Gelsenkirchen-Altstadt. Nach der Corona-Zwangspause demonstrieren zum „Tag der Arbeit“ wieder viele Menschen auf dem Neumarkt. Hauptredner ist Minister Hubertus Heil.

Der Ton war ernst und kämpferisch wie wohl lange nicht mehr, auch durch die Corona-Pandemie, durch die die traditionellen Mai-Kundgebungen zwei Jahre ausgefallen waren. Den wohl verbreitetsten Ton mochte DGB-Regionsgeschäftsführer Emscher-Lippe, Mark Rosendahl, auf dem Neumarkt allerdings nicht lange aushalten: „Bitte die Musik ausmachen“, forderte er in Richtung der MLPD, die bei dem Demonstrationszug vom Margarethe-Zingler-Platz aus mit den Klängen der Sozialistischen Internationale („Völker, hört die Signale!“) hier eintraf. Weder eigene Ordnungskräfte noch die Polizei mussten einschreiten, das Kampflied verstummte.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD, Mitte) applaudiert bei der Kundgebung zum 1. Mai zusammen mit Oberbürgermeisterin Karin Welge (links) und der Landtagsabgeordneten Heike Gebhard den Rednern.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD, Mitte) applaudiert bei der Kundgebung zum 1. Mai zusammen mit Oberbürgermeisterin Karin Welge (links) und der Landtagsabgeordneten Heike Gebhard den Rednern. © FUNKE Foto Services | Michael Korte

Gewerkschaftsjugend ruft zur Gedenkminute in Gelsenkirchen

Mit dem Steigerlied war der Start erfolgt, die Trommelklänge von Sambakowski begleiteten außerdem den Zug am Rand der Altstadt zur Bühne am Neumarkt, wo rundherum Parteien, Gewerkschaften, Initiativen und Organisationen ihre Info-Stände aufgebaut hatten. Vorsorglich sorgte die IG Bauen-Agrar-Umwelt für Grillwürstchen, mit denen sich auch die stark vertretene Polizei versorgte.

Eine Vielzahl von Rednern war zu erwarten, so dass der Auftakt zur eigentlichen Kundgebung umgehend geschah. Die Gewerkschaftsjugend der IG Metall bekam den Vortritt für einen eindringlichen Aufruf. Die traurigen Themen der jüngsten Vergangenheit warfen gleich zu Anfang ihren Schatten, den Krieg in der Ukraine.

Die Themen des Bundesarbeitsministers waren vielfältig wie lange nicht mehr zum 1. Mai. Er freute sich über den direkten Kontakt nach der Corona-Zwangspause.
Die Themen des Bundesarbeitsministers waren vielfältig wie lange nicht mehr zum 1. Mai. Er freute sich über den direkten Kontakt nach der Corona-Zwangspause. © FUNKE Foto Services | Michael Korte

Keine Klagen über Mittagsgeläut

„Wir haben auf den Frieden in Europa vertraut und erleben daneben auch noch 355 bewaffnete Auseinandersetzungen weltweit“, mahnte die Organisation und rief zu einer Schweigeminute für die Opfer auf: „Vier Millionen Tote im letzten Jahr sind zu viel.“

Bekannt dafür, bis in die letzte Reihe zu hören zu sein, ist sie, unterstrich Petra Müller für die Gewerkschaft Verdi, und das war sie, obwohl gerade das Mittagsläuten von der evangelischen Altstadtkirche einsetzte.

Ihr Kollege Rene Hiller ergänzte in Anspielung auf die Vorgänge um den AfD-Wahlkampfauftakt und ein mögliches Verfahren wegen des Läutens, seine Gewerkschaft wolle bestimmt keinen Anwalt konsultieren.

Fachkräfte und Finanzen

Müller, die Erzieherin, unterstrich, gerade im Sozialbereich gehe es in der aktuellen Tarifauseinandersetzung „um mehr Wertschätzung und um mehr Fachkräfte“. In der Stadt zeige sich, dass die gesamte soziale Arbeit am Limit sei: „Eine Fachkraft kümmert sich um 20 Kinder.“

Die Finanzen der Kommunen müssten verbessert werden, „denn Geld ist da“, appellierte sie. Auch ihr Kollege Hiller, Sozialarbeiter bei der Stadt, gab zu bedenken: „Es herrscht eine ewige Mangelverwaltung. Die Ressource Mensch hat Grenzen, und dass kein Geld da ist, das glaubt inzwischen kein Mensch mehr.“ Die Kommunen brauchten die dringende Entschuldung, „denn wir schnappen nach Luft“.

Humanitäre Hilfe

Heil mahnte in seiner engagierten Rede zum Schulterschluss angesichts der vielfältigen Probleme. Er mahnte zu Verantwortung und Besonnenheit, auch wenn die Hilfe für die Ukraine richtig sei. „Es darf keinen Diktatfrieden nach Putins Krieg geben, keinen naiven Pazifismus ebenso wie Bellizismus.“ Die Menschen dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden, ukrainische Flüchtlinge brauchten hier Heimat und Schutz.

Mindestlohn und Tarifbindung

Die Bundestagsabgeordnete der Grünen, Irene Mihalic, erklärte zum Tag der Arbeit: „Es ist wichtig, das soziale Gefüge unseres Landes zu stärken. Eines der ersten großen Gesetze unserer Regierung ist die Erhöhung des Mindestlohnes auf 12 Euro pro Stunde. Damit stellen über 6 Millionen Menschen in Deutschland besser. Überproportional viele Frauen, Beschäftigte im Dienstleistungssektor und auch viele Menschen in strukturschwachen Regionen werden davon profitieren.“

Sie unterstrich: „Wir werden dafür sorgen, dass öffentliche Aufträge des Bundes künftig nur noch an Unternehmen vergeben werden, die mindestens Tariflöhne zahlen. Wir sorgen für mehr soziale Sicherheit, indem wir Hartz IV abschaffen und durch ein Bürgergeld ersetzen.“

Auch dürften nicht Einheimische gegen Geflüchtete ausgespielt werden. „Wir müssen diesmal zeigen, dass es eine Großherzigkeit gibt, die länger dauert als nach den Ereignissen 2015“, als verstärkt Kriegsflüchtlinge, etwa aus Syrien und Kurdistan, aufgenommen wurden. „Wir müssen aus diesen Fehlern lernen und mit allen Geflüchteten anständig umgehen.“

Aufgabe für alle

Auch im Inneren müsste die Gesellschaft zusammenstehen. Dass heute und hier die IG Bergbau, Chemie, Energie und die IG Metall einträchtig mit Fridays for Future zusammen bei der Kundgebung am Tag der Arbeit stehe, sei ein wichtiges Zeichen. „Das braucht es, damit wir den Umbau fair gestalten, den der menschengemachte Klimawandel fordert.“ Es dürfe nicht gegen die Beschäftigten gehen, wenn die Industrie grundlegend auf mehr Klimaschutz umgestellt werde, wie bei der Wasserstoff-Technologie.

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