wenn sie sich nach 20 und mehr Minuten im nur 15 Grad kühlen Wasser erst einmal setzen und ordentlich durchschnaufen können. Die beiden Brandmeister sind nassgeschwitzt, als sie sich aus ihren Neoprenanzügen schälen – mit drei weiteren jungen Kollegen nehmen sie am Taucherlehrgang der Feuerwehr Gelsenkirchen teil.
„Haut ganz schön rein“, lautet das einhellige Urteil der beiden, nachdem sie ihren Ballast, gut 20 Kilogramm an Atemluftgeräten, Bleigurten und Werkzeug abgelegt haben. Das was Körper und Geist so auslaugt, ist die harte Arbeit unter Wasser. In elf Metern Tiefe üben sie das Retten und Bergen von Menschen, Gegenständen, aber auch Montagen und Demontagen gehören zum Aufgabenkatalog. Und das bei einer Sicht, die sich in der Regel nach einer Armlänge im Trüben verliert. „Der Tastsinn ersetzt uns unsere Augen“, erklären Holewa und Kniza ihre Vorgehensweise.
Schwebend über oder am Grund ist das aber nicht das Einzige, was die Aufgabe erschwert. Zäher Schlamm behindert sehr oft das Vorankommen, von Stand kann keine Rede sein. Verrottendes Astwerk, Fahrräder, Holzkohlgrills oder sogar komplette Motorroller liegen ihnen mitunter zeitraubend im Weg, dazu lassen Scherben und scharfe Kanten allseits das Verletzungsrisiko bedenklich in die Höhe schnellen: Das übliche Szenario an Seen, Flüssen und Kanälen, wenn die Retter im Ernstfall untertauchen.
Glück: Mehr als ein Meter Sicht
Danny Holewa und Philip Kniza haben hier an der für die Übung abgesperrten Schleuse bessere Bedingungen, insbesondere was die Sicht betrifft. Deutlich mehr als einen Meter, weil hier weniger aufgewühlter Matsch herumwirbelt. Doch auch so ist ihr Tagwerk nicht ohne. „Pepe“, die 75 Kilogramm schwere Puppe, muss im Schleusenbecken gesucht und aus dem Wasser geschafft werden, daumendicke M10er-Schrauben in der Tiefe „mit einem Meißel durchgeschlagen“ und auf einem Sägeblock in Windeseile Kleinholz gemacht werden – all das „mit dem Widerstand des Wassers bei jeder Bewegung“. Da steigt der Puls ebenso schnell wie die Luftblasen aus den Atemgeräten steil nach oben.
Zwölf Wochen dauert der Lehrgang, er beinhaltet jede Menge Tauchphysik, Geräte- und Gewässerkunde sowie 50 Tauchgänge über mindestens 20 Minuten – im Schwimmbad, im Kanal an der Schleuse bis hin zum Möhnesee. Nach erfolgreichem Abschluss gehören Holewa, Kniza und ihre drei Kollegen zum Tauchteam der zentralen Rettungswache II. Ein Team von Spezialisten, ähnlich wie die Höhenretter der Feuerwehr.
Kontakt per Morse-Code
Wobei man aber eines nicht vergessen darf: Höhenretter wie Rettungstaucher „schieben“ ganz normal Wachdienst, bis ihre besonderen Fähigkeiten zusätzlich gefragt und angefordert werden.
Nichts geht dabei über Sicherheit. Daher wachen Andreas Metzlaff (39) und Thorsten Liesenberg (41) über ihre Kollegen. Beide sind Hauptbrandmeister, Metzlaff leitet den Lehrgang, Liesenberg ist Anwärter auf eine Position als Lehrtaucher bei der Feuerwehr. Dazu hält sich noch ein Sicherungstaucher für den Fall der Fälle bereit.
Danny Holewa und Philip Kniza arbeiten als Team, mal ist der eine im Wasser, mal der andere. Über eine Leine, 50 Meter lang und straff geführt, halten sie Kontakt. „Es funktioniert über einen Morse-Code“, erklärt Thorsten Liesenberg. „Der Mann an Land kann so den Kollegen im trüben Wasser dirigieren, der Taucher selbst mitteilen, was unten gerade Sache ist.“
Vertrauen und Sicherheit
Stressig wird es für Danny Holewa und Philip Kniza, als sie unter Wasser den Gerätewechsel üben. Deutlich über eine Minute müssen sie da die Luft anhalten, die Ausrüstung ablegen und die ihres Gegenübers anlegen. Ein falscher Griff, und sie müssen abbrechen, gilt die Übung als nicht bestanden.
Einem rutscht der Bleigurt zu tief nach unten. In die Kniekehle. Schwupps trägt ihn der Auftrieb sofort nach oben. „Passiert eben“, sagen ihre Ausbilder und lassen die jungen Männer später das Ganze wiederholen bis es klappt.
Vertrauen und Sicherheit soll diese Übung aufbauen. Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und in die des Kollegen. Und Sicherheit, damit im Ernstfall keine Unruhe aufkommt und wertvolle Zeit verloren geht. Denn im Kampf um Leben und Tod kann jede Sekunde entscheidend sein.
Der Tod gehört zum Beruf
Währenddessen erzählt Thorsten Liesenberg, ausgeprägte Haartolle, jede Menge Tattoos und Autoschrauber aus Leidenschaft und früher mal von Berufs wegen, vom Alltag als Feuerwehrtaucher. „Oft“, so sagt der 41-Jährige, „werden wir von der Polizei um Hilfe gebeten.“ Dann gehe es um die Bergung von Diebesgut. Roller sind darunter, viele Räder, manchmal sogar ein kompletter Tresor. „Ich selbst habe aber noch keinen Geldschrank gefunden“, sagt der ehemalige Berufssoldat.
Mit Blick auf den jüngst verunglückten Autofahrer in Essen an der Ruhr, weiß der Hauptbrandmeister auch von solchen tragischen Fällen zu berichten: „Bei meinem ersten Einsatz vor rund acht Jahren war das. Da ist ein 18-Jähriger im Kanal an der Uechtingstraße schwimmen gegangen und in Not geraten. Wir haben ihn gerettet, später ist er aber doch noch verstorben.“ Tödlich endete 2009 auch der Sprung eines Kirmesbesuchers von der Brücke in Crange. „Drei Tage später haben wir seine Leiche gefunden“, sagt Thorsten Liesenberg.
Bei der Personensuche sei der Stressfaktor immer besonders hoch. Dass man sich da nicht zu viel zu Herzen (und mit nach Hause zur Familie) nimmt, dafür sorgt der außerordentliche starke Zusammenhalt und kameradschaftliche Austausch innerhalb der Tauchergruppe. Und, falls alles Stricke reißen, professionelle Hilfe durch Psychologen.